Der gute Nikolaus

Was sich damals in Zitoll tatsächlich zugetragen hat…

Bekanntlich ist es ja so, dass sich der Nikolaus schon ein paar Tage vor dem Nikolotag umsieht, ob die Kinder so halbwegs brav sind und sich ein Besuch lohnt.

Der alte Nikolaus ist ein hochbetagter Mann und wir dürfen ihn nicht überfordern, wenn wir ihn noch ein paar Jahrhunderte erhalten möchten.

Der alte Mann versteht sein Geschäft…

Um sich persönlich ein Bild zu machen, schaut er in diesen dunklen Tagen auch gerne einmal durch die Fenster, lauscht an der Tür und beobachtet die Kinder auch mittels Fernrohrs. Das ist durchaus erlaubt, denn die von den Menschen gemachten Datenschutzgesetze gelten für den Himmelsboten natürlich nicht, sie sind ihm viel zu weltlich, dem alten Herrn.

Bei den Härtel-Kindern in Zitoll war eine solche Vorgangsweise nicht unbedingt angebracht, denn der Heilige Mann wusste längst von früheren Besuchen, dass es sich um gar artige Kinder handelt, die auch gerne und schön singen.  

Und so trug es sich zu…

dass der Nikolaus im Jahre 1994 wieder einmal in Zitoll unterwegs und – siehe da –  aus dem Hause Zitoll 105 schrilles Geschrei zu hören war. Erstaunt stellte der gute Mann seinen Schimmel samt Kutsche an den Wegerand und lauschte verstört den Zornestönen:

Wenn Du noch einmal alles liegen und stehen lässt und mir es überlässt, den Dreck wegzuräumen, dann…… Wer hat versprochen, mir bei den Weihnachts-Vorbereitungen zu helfen? Und jetzt ist keiner da!…Was, schon wieder eine solch schlechte Note. Ich habe Euch doch gesagt, in der Schule verlange ich mehr Disziplin als zu Hause….Jetzt kommt einmal alle her: So geht das nicht weiter…Und Euer Vater wird auch heuer wieder seine Sitzung haben am Nikolausabend. So eine Enttäuschung, uns allein zu lassen, wo doch die Bartln so gefährlich sind…

Der Nikolaus schüttelte betrübt sein Haupt…

machte sich in seinem goldenen Buch Eintragungen und war zutiefst enttäuscht von dieser Familie, die es offensichtlich verstand, alle Zwistigkeiten bislang hinter schönen Tönen zu verstecken. Der Nikolaus pfiff mit den Fingern, der Schimmel legte sich ins Zeug und das Gefährt reiste von tannen.

Die verstörenden Streitgespräche gingen dem guten Mann nicht aus dem Sinn. Einige Tage später kam er Nächtens aus bloßer Neugier wieder zurück und beobachtete die Mutter der Kinder, wie sie erschöpft und abgehärmt die Fenster putzte und schmückte, den Stiegenaufgang kehrte und sich den Schweiß von der Stirne wischte. Vom Vater war weit und breit nichts zu sehen. Er und die Kinder lagen schon längst in den Betten, also arbeitete die arme Frau bis spät in die Nacht hinein, um der vorweihnachtlichen Beschaulichkeit etwas Würde zu verleihen.

Die Schutzengel waren auf Zeitausgleich

Der Nikolaus aber entschied sich spontan, ein paar tröstende Worte mit der überlasteten Frau zu wechseln. Und da geschah es: Er stolperte über die vielen Schlitten, welche die Kinder am Abend – trotz Ermahnung – nicht weggeräumt hatten. Da es dunkel war, fiel der Heilige so unglücklich, dass er nicht mehr selber aufstehen konnte.

So nein Pech: Seine sonst so verlässlichen Schutzengel waren gerade alle auf Zeitausgleich und so war es schließlich die Mutter der schlampigen Kinder, die seinen Aufschrei und dann eine weinerliche Stimme hörte. „So helft mir doch..“. Die Mutter entdeckte den Nikolaus zwischen den vielen Schlitten eingeklemmt, lief ins Haus und verständigte den Notarzt. Die gute Frau konnte stundenlang nicht einschlafen, ob des großen Unglücks – und das nur eine kurze Woche vor dem Nikolaustag.

Der nächste Tag brachte die traurige Botschaft:

Der Heilige Nikolaus hat sich den rechten Fuß gebrochen und es war anzunehmen, dass er – der Gute und der Verletzte – das Haus in Zitoll forthin meiden wird. Am Nikoloabend aber, war die Stimmung im Härtel-Haus schwer getrübt, denn alle fünf Kinder wussten vom Unglück und waren überzeugt, dass es heuer keinen Besuch des Nikolos geben wird, eher noch war der Besuch des wilden Krampusses zu befürchten.

Alle saßen um den Stubentisch, knabberten an den Fingernägeln, es erklang kein Lied und allen Kindern standen die Tränen in den Augen. So fühlt es sich also an, wenn man große Schuld auf sich geladen hat. Immer wieder war ein tiefes Seufzen zu hören. Was soll ich sagen? Es wurde beträchtlich spät und die Hoffnung schwand.

Dann klopfte es doch an der Tür

Die Kinder staunten, denn vor ihnen allen stand der Heilige Nikolaus. Aus seinem festlichen Umhang aber blitzte der schneeweiße Gipsfuß hervor. Er humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Stubentisch und setzte sich schwer schnaufend nieder.

Wie seltsam, Nikolaus war – wie all die Jahre zuvor – gut gelaunt, begrüßte die Familie, erzählte von seiner schweren Aufgabe, von armen Kindern in der ganzen Welt und ließ schließlich aus seinem großen Sack Äpfel, Nuss und Mandelkerne auf den Tisch purzeln. Voll Dankbarkeit begann die Mutter die Lieder zu singen und die Kinder griffen zu den Instrumenten…

Noch nie aber haben sie die Lieder so kraftvoll gesungen, den Instrumenten so wahrhaftige Töne entlockt, befreit von aller drückenden Sorge. Diese weihevolle Stunde war offensichtlich der Dankbarkeit geschuldet, weil der Heilige Mann sie nicht nur beschenkt hat. Nein, er hat sie mit seinem Handeln für belehrt: Was auch immer Schlimmes passiert, man soll nicht nachtragend sein.


Kinder und Enkelkinder bevorzugen Geschichten, die sich „tatsächlich“ zugetragen haben. Dies ist die Adventsgeschichte 2020; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.