Den Mythos entzaubert und die Magie des Jodelns entdeckt…

Das scheinen große, bedeutende Worte zu sein – und das sind sie auch.

Für uns ist es die Erkenntnis einer über Jahrzehnte andauernden Annäherung an eine vokale Besonderheit. Das ist sie deshalb, weil sie im Spannungsfeld zwischen Fund und Erfindung pulsiert und weil wir beim Thema Jodeln mit den gängigen musiktheoretischen Begriffen nicht das Auslangen finden.

Und nun legen wir den ersten beiden Ausgaben der Jodelschule eine dritte nach und wir stehen vor der Entscheidung, ob wir die Reihe fortsetzen sollen, bis alle Jodler in bunten Heften auf dem Tisch liegen. Nein, das kann nicht unser Ansinnen sein und es wäre auch – in Anbetracht des weitverzweigten Repertoires und der vielen regionalen Varianten – ein aussichtsloses Unterfangen.

Die drei Jodelschulen mit rund 70 Jodlern sind ausreichend, um den Einstieg zu ermöglichen, um Prinzip und Technik des Jodelns zu erlernen. Mit dieser Grundkenntnis wird es dann ein Leichtes sein, selber sehr komplizierte Jodler von Vorbildern durch Zuhören zu übernehmen, selber den einen oder anderen Jodler weiterzugeben. Das war ja zu Beginn unser großes Anliegen: Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten, den ersten Anstoß zu geben, um mit der Stimme ins Klare zu kommen und die eigenen Töne neu zu entdecken. Es ging uns auch darum, die Lust am Klangspiel zu wecken, sie erlebbar zu machen und die Weitergabe im Schneeballsystem anzuregen.

Es ist vollbracht…

Die Auswahl für dieses dritte Heft ist uns nicht leichtgefallen. Viele unserer Lieblingsjodler konnten aus Platzgründen nicht aufgenommen werden: Der Häi ti, der Bacher Mauernjodler, der G`schraubte, der Kloavadrahte, der Almadreier, der Wildererschuss u.v.a.m. Wir überlassen sie gerne Eurer Entdeckung und der weiteren Überlieferung.

„Es ist vollbracht“ wäre zu theatralisch ausgedrückt. Es ist aber gelungen, diese Vokalform aus der Exklusivität zu heben, ihr den Mythos zu nehmen, vom „begabt sein müssen“ und vom „das Jodeln im Blut haben müssen“. Die Märchen sind allesamt widerlegt und hinter uns gelassen. Einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hat der Mariazeller Sänger und Musikant Hans Martschin, dem wir die Idee der Jodel-Lern-CD verdanken, mit den einzeln hörbaren und leichter zu übenden Stimmen.

Jede Stimme ist unverwechselbar

Immer wieder haben wir darauf hingewiesen, dass in unseren Jodelschulen nur eine kleine Anzahl und nur jeweils eine Variante der vielen Möglichkeiten vorgestellt werden. Es handelt sich also um keine Fixierung der „richtigen“ Variante, sondern eben nur um eine Spielart, die neugierig auf andere Varianten machen soll. Damit aber stellen wir uns vehement gegen die Unverrückbarkeit einmal aufgezeichneter Jodlertexte und –melodien und berufen uns dabei auf die Lebensgesetze der Volksmusik.

Damit ist die Frage nach der drohenden Vereinheitlichung, die als Monokultur unrühmlich in die Geschichte bereits eingegangen ist, ausreichend beantwortet. Vorrangig beim Jodeln sind die individuelle Artikulation, das Einbringen der eigenen, unverwechselbaren Stimme und der augenblicklichen Emotion, die immer wieder zu einem neuen Klangbild führt. Bei so viel Freiheit und Zufälligkeit ist dennoch keine Spur von Beliebigkeit im Spiel, vielmehr aber die Verquickung von überlieferten Prinzipien der Stimmfunktionen mit dem ganz persönlichen Fingerabdruck des stimmlichen Vermögens.

Jodeln ist eine permanente Annäherung

Der Weg ist das Ziel und damit meinen wir, dass die Annäherung der Stimmen bereits ein einzigartiger Augenblick ist, dem nur Unkundige Unfertigkeit unterstellen. Diese Annäherung beginnt für uns bereits bei der Sammlung von Jodlern. Das Auffinden der Quellen, die Nachforschung nach der Herkunft und die vielen Begegnungen sind allesamt einzigartig und sie bleiben unvergessliche Streiflichter. Wie sehr das Kennenlernen von Jodlern von Zufällen abhängt, ist dem Quellenanhang im Notenteil zu entnehmen. Es ist ein nacherzählter Lokalaugenschein vor Ort, wenn wir einen Jodler aus dem Sport Hotel Matschner (Hans Knauss) in der Ramsau oder bei einer Almwanderung in Hohentauern (Georg Ahornegger) oder unter der Dachstein Südwand (Herta Plut) gelernt und mitgebracht haben. Immer ist Neugierde, Respekt und ein Maß an Zuneigung im Spiel:

Melodien werden zuerst aufgesogen, dann selber gejodelt, verbessert, ein weiteres Mal probiert, die zweite Stimme darüber gelegt, verworfen und noch einmal gejodelt. Erst viel später erfolgt die Aufzeichnung, dann nämlich, wenn der Jodler uns ganz und gar ergriffen hat. Die Erinnerung an solche Stunden des Kennenlernens bleiben als Bilder in uns haften. Jene mit dem Franz Zöhrer und seiner Schwester Luisl Mitteregger aus Laufnitzdorf, jene schöne Zeit mit dem Ramsauer Urgestein Heli Gebauer und Gretl Steiner, mit dem Mariazeller Sänger Hans Martschin, dem Yspertaler Norbert Hauer, der Kirchenwirtin Josefine Pernhofer aus Oppenberg, dem Schönegger Bauer Hans Neuhold, dem Übelbacher Original Leo Berger, dem Hans Weissensteiner vulgo Großseiß in Hall bei Admont, mit der Steffi Haider aus der Nechnitz, dem Ernstl Daum aus der Kleinsölk und der Hilde Gallaun aus Kohlschwarz bei Kainach in der Weststeiermark.

Jodler im Tonstudio: Emotion als Konserve ist ein Widerspruch

Uns geht es dabei wie dem Fernsehkoch, dem die hungrigen Gäste fehlen und er genau weiß, dass seinen Zusehern weder der Duft vom Fisch noch der vom Thymian in die Nase steigen können. Wenn anstatt beim Almkirtag vor den Mikrophonen gejodelt wird, bedarf es einerseits Interpreten, die den trockenen Studioraum wegstecken und sich andererseits dennoch dem Augenblick hingeben können. Bei den Einspielungen der Jodler wurden nur wenige Zugeständnisse an die Anforderungen eines Lehrwerkes gemacht. Auch waren die Sängerinnen und Sänger nicht immer an das Notenbild gebunden. Im Gegenteil, das Notenbild wurde mehrmals der Jodelpraxis angepasst. Auf diese Übereinstimmung haben wir geachtet, um das Lernen nach der Jodel-Lern-CD zu erleichtern.

Es war aber eine Meisterleistung, die Nähe zur Wirklichkeit beim Jodeln einzufangen. Dazu zählt die Grundvoraussetzung, dass Jodler gejodelt und nicht gesungen werden. Dabei ist alles deutlich zu hören: Der Registerwechsel, die emotionale Spannung beim Ansingen, das Einschleifen zum nächsthöheren Ton, das Anvisieren von Zwischentönen, das Abrutschen (Glissando) von Tönen und das Nacheinander Eintreffen am Zielakkord, was einer rhythmischen Verwerfung gleichkommt. Ohne all diese Nebengeräusche des Jodelns, wäre es eine sterile Anleitung zum Tönesingen, aber kein Lehrwerk für das Jodeln.

Jodelkurse und die Überlieferung

Kaum sind wir mit ein paar Jodlern gut vertraut, beginnt der Drang, sie anderen weiterzugeben. Deshalb gilt es auch, die Weitergabe der Jodler im Schneeballsystem – ohne Notenblatt – zu erlernen. Zu Beginn mag das etwas verunsichern und überfordern, aber schon nach den ersten Jodlern ist da und dort eine periodische Melodie-Abfolge zu erkennen, ebenso viele textliche Aneinanderreihungen der schon verwendeten Silben. Das Geheimnis des Erfolges ist im oftmaligen Wiederholen zu finden. Dennoch ist beim Weitergeben der Jodler jede kleine Hilfe willkommen, auch wenn es sich um Teile der Gebärdensprache handelt. Schon in den 80er Jahren verwendeten wir für die Selbstlaute A/E/I/O/U und für EI/EU diese Zeichen, vor allem bei den Endungen. Diese Methode erleichtert das anfängliche Üben der einzelnen Stimmen. Diese Zeichensprache ist ungemein hilfreich und viele Jodellehrer haben sie inzwischen dankbar angenommen.

Das Leben hat Vorrang

…und nicht das Spiel vom Leben. Damit meinen wir, dass wir das Singen und Jodeln wieder zu einem Bestandteil unserer Zusammenkünfte machen sollen, dass wir es genießen sollten, unsere schönsten Stunden einen eigenen Klang geben zu können, weit weg von Dokumentationsmanier, Wettbewerb und Szenenszenario. Das betrifft ja alle Bereiche unseres Lebens:

Wir sollten wieder auf einer Bank sitzen können, ohne rings herum die Gipfel filmen zu müssen. Wir sollten wieder Sport betreiben können, ohne überholen und gewinnen zu müssen. Wir sollten unsere Gärten gerne pflegen, ohne den Blumenschmuck-Wettbewerb im Hinterkopf zu haben, wir sollten schöne alte Bausubstanzen erhalten, uns drinnen ausbreiten, ohne daraus ein Museum machen zu müssen, wir sollten wieder Geschichten erzählen können, ohne sie zum Verleger tragen zu müssen und sollten wieder jodeln können, um über unsere eigene Sprache hinaus zu wachsen. Mehr nicht und das wär `s dann…


Beitrag in „Wir lernen jodeln“ Hausübung III, 2015; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.