Wenn Begriffe wie „Bio“, „Natur“ und „Umwelt“ allzu sehr beansprucht werden, sind sie mit Vorsicht zu genießen. Der Begriff „Volksmusik“ gehört neuerdings dazu, weil in diesem Wort auch schon alles Platz hat, was nur ein bisserl nach Hm tata klingt.
Schon bürgert sich ein leichtfertiger Umgang ein, Inhalte werden ausgeklammert und Accessoires treten an deren Stelle: Volksmusik verbinden wir plötzlich mit dem Fernsehdackel, mit Kreuzstichmuster oder mit wackelnden Musikanten, deren wesentliche Aussage keine musikalische ist, sondern sich auf Tante Mitzi bezieht oder gar Frau Meyers Unterwäsche beschreibt. Sind es einige Spinner, die sich über das Übermaß an Volkstümelei Gedanken machen, oder zählen Sie sich, lieber Leser, auch dazu?
Volksmusik ist ein schwammiger Begriff
Gleich vorweggenommen: Die Volkstümelei ist es nicht allein, die hier kritisch angemerkt werden soll. Sie ist aber für die anfangs erwähnte Begriffsverwirrung am stärksten verantwortlich, weil sie plakativ und für unsere Medien leicht verdaulich ist.
Vielmehr zu denken muss uns aber das geben, was unter dem Titel „Volksmusikpflege“ schon sehr früh danebengegangen ist. Nicht, dass der unermüdliche Einsatz vieler Institutionen, Vereine und Mitkämpfer hier geschmälert werden soll. Im Gegenteil: Ein Hoch allen, die in schwierigen Zeiten diese musikalische Kleinkunst in Obhut genommen haben. Mit gewonnenem Zeitabstand ist aber eine kritische Betrachtung angebracht.
Zur alten Volksmusikpflege auf Distanz gehen
Zuerst fällt einmal auf, dass vieles nur mehr im gebührenden Rahmen gepflegt wird, was anno dazumal noch spontan erklungen ist. Die sattsam bekannte Kommerz-Folklore und die – wenn man so will – „echte“ Volksmusik im Fernsehen, auf der Bühne etc. können ja nur ein Abklatsch dessen sein, was kraftvoll gebrauchte musikalische Überlieferung bedeutet. Diese Umwandlung vom Gebrauchsgut zur Bühnenkultur dulden wir in der Fehlmeinung, dass Popularität und Verbreitung über Massenmedien dem eigentlichen Volksliedsingen, dem Musizieren dienlich sein könnten.
Die Kraft der Überlieferung wurde nicht genützt
Was die Argumentation hier besonders schwierig macht: Die seit Jahrzehnten gewählten Möglichkeiten zur Pflege der Volksmusik haben bereits Tradition. Sie haben sich leider nie orientiert an dem eigentlichen Zweck und an der traditionellen Überlieferung, die bis heute pulsiert. Es ist die altbewährte Methode der Übermittlung, die nicht übernommen wurde. Dadurch sind zwei wichtige Merkmale der Volksmusik, nämlich regionale und personelle Prägung, weitgehend hintangestellt worden. Irreführende Volksmusik-Publikationen im Kammermusik-Stil, Volksliedbearbeitungen, welche nur mehr im großen Ensemble zu singen sind, haben ihr weiteres dazu beigetragen, dass – abgesehen von der sogenannten „volkstümlichen“ Richtung – nun zwei grundverschiedene Volksmusikströmungen bemerkbar sind:
- Aus der Tradition gewachsene Volksmusik
- durch Volksmusikpflege belebte Volksmusik
Versuch einer Darstellung der Veränderung der Volksmusik
Die aus der Tradition gewachsene Volksmusik unterscheidet sich von der bewusst gepflegten Volksmusik nicht nur in der Darstellungsform – einerseits Spontanmusik, Gebrauchsmusik, andererseits fast durchwegs Aufführungsmusik, Musik im geschlossenen Rahmen, für Volksmusikfreunde –, sondern auch inhaltlich: Es gibt kaum mehr Gemeinsamkeiten. Gegenwärtige Erhebungen (Feldforschungstätigkeit) sind die Grundlage für diese Erkenntnisse. Wo liegen die Wurzeln dieser Missverständnisse? Was haben sie getan, die Volksliedfreunde und -kenner? Dr. Josef Pommer (1845–1918) hat Singen auf der Alm, Singen und Musizieren in den Dörfern in unglaublicher Fülle erlebt. In Wien hat er den Volksgesangsverein initiiert – als Gegenstück zu den damals üblichen und dem Volkslied abweisend gegenüberstehenden Liedertafeln. Ihm sind viele gefolgt, im ehrlichen Bemühen um die Erhaltung dieses musikalischen Schatzes, haben Vereine gegründet, haben sich der Pflege des Volksliedes angenommen, in der Fehlmeinung, dass das hier erprobte dem gleiche, was Pommer auf seinen Streifzügen gehört und mitgebracht hat.
Die misslungene Wiedergeburt des Volksliedes
Aber auch in der Fehlannahme, dass durch eine schnellere Verbreitung in größeren Gemeinschaften dem Volkslied gedient sei. Und das zu einer Zeit, in der die Überlieferung noch prächtig funktioniert hat. Dieser Pioniertat und der Arbeit Gleichgesinnter wird die Wiedergeburt des Volksliedes zugeschrieben. Die heute in Forschungsprojekten registrierte Fülle und Vielfalt ist jedoch nachweisbar nicht diesen Bestrebungen (samt Publikationstätigkeit) zuzuschreiben. Pommer selbst hat recht bald Selbstkritik geübt und sein Unbehagen ausgedrückt. Er ist aber überhört worden.
Volksmusik ist der musikalische Dialekt, ist Umgang mit Melodien im Leben, vor allem aber die Sprache der Geselligkeit
Dieses sensible Feld ist nicht erfassbar, ist keinen Richtlinien zu unterwerfen, ist nicht in Seminaren zu fördern und nicht durch Liederbücher zu belehren und kann auch nicht der Schule alleine überlassen werden. Schule und Verbände können hier nur unterstützen, als Mittler auftreten; Liederbücher können nur erinnern und als Anstoß wirken, jedoch: Liederbücher können nicht selber singen. Noch einmal: Kein Liederbuch, keine Vereinsgründung, keine noch stärkere Vertretung der Volksmusik in unseren Medien, keine Seminare sind geeignet, der eigentlichen Gebrauchs-Volksmusik wieder ihren Stellenwert zurückzugeben. Ebnen wir doch das Begegnungsfeld, um einer musikalischen Kostbarkeit unter die Arme zu greifen, die in ihrer Beharrlichkeit bis in unsere Tage musikalische Versorgung und Erfüllung ist. Warum nicht dort anknüpfen, wo Volksmusik pulsiert? Ist uns zu schlecht, was aus rauhen Kehlen abgeschliffen, aber mit kräftiger Überzeugung heraus gegurgelt wird?
Ist durch den Hang zur Perfektion, zum Spezialistentum und durch Medienhörigkeit die Nase für’s Wesentliche verkümmert?
Literatur:
Dr. Josef Pommer: „Absicht und Ziel des Deutschen Volksgesangvereines“.
Flugschriften „Zur Kenntnis und Pflege des deutschen Volksliedes“. Herausgegeben vom Deutschen Volksgesangsverein, Nr. 7, Wien 1900.
„Informationen“, Zeitschrift der ÖVP Steiermark, 11/ 1987; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.