Musik hat einen Anfang

Auf der Einladung zu unserem Seminar wird Ihnen, liebe Eltern, die Verantwortung für die erste Musikerziehung zugeschoben. Es war längst fällig, wieder einmal auf diese frühe Früherziehung hinzuweisen. Es handelt sich zwar um einen alten Hut, aber selbst der gehört manchmal gelüftet.

Wir bieten dieses Seminar an, das Hintergrundwissen ebenso vermittelt, wie die praktischen Übungen, das die Eltern ebenso fordert wie die jungen und jüngsten Teilnehmer. Wir werden gleichermaßen reden, singen und spielen.

Und nun möchte ich nur einige wesentliche Argumente anführen, warum wir – das Steirische Volksliedwerk – uns diesem Thema annehmen. Uns geht es nämlich nicht um die Rettung der alten schönen Kinderlieder. Um was dann?

1 Kindsein und Erwachsenwerden

Erwachsenwerden beginnt mit dem Eintritt ins Leben. Weisheiten, Redensarten, und auch Lieder müssen mitwachsen können – so wie es auch die Unarten tun!! Kinder leben in einer Erwachsenenwelt und nicht in einer Kinderwelt, auch wenn wir Erwachsenen ihnen ihre Kindheit schützen möchten, sie in Kindertapeten einhüllen, sie in Kinderecken stecken. Kinder mögen es nicht so sehr kindlich behandelt zu werden. „Die Tante ist so kindisch“ – das ist ein typischer Vorwurf aus dem Munde eines 4-jährigen Kindes. Das Spiel ist eben nur Spiel, das Zusammenspiel mit den Eltern ist aber die Zeit der Speicherung von Familiensinn und der Rituale. Sie bleiben den Kindern als Bilder im Gedächtnis und deshalb bedarf es auch für Musik der Bilder, der Vorbilder und der schönen Augenblicke. Da geht es  noch nicht um Musikerziehung, sondern um das Einbetten von Erlebnissen in Gerüche und auch in Melodien. Das ist kindergerecht, denn Kinder fotografieren heute und entwickeln morgen.

Und was nun die Musik betrifft: Liedbesitz als Erinnerung einer erleben Kinder-Klangwelt ist eine Gefühlsspeicherung. Jede Form der hohen Kunstmusik, jedes Zusammenleben in Partnerschaft, jede Teambildung im Berufsleben profitiert von diesem musikalischen Fußbad.

Wenn Kindern den Empfindungen wie Sattsein, Geborgensein, Trockensein die Klangempfindung mitgemischt wird, so ist dies die erste hausgemachte Musikerziehung, die Gemütsliegewiese, auf der alle in die Wiege gelegten Fähigkeiten gedeihen können und dazu gehören eben nicht nur die musikalischen.

Das ist ein wichtiger Vorbau für die weiteren Jahre, denn: In der Schule wird zwar gehegt und weiterentwickelt, im familiären Humus jedoch haben Töne die Keimzeit, so zwischen dem Türpfosten, dem Sesselfuß und dem Abfallkübel – um einmal aus der Kleinkindperspektive zu plaudern.

Und noch ein Wort zu Überlieferung: Es ist wohl unbestritten dass Singen gesund ist, dass es Spaß macht, dass es köstliche Kinderliedtexte, wertvolle Melodien gibt. Der eigentliche Wert steckt aber in der Beziehung, die durch das Singen gefestigt wird. Es sind die Lieder von der Mutter, von der Großmutter und vom Vater. Das macht sie wertvoll und das ist mit ein Grund, warum Singen mit Kindern zum Klebstoff zwischen den Generationen wird.

2 Zur allgegenwärtigen Klage: Es wird nicht mehr gesungen

Das mag jeder von Ihnen anders empfinden und jeder von Ihnen wird im eigenen Umfeld und in der Schule andere Erfahrungen gemacht haben. Wir stellen mit Freude fest, dass es neue Wege des Singens gibt, dass bei gesellschaftlichen Anlässen gerne gesungen wird. Auf dieses Singen in Geselligkeit wird von den Musikgebildeten immer noch – weil es mehr mit Emotion als mit Ästhetik gepaart ist – mit gerümpfter Nase hinabgesehen. Das ist ein schwerer Fehler – hier wäre viel nachzuholen um dem Sinn von Musik wieder einmal näher zu kommen. Die kleinsten Feste in Familie und Nachbarschaft sind besonders wichtig und an ihnen sollte sich ein Teil der Musikerziehung – nämlich das Kapitel Singen – orientieren.

Da bedarf es keines vierstimmigen Satzes und keiner Stimmgabel, sondern der Kenntnis der richtigen Lieder für den jeweils richtigen Augenblick. Das ist immerhin eine Spezialdisziplin. Da geht es nicht nur um Kinderlieder, sondern um Ihren persönlichen Liedbesitz, den Kinder fürs Leben mitnehmen. Kinder wollen wie Vater und Mutter sein, essen und singen. Ihr Menüplan besteht ja auch nicht ausschließlich aus Kinderteller Pinocchio und Griesbrei, nur weil Sie nun zwei neue Erdenbürger am Mittagstisch haben.

Falls es aber tatsächlich stimmen sollte, dass zuhause nicht mehr gesungen wird, dann wäre doch längst ein Anfang zu machen, – wir helfen Ihnen dabei. Ja, die Musikerziehung ins Elternhaus tragen – müsste es heute heißen, man müsste einfach dem „Mutter-Kind-Turnen“ das „Mutter-Vater-Kind-Singen folgen lassen.

3 Ein Wort zum Musikverbrauch

Ich weiß schon: Musik in der Familie erklingt heute auch aus dem automatischen Radiowecker, dem eingebauten Lautsprecher im Badezimmerspiegel, aus der Decke im sogenannten stillen Örtchen, als Morgenjournal beim Frühstück, als Abendkanal beim Abendessen, als abgehacktes Sprachgewirr eines Actionfilmes beim Einschlafen im Nebenraum, als heißer Rhythmus beim Familienausflug im Auto und als Zerstreuung beim Wochenendspaziergang durch den stillen Wald – mittels Hörstöpsel im Ohr. Wir leben inmitten der Beschallung und vielleicht ist gerade diese Über-Belieferung Anlass für das Auftauchen von Sehnsucht nach den feinen, eigenen Tönen? Mein Ratschlag: Sie brauchen diese Sehnsucht nur zu stillen.

4 Lebensqualität und Wertschöpfung

Wenn Sie das Beste für Ihre Kleinen tun wollen, -Singen ebenso wie Instrumentalunterricht – so schieben Sie bitte das Singen und Musizieren nicht vor sich her, bis sich die Schule darum annimmt. Machen Sie die Früherziehung zu Ihrem Anliegen und geben Sie Ihren Kindern Melodien und Instrumente mit auf den Weg. Wenn Ihnen dann das Erlernen eines Instruments ein ernstes Anliegen – und nicht nur ein Hobby – ist, dann besorgen Sie zu Anfang gleich zwei Flöten oder zwei Gitarren. Lernen Sie mit Ihrem Kind mit. Es gibt für das Kleinkind keinen schöneren musikalischen Augenblick als jenen, wenn es mit Mutter, Vater oder auch mit den Geschwistern gemeinsam die Tür zur Musik aufstoßen darf.

Und: Pflegen Sie in der Familie musikalische Rituale, Geburtstage, Feiertage, Ausflüge – das sollten die ersten Erfahrungen für eine Musik sein,  die die jüngere mit der älteren Generation zu verbinden vermag. Lassen Sie das Kind mit dem Instrument spielen, – nicht nur üben – sondern spielen. Sorgen Sie dafür, dass das Instrument auch den nachfolgenden kleineren Geschwistern zum Spielen in die Hände fällt, denn griffbereite Instrumente – gleich neben dem Teddybären – sind musikfördernd. Scheuen Sie keine Kosten für anfallende Reparaturen und Neukauf, Sie tun dies auch nicht beim Rasenmäher und beim Schlauchboot.

Und nun zu unserer Institution:

Das Steirische Volksliedwerk verfügt nicht nur über einen reichhaltigen Schatz alter und neuer Lieder, sondern ist darüber hinaus Forschungs- und Förderungsstelle für Volkslied und Volksmusik. Durch die gewonnenen Erkenntnisse setzt das Steirische Volksliedwerk mehr denn je auf die Bedeutung der Überlieferung, auf Musikübermittlung durch Miterleben. Auch Tischsitten sind ja nicht in der Schule zu lernen, sie sind ein Ergebnis aus dem erlebten Gegenüber.

Was bieten wir Ihnen an?

Dieses Seminar als Auftakt eine Reihe für Mutter Vater und Kind, ein umfangreiches Jahresprogramm zur Aneignung von Liedbesitz, zahlreiche Publikationen und speziell den Liederdienst des Volksliedwerkes.

Melden Sie sich, wenn Sie Texte oder Melodien vergessen haben, holen Sie sich Anregungen in unserem Archiv.

Ganz aktuell: Die eben erschienene CD “Kinderlieder hopsassa, als Anregung mitzusingen und viele Sprüche, Tänze und Lieder wieder selber mit Kindern zu singen.

Unterstützen Sie bitte unser Engagement und werden Sie Mitglied des Volksliedwerkes. Eine Familienmitgliedschaft begünstigt Sie in vielfacher Hinsicht und ermöglicht es uns, Ihnen immer wieder neue Angebote zu unterbreiten.

Ein paar Worte zum Abschluss

Es fehlt nun noch die Überlegung, ob unser Seminarinhalt eine Entsprechung in der Kulturpolitik Österreichs findet. Da dürfen wir uns nicht ganz sicher sein, bzw. wir sollten nicht aufhören für das Werden von Musik – für die Basisarbeit – ein Mehr an Engagement zu fordern.
Wir haben es mit dem Thema „Erste Töne für Mutter und Kind“ im Musikland Österreich einigermaßen schwer, neben den tanzenden Lipizzanern zu bestehen. Zum anderen glaube ich, dass sich die Erkenntnis durchsetzen wird, dass es der musische Mensch ist, der den vielen Anforderungen einer zunehmend technisierten Zukunft gewachsen sein wird.

Es fällt mir nicht allzu schwer, heute eine Verbindung zwischen unserem Seminar und dem aktuellen Weltgeschehen herzustellen. Es mag schauerlich beeindrucken wozu der Mensch nach all den Jahren der Friedensschwüre fähig ist, welche technischen Mittel und Strategien im Spiel sind, welche Wortwahl in dieser Auseinandersetzung zum Standard erhoben wird. Dem haben wir nicht Ohnmacht entgegenzusetzen, sondern das feine Netzwerk der jungen Familien. Familiensinn ist die Keimzelle von Geborgenheit, eine machtvolle Achse des Guten, eine weltweite Verschwörung im positivsten Sinn. Das Heranziehen von musischen Menschen, das Mitgeben von positiver Energie – auch in Melodie und Poesie – das ist die eigentliche permanent arbeitende Weltfriedenskonferenz, an der jeder von uns mit Sitz und Stimme seinen Anteil haben kann.

Dieses Seminar  – mit seiner außergewöhnlichen Konzeption der Bündelung von Fachwissen und praktischer Unterweisung, der Verpflichtung von hervorragenden Vortragenden und Referenten in den Arbeitsgruppen – ist eine besondere Leistung unseres Volksliedwerkes und daher möchte ich zu Beginn dieser Tage für die umsichtige Vorbereitung besonderen Dank aussprechen.


Einführung in das Seminar „Kinderlieder Hopsassa“ Evangelisches Bildungshaus Deutsch-Feistritz, 3/2003; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.