Standortbestimmung

Lassen wir einmal das Volksliedwerk weg und die Volksmusik weg, lassen wir Tradition links liegen, die Pflege, Forschung, Echtes und Unechtes, Volksmäßiges und Volkstümliches…

Vergessen wir auch auf die Geschichte des Vereines, den Verein selbst, unseren Status als Landesstelle, auch unser ganz persönliches Verhältnis zu der Arbeit, die wir verrichten, unseren musikalischen oder unmusikalischen Zugang. Was bleibt dann?

Unfug: Die Trennlinie zwischen Volkskultur und Kultur

Dann bleibt nur noch Kultur übrig. Nicht Volkskultur, sondern Kultur. Ich verwehre mich dagegen, zwischen Kultur und Volkskultur zu unterscheiden. Kultur also – ein ziemlich dehnbarer Begriff. Eine Standortbestimmung fordert beides heraus: Die Enge und die Weite. Auf diese scheinbare Diskrepanz zwischen Festlegung und darüber Hinwegdenken komme ich ganz am Schluss noch zu sprechen. Vorerst einmal zur größeren Begrifflichkeit, zur Kultur, zu einem „In größeren Zusammenhängen denken“, weil wir ja allzu gerne aus Zuneigung und in Begeisterung einer beschränkten Lustbarkeit fröhnen, unseren Radius ein­engen, uns festlegen. Es ist nicht vermessen, sich hier eine Definition zurechtzulegen, die unsere Kulturarbeit im klärenden Licht erscheinen lässt. Also heißt es, unter dem Eindruck volkskultureller Phänomene nach einer Klärung zu suchen.

Was ist also Kultur?

Mit Kultur ist vor allem einmal das Zusammenspiel zwischen Notwendigkeiten und Unnotwendigkeiten gemeint, wobei gerade die Letzteren, nämlich die Unnotwendigkeiten, alle Sinne und Begabungen, alles Musische im Menschen fordern. Kultur ist auch immer eine tolle Mischung von Tradition und Innovation, ist eigentlich das Produkt aus diesem ewigen Spannungsfeld. Alle Lebensbereiche sind von kulturellem Wert, beseelt und erhöht – oder aber der Unkultur ausgeliefert.

Unsere Aufgabe ist es nicht, mit allen Mitteln Harmonie zu erzeugen, mit allen Mitteln das uns scheinbar Harmonische zu erhalten. Es ist aber doch unsere Aufgabe, am Kräftemessen teilzunehmen, keinem Idealbild zu frönen, sondern Bewährtem die Chance zu geben, sich mit dem Neuen zu messen. Und: Es ist nicht unsere Aufgabe, Qualitäten auszuwählen, sie zu konservieren, zu präsentieren, sondern unterschiedliche Qualitäten zuzulassen, sie dem rauen Leben auszusetzen. Es ist nicht unsere Aufgabe, Historie zu pflegen, sondern Menschen aufnahmefähig zu machen, sie teilhaben zu lassen. Mit Kultur ist gemeint, wenn Beschauliches und Alltägliches einander begegnen und nicht, wenn wir unser Leben mit Beschaulichkeit kostümieren.

Was lehrt der Rückblick auf unsere Geschichte?

So gesehen hat unsere Institution eine große Aufgabe zu erfüllen und Verantwortung zu tragen. Es ist nicht das Rezept, nach dem wir suchen, sondern nach Mitarbeitern, die bereit sind, an immer wieder neuen Rezepten zu basteln. Innerhalb eines großen Kulturbegriffes haben wir die Volks-Musikalität zu sehen.

Was lehrt uns der Rückblick auf unsere Geschichte?

Zu dieser Geschichte möchte ich kurz kommen – sie gehört zur Standortbestimmung: Die Geschichte lehrt uns, dass alle Ideen auch ein Transportmittel benötigen. Die Zeiten der Aufrufe und behördlichen Weisungen sind vorbei. Meinen Vorgängern ist es nicht vergönnt gewesen, gute Ideen, wohlgemeinte Anliegen transportieren zu können. 1979 waren eine Handvoll Leute bei der Jahreshauptversammlung des Steirischen Volksliedwerkes und haben über die Verwendung von öS 4.000,–, nämlich den Beitrag des Österreichischen Volksliedwerkes an das Steirische verhandelt.

Dann kamen 15 Jahre des Aufbaues. Unser Betrieb ist gewachsen, von einem Ein-Mann-Büro zu einer Abteilung, die immerhin 11 Mitarbeiter beschäftigt. Dann kam die Zeit der Standortbestimmung und der Erstellung eines Leitbildes, es wurde Professionalität eingeläutet. Dieser Übergang wurde ganz wesentlich von unserem Vorsitzenden Hans Martschin eingeleitet, der verstärkt durch Mitarbeiter wie Hans Horne und Mitarbeiterinnen wie Karin Wallgram auf die Umsetzung gepocht hat.

Heute stehen wir somit an der Schwelle und haben die Zugluft im Rücken, das heißt, wir werden nach vorwärts getrieben und müssen, wir müssen das auch alle wollen, gewisse Voraussetzungen erfüllen, besser erfüllen als dies eine Gemeinschaft Gleichgesinnter tut. Gleiche Gesinnung ist zwar die Basis für ein gutes Betriebsklima. Für ein künftig erfolgreiches Unternehmen sind aber noch andere Voraussetzungen notwendig: Es ist die Basis zu verbreitern. Ihr alle müsst mehr wissen über unseren Betrieb, Ihr alle seid letztlich unser Erscheinungsbild nach außen, weil es Slogans alleine nicht sein können. Unsere neue Linie stellt uns nicht nur als sympathisches Unternehmen dar, sondern sie verspricht auch einiges, das von uns erfüllt werden muss. Es bedarf nun vermehrt der Verlässlichkeit, der Ernsthaftigkeit, der Disziplin, der Loyalität unserem Unternehmen gegenüber. Und das alles, ohne dass in unserem Fach nur eine Meinung gelten soll. Die Kenntnis aus verschiedenen Blickwinkeln soll als geballte Kraft die Leuchtschrift Volksliedwerk ausmachen.

Euer persönliches Wohlergehen ist Kapital

Standortbestimmungen können aber niemals auf das Unternehmen beschränkt bleiben, denn Ihr alle seid ein Teil davon, und es kann uns Euer persönliches Wohlergehen nicht gleichgültig sein. Euer Engagement für das Volksliedwerk muss machbar sein. Eure ganz persönliche Ausstrahlung lässt das Volksliedwerk punkten, und umgekehrt sind es unsere Vereinsinhalte wie die Sicherung von Lebensqualität wohl auch wert, dass man sie beruflich oder außerberuflich mitträgt.

Zur Standortbestimmung gehört aber auch unsere Position im Reigen der Volksliedwerke der Bundesländer, im Reigen der Volksmusikinstitute im In- und Ausland. Im vollen Bewusstsein, dass wir beim Projekt „INFOLK“ am Anfang stehen, dass wir Verzögerungen bei der Herausgabe unserer Schriften haben, dass wir so manche grandiose Idee nur auf Sparflamme kochen, muss unsere Bedeutung hier ausgesprochen werden. Und dies aus zwei Gründen: 1) Es hebt unser Selbstwertgefühl und 2) daraus erwächst Verpflichtung.

Nicht nur, dass unsere seit Jahren gezogene Linie im Bereich der Publikationen, der Projekte zur Förderung der musikalischen Nahversorgung überall gerne nachgemacht werden. Mehr noch: Wir sind das Vorzeigemodell, wie Volksmusikpflege am Ende dieses Jahrtausends eben nicht Enge, Kurzschluss und Sackgasse sein muss. Und: Wir sind in die Rolle der Vordenker gerutscht.

Man erwartet von uns die nächsten und die besseren Schritte.

Standortbestimmung – das war der Auftrag an mich. Bei aller Flexibilität im Spannungsfeld zwischen dem großen Kulturbegriff und der scheinbar kleinen volksmusikalischen Klangwelt erwartet man von uns, dass wir Positionen einnehmen, dass wir uns auch festlegen. An den fixen Standpunkten mangelt es meist nicht – und das ist gut so. Die Positionen, die wir einnehmen, machen uns erkennbar und verleihen unserer Arbeit die notwendigen Konturen. Ich vermisse allerdings das Zusammenspiel mehrerer Sinne, das noch mehr Chancen für unser Tun bereithält. So ist es durchaus richtig, dass wir mit dem Auge den Horizont abtasten und damit eine Position einnehmen. Was hindert uns aber daran, unseren Geist für all jenes offenzuhalten, was uns hinter der mit dem Auge gezogenen Linie erwarten kann?


Eröffnungsreferat anlässlich der Mitarbeiterklausur des Steirischen Volksliedwerkes in Gösing am Annaberg, 4/ 1997; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.