Ihr Tagungstitel hat mich aufhorchen lassen. Da reden Gastronomen und Touristiker von Harmonie. Nicht von der Harmonie zwischen Aufwand und Auslastung sondern von der Harmonie im Dorf.
Endlich! Als einer, der mit der Touristikbranche nichts zu tun hat, habe ich immer den Eindruck gehabt, dass es außer Bettenauslastungs-Statistiken nichts gibt – aber schon überhaupt nichts, was die betroffene Branche interessiert. Zuletzt – verzeihen Sie meine von außen kommende Äußerung – zuletzt hatte ich das Gefühl, dass man die Gäste in einem Blumenmeer ersticken wollte. Kann schon sein, dass zur Harmonie auch die Balkonpflanzen gehören, doch kann auch mit Blumen ausgereizt werden. Dem Blumendorf und Apfeldorf könnte aber längst ein Menschendorf folgen, denn längst wissen wir, dass Geborgenheit, jede Stunde des Wohlbefindens letztlich von Menschen gemacht wird.
Das Menschendorf ist gefragt
Dorfleben – und jetzt lassen wir einmal den Tourismus beiseite – Dorfleben ist zuallererst Ausschalten der Anonymität in die wir uns heute allzu gerne flüchten um uns selbst zu verwirklichen. Und um dabei zu bleiben: Letztlich ist damit Egoismus gemeint, den wir zum Abblocken aufgebaut haben um schlussendlich an Beziehungsverarmung zu leiden. Der letzte Ausweg: Auf zum Arzt. Seien wir aber vorsichtig: Dorfleben heißt keinesfalls: Hier ist alles in Ordnung, hier ist die heile Welt wahrhaftig zu Hause. Dies nicht, aber Eines ist sicher: Abneigung und Zuneigung wird hier intensiv ausgelebt, man steht in Abhängigkeit zueinander, Nachbarschaft endet hier nicht nur beim handfesten Streit, sondern beim Gericht; endet nicht nur beim gemeinsamen Grillabend sondern hat eigentlich mit der ursprünglichsten Versicherungsform zu tun. Wie heißt es in einem überlieferten Kranzllied treffend: „Seids nur guat zu Eure Nåchbårn – `s tuat die erste Hülf oft sein….“ Und das alles zusammen, ist zudem in eine Zeitspanne gepackt, die über mehrere Generationen hinausreicht, die Generationen miteinander verkettet. Die Beziehungen sind tiefer – ob nun negativ oder positiv.
Mit jedem Gesicht, mit dem Anwesen, mit dem Erfolg oder Misserfolg eines Mitmenschen verbinden wir die Geschichte seiner Vorgänger, wirtschaftliche, kulturelle und menschliche Vorfälle die uns alle schon einmal beschäftigt haben. Im Klartext: Dorfleben – ohne es zu behübschen – beinhaltet viele unvergleichliche Facetten des Lebens. Die Sehnsucht danach ist leicht zu erklären: Wir leben in einer Zeit der Gleichmacherei, setzen zwar immer zu individuellem Handeln an, kaufen keinen Trachtenanzug, weil wir nicht uniformiert erscheinen wollen sondern bleiben bei der guten alten Jeans und sehen darüber hinweg, dass fast alle Jeans blue sind.
Touristik und Dorfkultur hatten aber immer schon Berührungspunkte. Brauchtum als Fremder mit(er)leben dürfen ist die akzeptable Variante, denn die Schwelle zum Ausverkauf von Sitte und Brauch ist allzu schnell überschritten. Sie kennen die Auswüchse vom Heimatabend, der Wildfütterung etc. bis hin zum mit gleichen Kühen wiederholbaren Almabtrieb. Die Sache ruft nach anderen Konzepten nach Harmonie zwischen dem „Hier-leben-wollen“ des Einheimischen und dem „Hier-etwas-erleben-wollen“ des Gastes.
Musik beim Wirt – eine Erfolgsstory
Nach diesem Rundumschlag möchte ich zum besseren Verständnis meine Institution, nämlich das Steirische Volksliedwerk vorstellen. Wir beschäftigen uns neben der Volksmusikforschung und – archivierung, neben der Betreuung des Steirischen Volksliedarchives mit der Publikation dieses reichen Volksliedschatzes und entwickeln Initiativen zur Förderung der musikalischen Umgangssprache. Vordergründig geht es uns um das Selbersingen und Selberklingen als Gegengewicht zur heute permanent angebotenen Musikkonserve, zur Musikberieselung und zur Volksmusik-Konzerttätigkeit. Eine unserer erfolgreichsten Einrichtungen ist das „Büro für Weihnachtslieder“, das in den letzten sechs Jahren tausenden Menschen geholfen hat, Weihnachtslieder wieder selber zu singen, die kleinen klingenden Kostbarkeiten wieder selber zuzubereiten. „Musik beim Wirt“ ist ein ebenso erfolgreiches Projekt:
Weltweit wird Volksmusik als besonderes Aushängeschild, als Markenzeichen und als Mittel zur Unterscheidung verschiedener Kulturen und Länder benützt. Was Österreich betrifft, werden wir das Klischeebild vom jodelnden Älpler nicht ewig verkaufen können. Der Gast weiß es: Wein ist nicht gleich Wein und Volksmusik ist nicht immer Volksmusik. Der Konsument und Zuhörer, ob Urlauber oder Einheimischer ist sensibler geworden. Er reagiert zwar auf Werbegags, auf Markennamen, bunte Etiketten und die Produkte der Jodlerkönige samt den fertigen Programmen im Heimatabendstil. Er liebt aber zunehmend die Nähe zum Erzeuger, die spürbare Verwurzelung von Traditionen sowie musikalische Fertigkeiten als köstliche Beilage zum Normalsein. Gespielte Exotik ist unglaubwürdig geworden – und das ist gut so.
Eigeninitiative ist gefragt
Als Forschungs- und Förderstelle für Volksmusik in der Steiermark will sich das Steirische Volksliedwerk nicht damit begnügen, musikalische Volkskultur mediengerecht zu präsentieren. Vielmehr ist erforderlich, die musikalische Eigeninitiative einer breiten Bevölkerungsschichte zu aktivieren. Es soll wieder mehr gesungen und gespielt werden – ohne Anspruch auf hohe Kunst, ohne die Gewürze Effekt und Action, deren Überdosis in unserer “Konsumier-Zeit” einen seltsamen Qualitätsbegriff erreicht hat, vor allem aber das Bedürfnis nach eigener musikalischer Betätigung verdrängt.
Das Großartige an unserer Volksmusik ist nicht im fertigen Produkt erlebbar, weshalb man dieser musikalischen Kleinkunst mit einem Hinaufheben auf die Bühne dieser Welt nichts Gutes tut. Viele Bereiche des Volkslebens und so auch die Volksmusik leben nicht von der Veröffentlichung. Das Steirische Volksliedwerk ist daher seit 1980 Initiator und Träger der Aktion “Wieder aufpielen beim Wirt” und ist damit Helfer beim wieder Erklingenlassen von Liedern und Weisen als Alternative oder Ergänzung zur Konzertmusik. Das Hausgemachte hat wieder Saison. Die “musikkulinarische Spezialität” ist zwar kein Kassenschlager, aber ein sehr wichtiger volkskultureller Beitrag.
Wirtshäuser sind die UNO im Dorf
Von ihrer zentralen Lage her sind Gasthäuser seit jeher Kristallisationskerne des dörflichen Geschehens. Der Tritt über die Schwelle einer Gaststätte ist zugleich auch Eintritt in die große Gemeinschaft einer Gemeinde, die sich hier in vielschichtiger Zusammensetzung begegnet. Konkurrenten, Partner, Widersacher, Freunde, Feinde sind in der dörflichen “UNO” einfach Menschen dieser Erde. In diesem Milieu liegt auch ein musikalischer Anhaltspunkt, weil Musik mit Geselligkeit und Gastlichkeit in Zusammenhang steht. Es wird gesungen, geplaudert und dann und wann auch aufgespielt. Vielerorts ist es der Wirt selbst, der zur Harmonika greift. Sowas hat’s in unseren Gaststätten immer schon gegeben, der letzte Schrei ist das nicht. Aber ein wenig in Vergessenheit geraten ist es schon, nicht zum Besten für die Geselligkeit im Wirtshaus. Wir mögen einen guten Wirt sehr, der sich um eine gute Speisekarte, gepflegte Getränke, eine nette Einrichtung seiner Lokalität kümmert. Sich wohlfühlen ist für jeden Gast eine wichtige, vielleicht die wichtigste Sache. Die Folge ist unüberhörbar: Melodien die hier angestimmt werden sind klingende Zeugnisse dieses Wohlbefindens – keine Musikkonserve kann das Erlebnis des selbst produzierten Tons vermitteln. Wer sich die hausgemachte Unterhaltung nicht zunutze macht, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Zusammen mit der Handelskammer, der Steirischen Brauindustrie und der Firma STRABAG zeichnete das Steirische Volksliedwerk bisher etwa 100 Betriebe mit der Urkunde “Musikantenfreundliche Gaststätte” aus, die sich um die Musikpflege ihres Ortes besonders verdient gemacht haben. Die Urkunde verpflichtet die genannten Gaststätten zur “Freundlichkeit” und ladet andere Gastwirte ein, sich dieser Idee anzuschließen. Die vielen musikalischen Kleinerfolge haben zusammen eine große kulturelle Bedeutung. In einer Zeit der Musik-Genussmittel soll damit auf Musik als Lebensmittel hingewiesen werden. Nach der Steiermark, die auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle gespielt hat, haben andere Bundesländer und auch die Nachbarn mit ähnlichen Veranstaltungsreihen begonnen: Kärnten, Niederösterreich, Salzburg, Bayern u.a.
Harmonie im Dorf
– kein anderes Schlagwort könnte so sehr als Wunsch ausgesprochen werden für eine vernünftige Schaffung jenes menschlichen Klimas das auch für jede touristische Absicht zum Fundament zählen muss. Wir haben offensichtlich – von einer anderen Seite als Sie es gewohnt sind- nämlich von der kulturpolitischen, vernünftige Lösungen aufgezeigt, hoffen auf Umsetzung mit Hilfe von Sponsoren und der Gastronomie. Eines ist aber sicher: Das Anliegen Harmonie ist vorerst nicht allzu plakativ, die Umsetzung ist von einer Bewusstseinsbildung abhängig. Wahrscheinlich benötigen wir länger und müssen uns noch stärker persönlich dafür einsetzen. Von heute auf morgen sind nur Slogans zu transportieren. Menschenbildung aber, die Harmonie zur Folge hat, ist eine Frage der Zeit, der Aufwertung von Sittlichkeit im Umgang miteinander, der Beachtung von Lebensregeln. Harmonie in der Musik bedeutet Übereinstimmung, Gleichklang und Wohlgefühl innerhalb eines tonalen Regelwerkes. Mit der Harmonie im Dorf ist es nicht anders.
Referat anlässlich Tagung „Harmonie im Dorf“ St. Martin am Grimming, 10/1996; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.