Musikalisches im Wirtshaus

Eine historische Betrachtung musikalischer Er­eignisse und Praktiken im Wirtshaus ist hier nicht verlangt, doch hat gegenwärtiges Tun seine Wurzeln im Vergangenen.

Eine Rückblendung erscheint daher durchaus sinnvoll, doch soll vor allem die aktuelle Situation der Volksmusik im Wirtshaus aufgezeigt werden. Gemeint ist nicht die Konzerttätigkeit, das Veranstaltungswesen mit Vorführcharakter, jener vielfältige Bereich kultureller Aktivitäten, getragen von Vereinen, Ämtern und engagierten Menschen.

Es gibt eine klingenden Umgangssprache

Diese Feste, Feiern und Konzerte sind aber oftmals der Ausgangspunkt für „musikalische Geselligkeit“, für „hausgemachte Unterhaltung“, die im Zusammenhang mit der gastlichen Funktion des Wirtshauses ein faszinierendes Eigenleben entwickelt. „Das gibt es noch?“, lautet darauf die Frage. Gegenwärtige Forschungsberichte weisen ein überraschend starkes musikalisches Eigenleben des Steirers nach. Vor allem das Singen in Geselligkeit ist demnach nicht sosehr eine Domäne der ausgebildeten Sänger und Gruppierungen, sondern eines weit größeren Kreises von Menschen, die eine klingende Umgangssprache beherrschen, Texte und Melodien wie Redewendungen in sich tragen.

Die kostbaren Fertigkeiten erkennen

Dass von offizieller Stelle (1) das Gasthaus als Stätte musikalischer Kommunikation geschätzt wird, ist sicher ungewöhnlich, aber hoch an der Zeit. Es gibt noch viele Bereiche im Volks­leben, deren Besonderheit und wertvolle Funktion mit dem ersten Schritt auf die Bühne zum Ausstellungsob­jekt verkümmern würde. Im Klartext: Jener gurgelnde musikalische Brei einer unbestimmten Anzahl von sin­genden Menschen an der Schank eines x-beliebigen Gasthauses, ist der Beweis einer noch funktionieren­den Überlieferung von Text und Melodie, aber auch der Singmanier und gehört somit zu den kostbarsten Fer­tigkeiten. Es ist „Volksmusik“.

Die Behübschung der Überlieferung

Die Bewahrer und Hüter unserer volks­musikalischen Tradition waren bislang bemüht, der Volksmusik einen möglichst würdigen Rahmen zu geben, interessierte Kreise zu bilden, kurz: Sie, die Volksmusik, aus jedem zweifelhaften Milieu heraus­zuhalten, sie salonfähig zu machen. Hier hat sich eine Kluft hat sich aufgetan. Der „Donnerstag-­Abend-Probe-Volksmusik-Freund“ ist bewusst Volks­liedsänger, hat aber interessanterweise andere Lieder. Repertoire-Erhebungen haben ein deutliches Ausein­ander­klaffen jenes Repertoires von Ensembles von jenem der singenden Bevölkerung ergeben.

Das Dorfwirtshaus wird heute beschallt

Volksgesang ist zuallererst eine Frage der Begeg­nung. Begegnung nicht einer Auswahl derer, die sin­gen wollen, sondern derer, die miteinander arbeiten, leben, feiern und trauern. Freilich: In der Regel domi­niert heute die Beschallung. Stimmung in Gasthöfen wird mittels Lautstärke gemacht. Wohlbefinden wird klanglich ,,vorgespielt“. Lassen wir uns aber nicht täuschen! Am Lande ist das Dorfwirtshaus noch vielfach das Zentrum allen Geschehens und da gehört das Brauchtum dazu.

Von ihrer zentralen Lage her sind die Gasthäuser seit jeher Kristallisationspunkt dörflichen Lebens. Der Tritt über die Schwelle einer Gaststätte ist zu­gleich auch Eintritt in die große Gemeinschaft einer Gemeinde, die sich hier in vielschichtiger Zusammen­setzung begegnet. Konkurrenten, Partner, Freunde, Feinde sind in der örtlichen „UNO“ einfach Men­schen dieser Erde. Das ist die traditionelle Aufgabe einer Gaststätte, die vor allem „beherbergt“, nicht nur Gaumenfreuden beschert, sondern auch zur Ge­selligkeit animiert, Spannungen abbaut oder ihnen endlich zum Ausbruch verhilft. In diesem Milieu liegt auch ein volksmusikalischer Ansatzpunkt. Lebendiges Musizieren ist der musikalische Ausdruck regionalbe­zogener Musik- und Singpraxis, geprägt vom Perso­nalstil musizierender und singender Menschen, die ihre Liedweisen zumeist direkt aus der Überlieferung übernommen haben.

Der Nährboden für Geselligkeit

An solchen Menschen fehlt es uns heute keinesfalls, sondern an einem brauchbaren Nährboden, an einer ständigen Begegnung, bei der der musikalische Dialekt des Landvolkes im besten Sinne des Wortes gepflegt wird. (2) Wer kann Volksmu­sik eindrucksvoller vermitteln, als es die Begegnung und die Wiederholung der Begegnung mit der Musik unserer Vorfahren zustande bringen? Hier rückt zweifellos das Gasthaus in den Mittelpunkt eines musikalischen Überlieferungsprozesses.

Lesen, Sprechen, Rechnen und Singen lernen sind Inhalte des Schulunterrichts. Einen richtigen Rosshan­del erlernt man hingegen im Umgang mit den Händ­lern und beim Handel selbst. Redewendungen und die Verständigung mit seinen Nachbarn erlernt man – ­wie die Volksmusik – im Umgang mit seinen Landsleuten. Volkskultur ist Alltagsleben, eine Verflechtung von Notwendigkeiten mit dem täglichen Ritual des Zusammenlebens von Menschen.

Die musikalische Umgangssprache

Musikalische Umgangssprache stellt keinen Anspruch auf Perfektion. Der Versuch allein ist schon ein vollwertiges Ereignis und ist nicht auf Zuhörer abgestimmt. Die Bedeutung liegt allein im Tun der Menschen, die in ihren Liedern Freude, Geselligkeit, Wehmut und Übermut zum Ausdruck bringen. In einer Zeit der perfekten Beschallung, des Transports von Musik in einer nie dagewesenen Fülle und Qualität laufen wir Gefahr, Musik machen zu lassen und zu verstummen.

In steirischen Gaststätten, bei Almkirtagen und Festen im Dorf lebt auch heute noch eine kunstvolle Singpraxis, und es gibt beachtenswerte musikantische Fähigkeiten als Gebrauchsmusik für den täglichen Bedarf an Geselligkeit.

Das Bündnis zwischen Wirt und Musikant

Das Steirische Volksliedarchiv sammelt Belege zum gegenwärtigen musikalischen Geschehen, forscht nach den eigentlichen Gründen und Voraussetzungen für diesen klingenden Bestand. (3) Volksmusikförderung beginnt heute bei der Beratung für den Umbau eines Gasthauses, bei der Schaffung von Begegnungs – Mög­lichkeiten von Jung und Alt, und wird ergänzt durch Hilfen aus dem Volksliedarchiv, Anfragen betreffend Melodien und Texte. Das Bündnis zwischen Wirt und Musikant, zwi­schen Wirtshaus und Musik ist alt und bewährt. Viele Liedertexte handeln vom Wirt oder der Wirtin, noch lieber von der Kellnerin. Was dokumentiert die Achse Musikant – Wirt jedoch besser, als der Ausspruch des noch aktiven Hochzeitsmusikanten Ferdinand Zwanzger (Stiwoll/Weststeiermark), der nach einer am frühen Morgen zu Ende gespielten Hochzeit ausruft: „Leutln geht’s hoam, dass da Wirt a no wås von seiner Wirtin hat!

Bildungshaus Gaststätte

Das Volk hat in vielen Liedern die Zufluchtstätte Gasthaus, aber auch die vielfältige Wirkungsweise des „Weins“ poetisch beschrieben. (4) Ein guter Wein garan­tiert natürlich nicht für den besseren Gesang, doch soll daran erinnert werden, dass eine maßvolle Zu­wendung zum edelsten aller Getränke auch ein „Sich leichter Reden“ bewirkt. Eine Warnung sei hinzuge­fügt: Ein Zuviel des Guten hat Sprechen schon oft be­hindert. Gesang kann darunter leiden, die Zuhörer nicht minder.

Trotz obligater Musikbox und Stereoanlage lebt in unseren Gaststätten, von kulturellem Veranstal­tungs – Geschehen und Modetrends unbeeindruckt, eine kraftvolle musikalische Tradition und zieht sich als starkes Band durch die Generationen. Unsere Gast­stätten waren immer schon das Bildungshaus für mu­sikalische Kleinkunst.

Im „Kulturhaus Gasthaus“ liegt die Chance für bewahrende und befruchtende Überlieferung, aber auch Veränderung, vor allem aber für ein musikali­sches Eigenleben der Steirer, nämlich für Volks­musik.

Anmerkungen:

1 Das Steirische Volksliedwerk beim Landesjugendreferat der Steiermärkischen Landesregierung ist Förderungsstelle für Volksmusik in der Steiermark. Neben Forschungstätigkeit, Verwaltung des Steirischen Volksliedarchives, Herausgabe von Publikationen und Durchführung von Lehrgängen ist das Steirische Volksliedwerk Initiator der Aktion ,,Wieder aufspiel’n beim Wirt …“ und verleiht zusammen mit der Wirtschaftskammer Steiermark und der Steirischen Brauindustrie das Prädikat „Musikantenfreundliche Gaststätte“.

2 Allgemein zur Problematik Volksmusikpflege: Härtel, Hermann: „Liederbücher singen nicht …“, Feuilleton in: „Infomationen“, Zeitschrift der ÖVP-Steiermark, 1988. Härtel, Hermann: „Initiativen zur Förderung der Gebrauchsmusik“, Kurzreferat bei der Arbeitstagung des „Forum Volkskultur“, Graz 1987, Sonderdruck: Steirisches Volksliedwerk. Härtel, Hermann: ,,Wege der Vermittlung von Volksmusik mit besonderem Bezug auf jüngste Feldforschung in der Steiermark“. Vortrag in Zagreb 1986. Sonderdruck: Steirisches Volksliedwerk. Härtel, Hermann: „Eine musikalische Erlebniswelt öffnen – vordringliche Aufgabe der Volksmusikpflege“, in: Niederbayrische Volksmusikblätter 1986. Härtel, Hermann: „Die missverstandene Volksmusik“, in: Der Fröhliche ­Kreis, 1988. Härtel, Hermann: „Volksmusik, wo bist du?“, in: Sänger- und Musikanten­zeitung, Bayern 1985.

3 Allgemein zur Volksmusik im Wirtshaus: Deutsch, Walter: „Warum Volksmusik im Wirtshaus?“, in: „Der Vierzeiler, 7. Jg., Nr. 2, 1987, herausgegeben vom Steirischen Volksliedwerk, Graz. Grabner, Franz: „Musik im Gasthaus – Förderung von Geselligkeit und Kultur“. Lendl, Hubert: „Der Musikantenstammtisch – eine Werbung fürs Wirts­haus?“. Deimbacher, Franz: ,,Vom Wirtshaus in der Liedersammlung des Prof. Johann Gollob“. Härtel, Hermann: „Musikantenfreundliche Gaststätten in der Steiermark“ (alle Beiträge in: „Der Vierzeiler“, 7. Jg. Nr. 1, 1987, herausgegeben vom Steirischen Volksliedwerk, Graz). 

4 Allgemein zum Repertoire: Im Gasthaus werden alle Liedgattungen gesungen. Es gibt aber auch spezielle Lieder, die vom Wirtshaus handeln: z.B.: „Schön långsåm, schön långsåm, schön långsåm gehn ma hoam bei da Nåcht …“, „Weint mit mir ihr Wirte und ihr Bräuer, denn das Bier ist schlecht und doch sehr teuer …“, „Håt der Wirt von seine Gäst, den letztn Kreuza aussapreßt …“, „Frau Wirtin, wås san ma denn schuldig, åber zåhln tua ma net …“, „A hålbe Wein, hålbe Wein, a Lita ist zu viel …“ usw. Siehe auch: Holaubek-Lawatsch, Gundl: „Lieder vom Wein im Steirerland“, in: „Das Buch vom Steirischen Wein“, Vinothek-Verlag 1985.


Beitrag im Katalog zur steirischen Landesausstellung „Weinkultur“ in Gamlitz, 1990; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Zeitschriftenschau des Steirischen Volksliedwerkes, 1/ 1990
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