Nachruf für die Steiner Gretl 1923 – 2013

Herr Pfarrer, liebe Familie Steiner und liebe Freundinnen und Freunde der Verstorbenen!

Es ist nun still geworden im Gedenken an eine besondere Steirerin und das macht uns sensibel genug für die kleinen, köstlichen Nuancen der Gretl, die uns bislang vielleicht entgangen sind. Alleine der Name verdient es, näher betrachtet zu werden: Die Gretl Steiner ist uns ja allen besser als die „Steiner Gretl“ geläufig. Die von allen vorgenommene Umkehrung mag ja vielleicht Nebensache sein und dennoch: Markennamen haben es in sich und die „Steiner Gretl“ ist zu einem solchen geworden und zu einer Ikone, deren Konturen sich einprägen, wie es die Silhouette des hohen Dachsteins ebenso veranschaulicht.

Die Ikone und ihr Markenname

Sich von der Gretl zu verabschieden bedeutet, nunmehr das endgültige Verklingen zweier Stimmen hinzunehmen. Jene der Gretl und jene Stimme des Heli Gebauer, der sich im Umgang mit seiner langjährigen Begleiterin eines weiteren prägnanten Markennamen bedient hat. Er sprach sie niemals mit dem Vornahmen an, er nannte sie einfach die „Steinerin“. Ja, es war mitunter köstlich, wie sich die beiden gerne per Familiennamen tituliert haben. Heli im Originalton: „Steinerin tua weida, sing ån“ Die Gretl darauf: „Jå, tua hålt Du oan, Gebauer“. Ich frage Euch alle hier: Ist es nicht schön, die beiden nachklingen zu hören?

Der Hang zur blanken Unverblümtheit

Und jetzt legen wir die Gretl in die Heimaterde und ich denke, dass sie sich nunmehr kein Aufhebens und keine Dramatik gewünscht hätte, dass sie eher dem klaren Worte zugetan wäre. Denn Zeit ihres Lebens war sie nämlich eine, die sich kein Blatt vor dem Mund genommen hat und lustvoll angeeckt ist. Schon deshalb verdient sie nun auch die blanke Unverblümtheit:

Die Gretl war eine, die das Gestern nie ablegen konnte, eine die sich ihr Weltbild selbst zugeschnitten hat und die auch damit gerechnet hat, nicht verstanden zu werden. Eine wilde Rebellin eben, die kompromisslos das Urgestein geblieben ist. Das betrifft ihre Interpretation der Jodler ebenso wie ihr zahnloses Erscheinungsbild und die radikale Ablehnung des Ausverkaufs des Althergebrachten und der ihr ans Herz gewachsenen Naturschönheiten.

Der Fingerzeig auf den Kern der Sache

So ein Retro – Lebensentwurf kollidiert zumal mit der engen Umgebung, mit der Rechtschaffenheit, dem Tüchtigsein und den Zuwachsraten. Die Gretl nahm sich die Freiheit heraus, anders zu sein und selbst dem Uhrzeigersinn das Misstrauen auszusprechen. Jede Begegnung mit ihr – auch wenn diese um einen Tag verspätet zustande kam – hatte etwas köstlich Verwirrendes an sich. Nicht alles war schlüssig und bis aufs Letzte durchdacht. Dennoch aber blieb von einem ihrer ätzenden Rundumschläge stets der berechtigte Fingerzeig auf den Kern der Sache. Verurteilen und Inschutznehmen lagen sich in den Haaren. Ja, wenn es so etwas wie eine radikale Demut gäbe, dann würde dies auf die Gretl zutreffen. In solchen Augenblicken stand eine Tasse Kamillentee vor ihr und noch etwas stand im Raum: Die Unwiederbringlichkeit des Augenblicks.

Die Gretl brauchte keine Maskerade

Selten waren mir das Kommen, Sein und Vergehen als ein fließendes Ganzes so präsent, wie in den Stunden mit der Gretl und dem Heli. Da gab es kein Kaschieren des Äußeren, kein Bemühen um Aufmerksamkeit, keine Zugeständnisse an das Mikrophon. Hier stand einem das Leben 1:1 gegenüber und machte zudem sensibel für die Maskerade, die uns anderswo erschöpfend genug begegnet.

In dieser einzigartigen, widersprüchlichen und tiefsinnigen Persönlichkeit also wohnte auch der feine Sinn für die Töne, für das enge Beziehungsgeflecht der Zweistimmigkeit. Die Gretl war dabei in luftiger Höhe daheim, kletterte ohne Sicherung von Intervall zu Intervall, behänd und glockenklar. Das Hervorholen der Lieder und Jodler aus ihrer Erinnerung war stets auch ein Eintauchen in ihre eigene Lebens- und Familiengeschichte. Da wurden ihre Vorbilder und Verwandten lebendig und sie entwickelte eine ausnehmend schöne Erzählkunst. Dabei lagen Dichtung und Wahrheit knapp beieinander, was ich von ihr selbst mehrmals durch ein Augenzwinkern bestätigt bekam. Nun ja, sie hatte in mir einen verständnisvollen Verbündeten.

Der Renaissance des Jodelns dienend

Für ihre Rolle aber, die schönen Lieder und Jodler über Jahrzehnte getragen und weitergegeben zu haben, gehört sie heute geehrt und bedankt. Vom Verklungensein kann in diesem Zusammensein ja keine Rede sein, denn die Gretl hat dieses musikalische Erbe immer auch weiter gegeben, beim Jodeln mit Ihren Freunden und Freundinnen und bei Sängertreffen in großer Zahl. Es ist sogar gelungen, das Repertoire in einer acht Jahre langen Forschungsarbeit für die Nachwelt zu erhalten. Das war ein außergewöhnliches Zugeständnis der Steiner Gretl, für die das Gestern, Heute und Morgen eher willkürliche Anordnungen waren. Sie hat eben gerne in den Tag hinein gelebt und an den Untergang des Volksliedes hat sie nicht geglaubt.

Zeugnisse einer archaischen Musikkultur in Österreich

Liebe Gretl! Ich habe den Auftrag, Dir die letzten Grüße Deiner Heimatgemeinde Pichl-Preunegg nachzurufen. Und ich überbringe auch die Grüße und den Dank des Landes Steiermark. Und das zu Recht. Du hast nämlich zur Renaissance des Jodelns in Österreich ganz wesentlich beigetragen.

Diesem Dank schließen sich die Österreichische Volksmusikforschung, das Österreichische Volksliedwerk und das Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie an der Musikuniversität Wien an. Dort überall hast Du Freunde und Bewunderer gefunden und Du bist auch nie müde geworden, den Studierenden zur Verfügung zu stehen – als lebendiges Beispiel einer archaischen Musikkultur in Österreich.

Zuguterletzt dankt Dir diese große Schar an Verehrerinnen und Verehrer, die Dir heute mit ihrer Anteilnahme Zuneigung zeigen und die letzte Ehre erweisen. Du warst ihr Steiner Gretl-Liederbuch und Dir haben sie alle nachgeeifert, sodass sie ein Leben lang in die Jodler – die sie aus Deinem Munde gehört und gelernt haben – verliebt sein werden. Das ist ganz Dein Verdienst, liebe Gretl! Ruhe in Frieden!


Nachruf am Friedhof Schladming, 6/ 2013; salzburger volks.kultur.gut 37. Jahrgang, 11/ 2013; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.