Tonband – oder Volksmusikfreunde?

Es kann mir nicht darum gehen, den technischen Geräten den Kampf anzusagen, wenn ich eine nicht nur mir lästig gewordene Gepflogenheit zur Diskussion stelle. Die Unsitte nämlich, bei verschiedenen Volksmusik- und Volkstanzveranstaltungen mit einer möglichst kompletten technischen Ausrüstung – Tonband, Kabel und Mikrophon – ­aufzukreuzen und diese mitten in das stimmungsvolle Geschehen hineinzustellen.

Alle Ehre dem Tonbandgerät mit allen seinen so perfekt technischen Finessen. Alle Ehre auch jenen, die uns mittels Magnetband viele Musikstücke erhalten haben oder unsere Musik über die Rundfunkwelle auch anderen Hörerschichten näher bringen. Die Tonband­aufzeichnung hat die Übermittlung und Verbreitung von Melodien sicher beschleunigt und um vieles erleichtert.

Von der Nachahmung zum Einheitsbrei

Ist die Vielfalt unserer Volksmusik aber nicht auch dem Umstand zu verdanken, dass es früher diese Mittel nicht gab? Wir können heute doch in vielen Fällen nicht mehr von Vielfalt sprechen, da man die eine Volksmusikgruppe von der anderen nicht mehr unterscheiden kann. Und ist nicht daran vor allem die oftmals bewusst präzise Nachahmung anhand eines Tonbandes schuld? Und ist nicht die neuerdings große Beliebtheit, unsere alten Instrumente nach einem Lehrwerk zu erlernen, daran schuld? Das Wort „überliefern“ müsste also durch das Wort „kopieren“ ersetzt werden.

Kopieren oder nachempfinden

Jene feine Veränderung, die durch die mündliche Überlieferung ein Musikstück immer wieder neu erklingen lässt und immer wieder den ganz persönlichen Stil des jeweiligen Musikers verkörpert, ist doch großteils weggeblieben. Trotz des natürlichen Konkurrenzempfindens waren das Abhören und das Nachspielen bisher üblich und ohne weiteres akzeptabel. Diese Methode erfordert immerhin eine gewisse Aufmerksamkeit und Musikalität. Das Kopieren aber bis ins kleinste Detail stellt zum einen den Kopier-Musikanten in kein besonderes Licht und schadet vor allem der Vielfalt, die durch die eigene Interpretation auf alle Fälle gegeben wäre.

Von diesem Grundgedanken gehe ich aus, wenn ich es nahezu belächeln muss, wenn immer wieder dieselben Leute dieselbe Musik aufnehmen.

Eine zweifelhafte Liebhaberei?

Nicht nur, dass ich annehme, dass sich diese Tonbandfreunde, die zumeist gleich Musikanten sind, die Stücke nicht merken können. Nicht nur, dass es (wenn es sich um Nicht-Musikanten handelt) eine zweifelhafte Liebhaberei sein muss, wenn man neben dem Musikgenuss auch noch seine Kabel-, Mikrophon- und Aussteuerungssorgen auf sich nimmt.

Es hat schon beinahe den Anschein, als ob man mit Mikro und Stativ ausgerüstet den besseren Volksmusikkenner abgibt, als es alle anderen Gäste im Saal sind. Sogar bis in den privaten Kreis, wo man endlich einmal für sich musizieren will, verfolgt der „Kabelverleger“ hartnäckig sein Opfer.

Rücksichtnahme und Respekt

Es sei hier einmal vermerkt, dass alle jene Musikliebhaber viel mehr zu schätzen sind, die dem „Live-Erlebnis“ zuliebe keine technischen Hilfsmittel mitbringen. Es würde auch keinem Wagner-Freund einfallen, mit Tonband und Mikrophon im Konzertsaal zu erscheinen. Daher ist all jenen zu danken, die aus Rücksichtnahme und Respekt den Musikern gegenüber, ganz absichtlich ihr Gerät daheimlassen. Sie sind die wahren Musikkenner und -liebhaber, weil sie Stimmung und ­Atmosphäre erleben und nicht unbedingt konservieren wollen.

Anders ausgedrückt: Es ist ein Zeichen einer gewissen Reife, wenn man den Augenblick so genießen kann, dass man auf eine noch so perfekte Stereo-Wiedergabe im eigenen Wohnzimmer gerne verzichtet.


„Der fröhliche Kreis“,  1/ 1979; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.