Verehrtes Brautpaar, liebe Hochzeitsgäste…

Das hohe Fest aus dem Blickwinkel eines Hochzeitsmusikanten

Nachdem der Geiger unüberhörbar mit dem Bogen auf den Geigenrücken getrommelt hat, verstummt die Hochzeitsgesellschaft und die Anrede des Vorgeigers beginnt wie oben zitiert mit: „Verehrtes Brautpaar, liebe Hochzeitsgäste…“

Mehrmals an diesem Tage macht er sich solcherart bemerkbar, verkündet das Eintreffen eines Gratulanten, macht auf eine Gesangseinlage aufmerksam oder ladet zu den Ehrentänzen ein. Schon daraus ist abzuleiten, dass den Musikanten eine besondere Rolle zugedacht ist und dass es sich beim Hochzeitsmusikanten um einen Spezialberuf handelt, um einen, der gelernt sein will. Da und dort bedient man sich auch eines Zeremonienmeisters, dem dann auch die Musiker untergeordnet sind. Mir ist jedoch eher jene Gepflogenheit geläufig, bei der die Musikanten das Heft in der Hand haben – zumal ich selbst einer von ihnen bin.

Hineinspielen in die Ehe…

Da sowohl Hochzeiten als auch die Hochzeitsmusik auf der ganzen Welt und ebenso in unserem Alpenraum höchst unterschiedlich sein können, vermeide ich es hier, eine bestimmte Form zu beschreiben. Es gibt ja ebenso viele neue Formen und Rituale bis hin zu sehr ausgefallenen, wie uns dies Hochzeitszeremonien im Heißluftballon oder am Meeresgrund vor Augen führen. Ich bleibe daher eher bei bemerkenswerten Nebenbemerkungen über die ernste und zugleich herzhafte Verbindung zwischen den Brautleuten und den Musikanten.

Ja, die Tiefsinnigkeit des „Hineinspielens in die Ehe“ hebt den für eine Nacht geschlossenen Pakt in eine andere Dimension. Da schwingt neben der Musik auch  Verantwortung und Beihilfe mit. Die Musikanten haben nämlich Anteil am Fest und am Glück, sind sozusagen der Schuhlöffel in die Ehe. Was die Verantwortung betrifft, liegt ihnen für alle Fälle eine Ausrede zugrunde, etwa so: Wenn die Ehe gelingt, ist die Musik schuld, kommt es aber zur Scheidung, ist die Musik leider zu schlecht bezahlt worden.

Jene Musiker, die sich stets nur als Lieferanten von Musik fühlen, die haben also das Musikantsein noch vor sich. Nennen sie mich ruhig einen Phantasten, weil ich dem Hochzeitsmusikanten eine Seele einhauche. Merke: Auch ein Dachdecker ist erst ein richtiger Dachdecker, wenn er sich in der Rolle des Beschützers sieht, anstatt in jener des Ziegel-übereinander-Schlichters. Hochzeitspielen ist also im weiteren Sinn die Ouvertüre vor dem Dachdecken.

„Von Gestern“ ist nicht gleich rückständig

Als Musikant erlebe ich viele Facetten des Feierns, des Schmückens und des brauchtümlichen Ablaufes. Stets findet sich dabei ein Zusammenschnitt der Feierkultur zweier Familien. Besonders reizvoll ist dies, wenn ein Teil der Brautleute aus einem fernen Bundesland stammt. Da spürt man die Verflechtung verschiedener Traditionen sehr deutlich. Wenn einer der beiden aus dem Ausland kommt, wird ein solches Fest zum schönsten Beispiel interkulturellen Handelns.

Ich persönlich halte viel von hochzeitlichen Richtlinien, vom Ernst mit der die Familien das Einhalten von Ritualen fordern. Durch die Nivellierung unseres alltäglichen Zusammenlebens werden solche Haltegriffe dankbar angenommen und auch mit Zähnen verteidigt. Es „wie früher machen zu wollen“ zeugt nicht von Rückständigkeit sondern von Sehnsucht nach Beständigkeit. Diese wünscht man auch dem Ehebund, erhebt das Glas, verliest Gedichte und speist miteinander. Das alles ist Zeichen der Bekräftigung der nunmehr hergestellten Verbindung: Die Brautleute, die ein Regelwerk auf ewig eingehen, sich für immer versprechen, sollen hochleben!

Eine Ehre für die Musikanten

Hochzeitsmusik ist ein gutes Beispiel für Zweckmusik, für Musik die einem Ziel dient und in diesem Falle sogar einen Zustand besiegelt. Diese Form von Zweckmusik ist der letzte Rest von ursprünglicher Musik überhaupt. Das Gegenteil davon ist Musik aus dem Lautsprecher – einem Wasserfall gleich. Auch die bei weitem höchste Ebene von Musik, die von Zuhörern in Konzertsaal-Stuhlreihen genossen wird – dort wo man nicht husten darf –  ist auch weit weg von Hochzeitsmusik.

Zu den bekanntesten solchen Gebrauchmusiken zählt das Neujahrspielen, das Zustellen der guten Wünsche von Haus zu Haus. Aber auch die Musik als Begleitung auf dem letzten Weg, das „ins Grab hinein spielen“ zählt dazu. So gesehen ist die Hochzeitsmusik die weitaus sympathischere.

Für viele Musikgruppen ist es eine große Ehre, zur Hochzeit „angehalten“ zu werden. Sie wissen um ihre besondere Aufgabe und graben für einen solchen Anlass die schönsten Melodien aus.

Die unsichtbaren Bündnisse

Wer mit seinen Musikanten dem Fest wirklich dienen möchte, stellt zu allererst die Verbindung zu den Familien her, er überblickt recht bald die Verwandtschaftsverhältnisse. So sehr ein solches Fest das Glücklichsein zur Schau stellt und gefeiert, gesungen und getanzt wird: Musikanten entwickeln ein Auge für die verdeckten Details. Zu allererst für das „wer ist wer“ in den beiden Familien. Später für die Spannungen, die es ja überall gibt. Hochzeiten sind auch Treffpunkt derer, die sich – ob der zu unterschiedlichen Lebensauffassungen – sonst aus dem Weg gehen. Es ist beruhigend zu erfahren, dass alle Menschen immer wieder an den gleichen Problemen zu knabbern haben.

Unter den Musikern herrscht ein reger Diskurs: „Schau die Godl mit da schen Gretlfrisur“; „die Brautmutter is åber no sehr jung“; „I wett, die Braut ist schwånger..“; „die Schwester vom Bräutigam is a Hantige“, u.s.w.
Nur Wonne und Waschtrog zu sehen, wäre ja unrealistisch. Es gibt eben verschiedene Lebensentwürfe, auch so manche verdeckten, schon uralten  Zerwürfnisse. Umso erstaunlicher ist es, wie sehr eine solche Hochzeit imstande ist, alle zusammen zu führen, wie sehr ein solches Fest dabei hilft und über den Dingen steht.

Hochzeit feiern ist eine schöne Form der Familienvergrößerung. Dies nicht nur zahlenmäßig. Begabungen, Kenntnisse, Temperament, Lebenshaltung – all das spielt nun gebündelt in beide Familien hinein. Als Musiker ist man – vom leicht erhöhten Musikantenplatzl aus – bass erstaunt über die ausgeprägte Gesprächs-, Sing- und Tanzkultur. Eine schöne Hochzeit besteht – so erscheint es mir – aus lauter einzelnen Umarmungen.

Die nicht erwähnte Hochzeitsnacht

Wie sehr eine gute musikalische Begleitung Fingerspitzengefühl erfordert, zeigt sich nirgends so deutlich, wie beim Setzen des Schlusspunktes. Freilich, vorab ist mit den Musikern drei Uhr oder gar vier Uhr früh ausgemacht, denn man möchte ja ausgiebig tanzen und feiern. Schon um zwei Uhr aber werden Braut und Bräutigam vorstellig, um die weiteren Pläne abzustimmen. Mag sein, dass die Musik gar fleißig gespielt hat und sich die Musiker insgeheim auf den letzten Ton freuen, einige Schlusstänze könnten da der Erschöpfung ein baldiges Ende bereiten. Nein, gesprochen wird darüber nicht. Ebenso verliert das junge Ehepaar kein Wort darüber, dass die Hochzeitsnacht immer kürzer wird.

In den nächsten zwei Stunden peilen also das junge Ehepaar und die Musiker jenen Zeitpunkt an, der beiden Sehnsüchten entspricht. Die Rede vom Schlussmachen, wenn es am schönsten ist, hat hier keine Bedeutung, weil es für die Unentwegten auch um sechs Uhr früh am Schönsten sein kann. Dem jungen Paar alleine obliegt es, sich mit Hilfe der Musiker in die Zielgerade führen zu lassen. Den letzten Drehungen des Paares folgt dann Atemlosigkeit und Erschöpfung. Er stützt sie und sie stützt ihn. Eigentlich ein passender Anfang vom Eheleben.

Durchaus üblich ist es, von den wahren Gründen abzulenken und das bevorstehende Ende anderen zuzuschieben. Dabei springt der Geiger auf den Sessel und verkündet:

„Hiaz kimmt da Schlusswålzer, weil da Wirt a no
wås von seiner Wirtin håben möcht…“


Tradition, Salzburg, 1/ 2005; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.