Einige Bemerkungen zur Begegnung von Folk- und Volksmusik

Folk und Volksmusik ziehen sich gegenseitig an – möchte man meinen –, wenn man weiß, dass dieses The­ma bei vielen Volksmusiktagungen behandelt wird. Ich erinnere an das Seminar zum gleichen Thema, welches im Jahre 1990 in Goldegg in Salzburg abgehalten wurde.

Bitte erwarten Sie von mir nun keinen Vortrag zur Geschichte der Folk-Szene – dazu gibt es Fachleute. Meine Aufgabe sehe ich in der Darstellung eines Gesamtbildes der gegenwärtigen Begegnung zwischen Folk- und Volksmusik. Sosehr wir nach Definitionen lechzen, um zwei musi­kalische Phänomene zu beschreiben, zu beschriften und damit auseinanderhalten zu können, gibt es auch eine umfassende und sanfte Methode, sich dem Thema zu nähern, nämlich: Das Gemeinsame erkennen, erleben und seine Instinkte zu gebrauchen. Musikalische Entwicklung – und wir befinden uns immer mitten in einem solchen Prozess – untersteht nicht der verbalen Festlegung. Es ist mir ein großes Anliegen, den Musiker selbst, den Menschen, in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Er ist ja im Grunde seines Herzens vorerst einmal Musiker und überlässt die Zuteilung zu verschiedenen Gattungen gerne den anderen.

Das Trennende und das Verbindende

Wo ist also das Trennende, und was ist das Verbindende zwischen Folk- und Volksmusik. Zuallererst gibt es einmal verschiedene Zugänge. Beim Folkmusiker zum Beispiel durch eine eigene weltweite Bewegung. Vor al­lem aber durch das Interesse an anderen musikalischen Wurzeln, durch Begegnung bei Festivals im In- und Aus­land. Volksmusik hingegen kann einerseits direkt verwurzelt sein – durch die Verbindung zur musikalischen Überlieferung in der eigenen Familie, im nachbarlichen Umfeld. Diese Gebrauchsmusik ist mir ein besonderes Anliegen, sie braucht keine Bühne – sie wird gelebt. Es gibt aber auch den Zugang zur Volksmusik durch pflege­rische Intentionen, die nun die Wahrung der Identität in den Mittelpunkt stellt und zu einem eigenen Freizeit­zweig wird. Wie sehr die Begriffe Folk- und Volksmusik ineinander verfließen, zeigt folgendes Beispiel: Norwe­gische Geigenmusik von einer Folkmusikgruppe über ein internationales Festival nach Österreich eingeführt und hier interpretiert, heißt „skandinavische Folkmusik“. Dieselben Melodien, von Volksmusikanten anlässlich einer Auslandsfahrt aus Norwegen mit nach Österreich genommen und von dieser Gruppe gespielt, heißt dann „skandinavische Volksmusik“.

Einige Anmerkungen und Gedanken

Zum Folkmusiker: Der Umgang mit seiner Musik, nämlich der Hang zur Eigenproduktion, zum Besonderen, Außergewöhnli­chen – im starken Gegensatz zum Gebrauchsmusiker – und zum Umhorchen im Nachbarland, prägt den Folk­musiker.

Der Volksmusikant: Die Liebe zum Gewachsenen, aus seinem erlebbaren Umfeld heraus, aber auch die pflegende Zuwendung als Identitätsstärkung prägt den Volksmusiker. Der Folkmusiker: Er bemüht sich auch um Aktuelles. Kritische gegenwartsbezogene Texte verlangen ein aufmerksames Pu­blikum und machen eine Bühnenproduktion erfolgreich. Der Volksmusiker wiederum schwört absichtlich oder instinktmäßig auf Werktreue, nämlich das Gehörte ebenso wiederzugeben. Hier hat das Lied seinen Sinn in der Wiederholung. Das Althergebrachte, das schon Be­kannte ist Inhalt eines musikalischen Tuns. Auch die Zuhörerschaft kennt Melodie und Text als eine Einheit und denkt nicht an Wahrheitshinterfragung.

Die Rückblendung auf die vergangene Zeit

Übrigens: Mit der Verurteilung von Volksliedtexten sollte man vorsichtig sein. Überlieferter Eigengebrauch kann natürlich aktualisiert sein, ist es aber in der Praxis nicht. Es handelt sich bei dieser musikalischen Praxis um eine Rückblendung, eben um ein Leben in gewohntem Klang. Dieser Eigengebrauch und diese Gepflogenheit sind erst dann zu hinterfragen, wenn Volkslied und Volksmusik aus dem eigentlichen Zusammenhang heraus­genommen und bühnenhaft präsentiert werden. Hier stoßen Oberflächlichkeit oder Heile-Welt-Gedanken junge Leute ab. Dieser eben erklärten künstlichen Szene bedienen sich auch die Medien. Sie stören zunehmend den Blick für das Wesentliche an der heimischen Musik.

Die Suche nach dem Eigenen

Wir beobachten, dass Folkmusiker zunehmend Interesse an unserer Volksmusik zeigen. Umgekehrt (das Interesse der Volksmusiker an der Folkmusik) ist dies kaum der Fall. Das ist auch verständlich. Österreichische Folkmusiker werden im Ausland zunehmend nach der eigenen österreichischen Folkmusik gefragt. Solche österreichischen Volksmusiknummern ergänzen das Konzertprogramm der Folkgruppen, machen es bunter und bereichern es, eben mit einer österreichischen Note. Was die Volksmusikgruppen betrifft, die, wie angemerkt, wenig Interesse an der Folkmusik zeigen, muss ich diese in zwei Ka­tegorien teilen:

  1. Gebrauchsmusikgruppen: Sie spielen Hochzeiten und Ballveranstaltungen und gebrauchen Lieder und Musik in dienender Rolle, ohne Anspruch auf Text-Aktualität, vor allem aber ohne Ausrichtung auf ein Kon­zertpublikum. Diesen Musikern gefällt zwar die Folkmusik, für ihre unmittelbare Aufgabe des Musikversor­gens hat sie aber keine Bedeutung.
  2. Volksmusikgruppen, die sich die Pflege von Volksmusik zur Aufgabe gemacht haben (Bühne, Produktionen etc.). Sie vertreten die einheimische Volksmusik vor allem bei Bühnenveranstaltungen, produzieren Tonträger etc. Sie könnten von ihrer Darstellungsrolle her am ehesten Folkmusik einschließen, tun es aber nicht, weil sie ihre Auf­gabe in der Pflege der authentischen Volksmusik sehen und ihr Prädikat „echt“ nicht gefährden wollen.

Das ist alles verwirrend, aber verständlich zugleich, wenn man die Thematik mit Sorgfalt hinterfragt und ge­wissenhaft erforscht. Das ist die eigentliche Aufgabe unseres Volksliedarchivs, und damit möchte ich zu zwei wesentlichen Punkten überleiten:

1. Zur Initiative „Folk in der Steiermark“

Das Steirische Volksliedwerk hat 1989 seine Sammel- und Dokumentationsaufgabe ausgedehnt. Von ihrer ursprünglichen Konzeption her sind die Volksliederarchive Österreichs Forschungs- und Pflegestätten von Volksmusik und Volkspoesie. Mit der Öffnung unseres Volksliedarchivs in Richtung „Folkmusik“ (übrigens auch in Richtung „volkstümlichen Schlager“) wurde, was die Sammeltätigkeit betrifft, kein grundsätzlich neuer Weg beschritten. Die Spezialisierung der Volksliedarchive auf die authentische Volksmusik war ja auch nur ein formuliertes Vorhaben. Zu jeder Zeit wurde auch – und das ist richtig so – die momentane Situation (auch Mode) der Sing- und Spielpraxis von den Forschern erhoben.

Der Sinn von „Folk in der Steiermark“

Neu ist hingegen die Erweiterung der Auskunftstätigkeit um die genannten Bereiche, die schon bald eine umfassende Information der Besucher ermöglichen wird. Da­hinter steht die Absicht, dem Fragesteller eher Möglichkeit der vergleichenden Information zu bieten, als durch Wertung eine Auswahl musikalischer Möglichkeiten vorwegzunehmen. Also: „Folk in der Steiermark“ heißt das von Andi Safer betreute Projekt zur Erhebung aller Belege der stei­rischen Folkszene. Damit meine ich die Aufsammlung von Bild, Ton, Publikationen, Biographien, Pressetätig­keit, Veranstaltungswesen.

2. Meine persönlichen Gefühle

Es wurde mir schon der Vorwurf gemacht, Folk und Volksmusik zwangsweise verbinden zu wollen. Wer die Musiker beider Richtungen kennt, weiß, dass hier nichts zwangsweise geschehen kann. Wenn wirklich so große Gegensätze niederzureißen wären, dann könnte diese heutige Veranstaltung nicht stattfinden. Ich empfinde es als ein besonderes Ereignis, dass seit geraumer Zeit zwei gar nicht so verschiedene Welten zusammenrücken. Das beiderseits praktizierte Suchen nach den Wurzeln, nach musikalischen Traditionen entspricht wohl auch dem Urbedürfnis der Menschen. Wo es dieses Suchen nicht gibt, herrscht „Heimatlosigkeit“. Doch Heimat ist ohne Fremde nicht erlebbar.

Ich schließe mit einem Appell

Musikalische Betätigung ist nie etwas Ausschließendes, sondern ist immer einschließlich ausgerichtet. Auf der Suche nach dem Grenzbereich, nach dem Nachbarlichen, Unbekannten, sind Vorurteile hinderlich. Die Liebe des einzelnen zu seinem musikalischen Schatz, seine besondere Beziehung zu Melodien und ihre Herkunft ist wesentlich. Ich bitte aber auch um Toleranz gegenüber all jenen, die einerseits mit dem Begriff Heimat nicht umgehen können oder wollen, und andererseits gegenüber jenen, die Angst um diese Heimat haben, die unsere Volksmusik vor dem Vergessen schützen wollen. Deren Rettungsversuche sind oftmals Störfaktor im natürli­chen Ablauf – d. h. Tradition –, deren ehrliche Sorge und Liebe darf aber trotzdem nicht belächelt werden.

Auf der Suche nach den Wurzeln der Folk- und Volksmusik geht es uns wie in allen Disziplinen: Der Mensch selbst steht im Mittelpunkt jeder Überlegung und auch jeder Beurteilung von Musik. Er selbst muss mitklingen.


Eröffnungsreferat beim 1. Bärnbacher Folk- und Volksmusiktreffen, in Bärnbach in der Weststeiermark, 4/ 1991; Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes, Wien, 1990/91; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.