Zugegeben: Unser Titelbild bringt Raumpflege und Volksmusikpflege in einen Zusammenhang, den es ja gar nicht gibt. Die Bürste für die Jodlerstimme und das Dudelsack-Reinigungsspray sind noch nicht erfunden.
Es ist daher nur das Wort „Pflege“, das uns hier – mit Volksmusik kombiniert – aufstößt, weil mit Volksmusik eigentlich Veränderbares gemeint ist. „Pflege“ signalisiert dagegen Vorschrift, Reinheit und künstliche Politur. Als ob unsere steirischen Urlaute nicht von selbst über die Gurgelrutschen und nur mit Hilfe von Nachhilfe herauszulocken wären. Die Erfindung des Wortes „Volksmusikpflege“ war schon kein guter „Wurf“ und so manche unter diesem Titel stehende Maßnahme erst recht nicht.
Sich vom Pflegebegriff lossagen
Wenn wir uns von diesem Pflege-Begriff lossagen, tun wir uns bereits leichter. Wir pflegen Eigenes zu tun und greifen ja doch nach Neuem, denn im Spannungsfeld zwischen dem Verbleiben und der Mobilität werden gleichsam schöpferische und beharrende Kräfte mobilisiert. Mobilität bringt den Verlust des Überschaubaren und die Befriedigung der Neugierde. Wer weiß denn, was uns anderswo in den Schoß fällt – so ganz von selbst? Die Pflege des Eigenen – nun als Forttragen des Bewährten verstanden – der wir auch regionale Musizier- und Singstile verdanken – zeigt aber oftmals eine erstaunlich ausgeprägte geistige Offenheit und Bereitschaft, das Andere, Neue für sich zu adaptieren und brauchbar zu machen. Beispiele gibt es genug.
Beheimatung und Lebensqualität
Was sollen wir pflegen? Ein gutes Verhältnis zu den Kennzeichen unserer Beheimatung, zu den Eigentümlichkeiten unserer Wurzeln und damit auch zum klingenden Erbe. So wie wir Nachbarschaft pflegen und das entstandene Einvernehmen als Teil von Lebensqualität für uns verbuchen. Nicht mehr und nicht weniger ist mit „pflegen“ gemeint. Das nasse Pflegetuch, das wir über die glatte Spiegelfläche ziehen, soll auch keine Konturen und Spuren hinterlassen. Freie Sicht ist dabei die Krönung der Bemühung. Wenn wir uns dann im eigenen Spiegelbild wiedererkennen – na, das wäre ein schöner Erfolg.
Volksmusik als komplexes Phänomen
Dieser „Vierzeiler“ spannt einen interessanten Bogen zum Thema „Volksmusikpflege“. Unseres Erachtens ist das Anknüpfen an vorhandene Traditionen der wichtigste Teil dieser Pflegearbeit. Ein anderer entspricht der immer mehr bemerkbaren Wandlung von der Volksmusik-Überlieferung zu schulischen Lernmethoden, eben anderen Zugängen. Im Zuge dessen ist unsere Volksmusik vermehrt im Kontext mit Musik als großes komplexes Phänomen zu sehen.
Mit Respekt richten wir unseren Blick auf die Bibliothek der Musikhochschule in Graz und empfehlen unseren Lesern, Benützer zu werden. Wir berichten ausführlich über die Präsentation der ersten steirischen CD in der Reihe „Tondokumente zur Volksmusik in Österreich“ und teilen unser diesbezügliches Engagement unseren Aufgabenbereichen Forschung und Pflege gleichermaßen zu. Mag. Maria Walcher stellt in ihrem umfangreichen Beitrag Geschichte und Gegenwart der Volksmusikpflege in Österreich vor. Allen Mitarbeitern – den Autoren wie den Berichterstattern aus unserem Mitarbeiterkreis – sei herzlich gedankt. Die Leser bitten wir um freundliche Aufnahme unseres Blattes.
Der Vierzeiler, Leitartikel zum Titelbild und Thema, 14. Jahrgang, 3-4/1994; Unter „Gedanken zur Volksmusikpflege“ in: Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.