Die Bassgeige

Sie wurde von uns immer „Großmutter“ gerufen, weil sie schon so alt war. Später – wir bekamen gerade eine neue – hieß sie plötzlich „Gretl“. Das nicht nur, weil sie eben jung war. Der lange Hals ragte immer bis in die vorderste Autositzreihe, und einer von uns musste dann notgedrungen mit der Gretl „halsen“.

So könnte man unzählige Geschichten über die große Geige schreiben. Ihr sperriges Ausmaß macht eben zuweilen Schwierigkeiten. Sie ist jenes Instrument, das deshalb oft draußen vor der Tür stehen muss, weil für das große Ding kein Platz vorhanden ist. Nennen wir sie die Ausgestoßene, nicht selten auch die An- und Umgestoßene. Was muss der Kasten nicht alles aushalten? Ja – man mutet dem Kontrabass einfach zu viel zu, denn, der Vergleich mit der 4/4-Violine lässt die Bassgeige riesenhaft und kräftig erscheinen; die Zahn­räder der Mechanik, die Schnecke, die dicken Saiten und der überdimensionale Steg.

Der Platz für die Schnapsflasche

Ja – sie ist wahrlich gut gebaut, und nicht selten ist eine arge Invalidität über­haupt kein Hindernis, um nach wie vor öffentlich aufzutreten. Da gibt es einen Bassgeiger, der hat im faustgroßen Loch des schadhaften Bodens die Schnapsflasche hängen. Ein anderer hat nach dem Verlust einer Saite einen ganz gewöhnlichen Hanfstrick als Ersatz aufgezogen. Und siehe da: Sie – die neue Saite – verrichtet, wenn sozusagen alle Stricke reißen, tadellos ihren Dienst.

Mit dem Ellenbogen, dem Hals und dem Hinterfuß

Kurz und gut: Sie ist ein Sonderling in der Reihe unserer Volksmusikinstrumente und für die Musikanten ein alltägliches Anhängsel. Freilich passt dies zierliche Wort keineswegs zur Schlepperei! Wer macht sich schon Gedanken, wenn er kurz vor dem Feste eintrifft: Der Bassist. Mit dem Ellenbogen ertastet er die Türschnalle des Bühnenaufganges. Mit dem rechten Fuß den Türflügel zurückhaltend, schiebt er das Monstrum mit Gepolter durch die Öffnung. Mit der Linken hält er krampfhaft die Zarge, während er sich mit dem Kinn am Hals des Instrumentes festklemmt.

Für den Musiker bewirken diese Umstände ein regelrechtes Naheverhältnis, und es scheint, als wäre des Bassisten zweites „Ich“ ihm mit allen seinen Unannehmlichkeiten und Freuden sehr verbunden.

Der Pulsschlag jeder Tanzmusik

Freuden deshalb, weil es schön ist, gebraucht zu werden. Was wäre wohl unsere Tanzmusik ohne den unterschwelligen Brummton, der nicht nur am Tanzboden, sondern auch im hintersten Winkel des Saales noch deutlich zu vernehmen ist. Er ist es, der der Musik den letzten Schliff gibt und gleich einem Pulsschlag dem Tanz Lebendigkeit verleiht.

Und ein schönes Bild ist’s auch: Der aus dem Kreise der Musikanten heraus­ragende lange Hals, der hölzerne Korpus, dessen geschwungene Zargen dem mächtigen Instrument graziöse Züge verleihen, und die kraftvolle Bogenbewegung, die alle herzliche Musizierfreude sichtbar zum Ausdruck bringt.


Plauderei über Musikinstrumente. Der Fröhliche Kreis, 3/ 1977; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.