Sehnsucht nach der guten alten Zeit?

Obwohl wir auf einer Insel der Seligen leben, behaupten wir allzu gerne, dass diese Zeiten nicht gerade rosig sind.„Die da oben“ produzieren Verunsicherungen am laufenden Band – so mutmaßen wir – und wir stimmen gerne in den Jammerchor ein.

Es jammert sich halt gut in der schnöden Gegenwart, die uns das Elend direkt ins Haus liefert: Wir hören täglich von Massakern in Ländern, von denen wir noch nie gehört haben. Es reicht aber nur für ein dürftiges Entsetzen. Ähnlich geht es uns mit der Verschmutzung der Weltmeere. Auch hier leisten wir uns eine sanfte Fernempörung. Kleiner Pluspunkt auf unserem Konto: Wir verspüren ein bisserl Ekel wegen zu geringer Betroffenheit.

Wir lieben den ganz normalen Wahnsinn

Das wahre Entsetzen löst aber ein kleiner Blechschaden an unserer Karosse aus und richtig Probleme haben wir beim Kauf eines iPhones, weil es so viele verschiedene gibt und sie alle nur 0 Euro kosten. Dann haben wir endlich alle Funktionen, die der Menschheit auch bisher nicht abgegangen sind. Wir stöhnen auch beim Auswählen der richtigen Zahnpaste, weil deren zwölf verschiedene im Regal stehen und wir für das Kleingedruckte zuvor eine Hochschule besuchten müssten.

Und wir haben akute Zeit- und Atemnot, weil wir vernetzt, verpflichtet und kulturellaktiv sind und uns das Angebot und dessen Optimierung im Nacken sitzen. Dabei wussten schon die Alten, dass „Mit oan Årsch auf zwoa Kirtåg“ nichts zu gewinnen ist.

Die Wahrheit von der guten alten Zeit

Was Wunder, dass dann die Schwärmerei von der guten alten Zeit ausbricht? Es ist nicht die Rede vom Wassertragen – vom Brunnen bis in die Küche – und vom Abwasser entfernen, von der Küche hinaus zum Rinnsal. Auch nicht vom Morast auf den Straßen, den genagelten Schuhen und dem allwöchentlichen Reiben der Fußböden, um sich den Dreck vom Hals zu halten. Ja, wir haben noch in Erinnerung, dass wir das Automobil mit einer Kurbel starten mussten und dass sich Opa und Oma eine Brille teilten, weil das Geld für zwei Sehbehelfe nicht reichte. Nein, es ist auch nicht die Rede von den geviertelten Zeitungsbögen am Hunderternagel, die als Klopapier herhalten mussten – vor dem Gebrauch noch schnell händisch gerippelt, um dem wichtigen Geschäft wenigstens einen weichen Abgang zu ermöglichen. Woher also die Begeisterung für die vermeintlich gute alte Zeit?

Nehmen wir doch den Luxus der Gelassenheit an

Es ist die Sehnsucht nach der Unmittelbarkeit, nach der Überschaubarkeit des Tun und Lassens und dem Fluss vom Erleben zum Erinnern. Mehr an Luxus bräuchte das Leben eigentlich nicht. Begnadet sind also jene, die mitten drinnen im rasenden Fluss der Gezeiten, solchermaßen ihre kleine Welt erobern können und dabei Gelassenheit üben. Wer seine kleine Welt meistert, für den ist die große Welt keine Bedrohung mehr. Wer sich daran hält, dem stehen die guten neuen Zeiten noch ins Haus…


Härtels kleines Credo, Martinsbote des Pfarrverbandes Deutschfeistritz-Peggau, Übelbach, 2017; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.