Lieder der Mütter und der Väter

Das heutige Thema ermöglicht eine außergewöhnliche Teilnehmerstruktur, nämlich , Mütter, Väter, Kinder, Teilnehmer die beruflich mit Kindern oder Kindererziehung zu tun haben und jene Zielgruppe, die uns besonders willkommen ist, weil sie für einen Veranstalter nur über den Umweg zu den werdenden Müttern erreicht werden kann: Die Ungeborenen. Sie seien zuallererst herzlich begrüßt. Und natürlich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Referentinnen, Referenten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Wieder ein Seminar des Volksliedwerkes…

Was soll das? Sie hierher zu locken um über die Notwendigkeit des Singens und Spielens mit Kindern zu reden? Sie haben richtig getippt: Wir sind Weltverbesserer, die haben zwar nicht den besten Ruf, das Wort selbst riecht nach Ideologie, nach Krampf. Trotzdem: Wir sind es und ich würde Ihnen empfehlen dabei mitzumachen. Wer sonst – als der Mensch – kann sich seine Welt – wenn er nur will – auch positiv gestalten. Eine diesbezügliche Unterlassung hieße auch, sich aus der hohen Verantwortung für das Leben auf diesem Planeten zu verabschieden. Um vom globalen zum lokalen Blickwinkel zu kommen:

Dem Anschein nach sind sie unfertig

Die Kinderlieder, -sprücherln und die rhythmischen Spiele unserer Jüngsten, die Schlummertöne der Mütter haben den Anschein des Unfertigen, werden als Versuch gehandelt und spielen im Musikgetriebe nur dann eine Rolle, wenn sich ein Star am Schlagerhimmel wieder einmal des Kinderliedes annimmt. Z.B. „Mamatschi schenk mir ein Pferdchen….“ In der Musikwelt geht es immer nur um Produkte und Werke, um Wertschöpfung und um Vollendung eines komponierten oder improvisierten Klangbildes. Kinderlieder, Reime und Spiele werden hier nur unter „Gehversuche“ eingereiht – im allgemeinen Bewusstsein natürlich. Freilich, für die Musikpädagogik und alle jene, die sich mit dem Kind als große Aufgabe beschäftigen, haben Kinderlieder einen hohen Stellenwert. Für mich sind es kleine und zugleich große Werke, die das Kindsein ausmachen und beim Weitergeben an die nächste Generation den Klebstoff bilden.

Impulse nach Außen tragen

Diese Tagung soll einen tieferen Einblick gewähren. Sie soll praktische Hilfe anbieten. Nicht wir als Veranstalter wissen von vornherein wie man es macht. Die Veranstaltung selbst ist so konzipiert, dass Einblicke und Erkenntnisse möglich werden, dass von hier aus, auch mit Hilfe unseres Tagungsberichtes Impulse nach außen getragen werden.

Das Steirische Volksliedwerk ist – auch wenn dies so klingt – kein Traditionsverband zum Zwecke des Zusammenschlusses aller Traditionsträgerinnen und Träger. Nein – dazu müsste das Verständnis für Musik ja auch auf einen Nenner gebracht werden – und das geht nicht – und das wollen wir nicht. Das Musikleben ist sehr vielfältig geworden. Trotzdem – sie werden staunen dies zu hören: (Wir beschäftigen uns ja auch mit Forschungsfragen) Nach wie vor sprechen die Steirerinnen und Steirer auch eine eigen musikalische Sprache, nach wie vor gibt es genügend Gesänge in Geselligkeit (Lebensmittel) im Einklang mit allen anderen Zugängen zur Musik. (Genussmittel) Dazu gehört auch das Kinderlied und Kinderspiel. Diese klingende Alltagssprache der Menschen ist für sie selbst keine Kunst, sie würden diese nicht einmal unter Musik einreihen – es ist ihre Art der Kommunikation. Wir beobachten sogar so etwas wie ein „Sorge tragen für den Bedarf an Klangwolken im Leben“.

Bitte keine Weltuntergangs-Stimmung

Es ist vor allem aber eine Musikkultur des näheren, oftmals ganz nahen Umfeldes. Ich sage ihnen dies so deutlich, weil wir nicht der Weltuntergangsstimmung beipflichten. So Quasi: Es war einmal und kommt nie wieder… Wir sehen eigentlich ein großes Interesse an den selbstgestrickten Erlebnisfeldern, einen neuen Mut, musikalische Grundkenntnis auch einzusetzen. Im Musikland Österreich haben wir zuerst eine Hemmschwelle aus dem Weg zu räumen, weil hier – durch die Überbewertung von Musik als österreichisches Produkt – der musikalische Versuch keinen Stellenwert hat.

Was ist also unsere Intention?

Sie sollen befähigt werden, selber Hand anzulegen, neben den – in einer so klanggeschwängerten Zeit – so vielfältigen Möglichkeiten des Musikkonsums. Reservieren Sie sich einen Freiraum der eigenen Töne. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Kinder in Kennmelodien der Mutter und des Vaters eingebettet sind.

Lieder haben lernen – unsere Seminarreihe dient diesem Ziel. Vorerst hat man mich wegen des ausgefallenen Titels beinahe gelyncht. Nunmehr heißt es: Besser könnte man es nicht ausdrücken, dieses „Lieder besitzen“. „Lieder erlernen“ – dazu bedarf es nur der grundsätzlichen Fähigkeiten, der Bedienung musikalischer Grundsätze und Formeln. Zum „Lieder haben“ bedarf es weder Noten noch Stimmübungen, dafür aber umso mehr und einprägsamer eines Erlebnisfeldes. Und so waren die bisherigen Seminare auch konzipiert: Lieder zum Mitnehmen, von eindrucksvollen Menschen vermittelt, an die man sich und an deren Melodien man sich leicht erinnert. Vom Gewährsmann Franz Zöhrer, durch dessen besondere Aura man selbst anfängt zu jodeln, über das Singen mit Playback bis hin zu Karaoke, einer modernen Art der Singanimation, die in Japan entwickelt, heute in ganz Europa praktiziert wird. Ein Beweis übrigens, wie groß das Bedürfnis nach dem Selbertun ist.

Und so entsteht ein Seminar dieser Reihe:

Der tiefe Wunsch darüber zu reden verbindet sich mit der Erkenntnis, dass es auch der Praxis bedarf um Neues und Altes auszuprobieren. Wir suchen Referenten und formulieren unsere Einladung. Das ist spannend genug. Beißen Sie an oder nicht. Es haben diesmal zu viele angebissen- wir mussten viele Interessenten abweisen. Unser Folder mit dem Werbetext erregte Aufsehen. Vor allem deshalb, weil für viele Menschen auch heute noch Begabung im Blut liegt. Man hat sie oder man hat sie nicht. Und sehen Sie: Damit möchten wir aufräumen, weil diese Blutsgeschichte schon so viele von vornherein abqualifiziert hat. Das ist auch ein Teil unseres Konzepts. Man spricht nun auch über die Lieder der Väter und der Mütter. Ich bin überzeugt davon, dass der geplante Tagungsband dieses Seminars entsprechend gut angenommen wird und wünsche Ihnen allen einen schönen Aufenthalt am Retzhof.


Eröffnungsrede zur Tagung „Lieder haben lernen“, Retzhof bei Leibnitz, /1997; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.