Musik beim Wirt – harmonische Köstlichkeiten

Wir sind nicht die Musikstammtisch-Erfinder, denn Musik gab’s beim Wirtn schon immer, denn der Mensch neigt ja dazu, das Singen als eine Überhöhung des Sprechens zu empfinden. Einst mag da und dort auch eine Laute gezirpt und ein Dudelsack dazu geplärrt haben – ganz, ganz früher, als man mit einem wohlklingenden Liedlein noch ein Maidlein beeindrucken konnte.

Die Musiktapete kann man auch abschalten

Heute ist aber überall Musik im Spiel, bis in den Herrgottswinkel verkabelt, Aktivität, Stimmung und Gemütlichkeit vortäuschend. Wo nichts davon wirklich köchelt, bleibt allerdings nur die gleichförmige Hintergrundtapete. Sie ist permanent vorhanden und verklebt unsere Gehörgänge. Eine Auszeichnung „Wirt ohne Musik“ sollte für Betriebe geschaffen werden, die auf akustische Hygiene achten, zumindest aber unbeschallte Räume anbieten.

Noch besser wäre es aber, sich der Aktion „Musik beim Wirt“ anzuschließen und sich um die Auszeichnung „Musikantenfreundliche Gaststätte“ zu bewerben. Das sind nämlich zwei Markenbegriffe geworden: Die ehemals durchaus übliche Gepflogenheit des Singens und Musizierens im Wirtshaus wurde zum Prinzip erhoben, weil es darum geht, die Lebendigkeit der musikalischen Überlieferung zu fördern.

Zufall oder Prinzip?

Im Hinblick auf den schleichenden Rückzug aus dem eigenen musikalischen Gestalten, steht „Musik beim Wirt“ auch für die Rückbesinnung auf die eigenen angeborenen Qualitäten. Selten aber hat ein Musikprojekt so weite Kreise gezogen, von einem Tal zu anderen und über Landes- und Bundesgrenzen hinaus.

Gleichzeitig aber mit dem Ruf nach mehr hausgemachter Musik, muss auch das Verständnis für die hörbaren Unzulänglichkeiten geweckt werde. Der allzeit verfügbare optimale Sound hat uns verwöhnt und vergessen lassen, dass unsere Stimme eben nicht klangoptimiert geboren wird. Was zählt, ist also unsere körperliche Beziehung zum Tonerzeugen, der Anlass, die Emotionen und die Leidenschaft. Um das alles zu transportieren, braucht es unverwechselbare Tonträger: Das sind wir!

Der Vierzeiler beschäftigt sich also mit dem Wirtshaus als Kulturstätte, mit seiner Rolle als Heimat des Gesprächs, als Kochtopf für Gerüchte und Einsatzzentrale für Nachbarschaftshilfe. Ebendort sind ja die Sprücheklopfer und Kartentippler zu Hause, gleichfalls das Liebesgeflüster und die schönsten Wirtshauslieder.

Die Autoren und deren Beiträge

In dieser Ausgabe verhilft uns Herbert Krienzer zur Erfassung der kulturpolitischen Dimension von „Musik beim Wirt“. Als zuständiger Mitarbeiter im Volksliedwerk kennt er die Intentionen ebenso wie die unterschiedlichen Bedürfnisse und die ganze Bandbreite des musikalischen Wirtshausglückes. Die junge Soziologiestudentin Helene Blanda bekommt Gelegenheit, einen Teil ihrer aufwendigen Untersuchungen zum Phänomen „Musikantenstammtisch“ vorzustellen und Otfried Hafner führt uns in eine frühere Zeit der Stammtische, die einst nur den Männern vorbehalten waren. Als oberster steirischer Gastronom aber sieht Karl Wratschko die starke Verbindung zwischen den Wirtsleuten und den Musikanten als ein stabiles und kulturell wertvolles Standbein, während Heribert Holzinger sich auf das durchaus heikle Thema Rausch und Ekstase einlässt. Die Sichtweise aus der Perspektive der Jugend wird durch Helmut Stippich abgedeckt und schließlich erlaubt sich Fritz Ascher de Luca einen gedanklichen Hürdenlauf zur gastrotherapeutischen Ethik. Er schöpft – weil seit Jahren die musikantenfreundlichen Wirte heimsuchend – aus dem Vollen, was Erfahrung und Ausdauer betrifft.

Ins Rollen bringen…

Wenn es heute wieder eine Fülle von Gelegenheiten gibt, sich dem Gesang, dem Tanz und der Musikantenlust hinzugeben, eingebettet in die Gastlichkeit eines freundlichen Wirtshauses, dann ist den Musikanten, den Sängern und den Wirtsleuten dafür herzlich zu danken. Sie sind die Verwalter und Gestalter vieler Stunden des Glücks, sie sind die Wegbereiter für die unüberschaubare Vielseitigkeit musikalischer Ereignisse in unserem Land. Unsere bescheidene Aufgabe ist es aber, die Kugel ins Rollen zu bringen.


Der Vierzeiler, Leitartikel Zum Titelbild und Thema, 26. Jahrgang Nr. 2/ 2006; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.