Die Familienmusik…

und die hochgebauschte Vorstellung einer, durch das gemeinsame Musizieren entstehenden Harmonie. Ob es Sinn macht, das Seinerzeit mit dem Jetzt zu vergleichen, ist mir nicht klar und dennoch schlage ich die Brücke zu meinen Altvorderen.

Weit hergeholt: Die Blue Band

Mutter stammte aus einer städtischen Arbeiterfamilie und sie war das zwölfte von dreizehn Kindern. Ein Teil ihrer Brüder bildete die damals in Graz bekannte Blue Band, eine Jazzformation, die auch dem damaligen Schlager huldigte. Mutter aber lernte Klavier spielen, war in der 2-Zimmer Wohnung der brüderlichen Musik ausgeliefert und speicherte ein großes Repertoire der damaligen Schlager: „Wo sind Deine Haare, August, August“; „So lang nicht die Hose am Kronleuchter hängt, sind wir noch nicht richtig in Schuss“… Sie war eine singfreudige Person und hat mir zuletzt noch etwa 600 Lieder aufgeschrieben, die in ihrem Leben eine Rolle gespielt haben. Dass ein Teil davon wiederum in meinem Leben eine Rolle spielt, zeugt vom Generationen übergreifenden Gedächtnis, welches einem musikalischen Atem gleichkommt.

Vater mit der Kontragitarre

Vater aber entstammte einer Gelehrtenfamilie aus Klosterneuburg, allesamt kunstsinnig und gut situiert als Kartographen und Techniker tätig. Da spielte die Malerei eine Rolle, das Meissner Porzellan, die Photographie und eine Sammlung Schellacks, die symphonische Musik in die gute Stube transferierte. Die Kontragitarre war ebenso gegenwärtig wie das Aquarium, welches vor sich hin sprudelte.

Meine Eltern hat es nach dem Krieg ins Ennstal verschlagen und dort haben sie einen Handwerksbetrieb gegründet. In der kleinen Mansardenwohnung standen wieder ein Aquarium und der Musikschrank mit den Schellacks. Für uns Kinder besorgten sie alte Instrumente und sparten sich das Geld für den Unterricht vom Mund ab. Heute weiß ich, dass es sich um eine Notzeit handelte und dennoch war es meinen Eltern ernst mit der Musik, sie hatte den gleichen Stellenwert wie die Hauptgegenstände in der Schule. Musik sahen sie als Lebensschule und nicht als Hobby, mit dem man seine Freizeit verbrachte.

Erste Erkenntnisse, was Musik bewirken kann

Gleichwohl erfuhr ich damals, dass Musik nicht von allen Mitmenschen geschätzt wird: Unsere abendlichen G. P. Telemann – Versuche endeten meist mit dem wütenden Geklopfe an die Zimmerdecke unter uns. Unser Vermieter aber meinte auf die besorgte Beichte meines Vaters: Was glauben Sie, Herr Härtel, warum ich Sie und Ihre musizierende Familie in das Dachgeschoss geholt habe? Schon wenige Monate später haben wir den Mieter unter uns vertrieben gehabt…

Inzwischen Vergangenheit: Die Familienmusik Härtel

So nannten wir uns damals. Warum wir Kinder bald zu den Volksmusikinstrumenten griffen, ist schnell erklärt: Beim örtlichen Volkstanzkurs arbeitete der Tanzmeister mit einem Philips Tonbandgerät und hüpfte zwischen seiner Partnerin und dem Gerät hin und her, was meinen Vater zur Bemerkung veranlasste: „Die paar Tänze werden meine Buam bald spielen“. Und schon besorgte er Harmonika und Hackbrett als Leihinstrumente, später dann eine Bassgeige. Die Familienmusik war gegründet und diese war später auch ein willkommener beruflicher Ausgleich, denn wir alle – fünf Kinder – stiegen in das Geschäft ein. Ist so viel Nähe aber bekömmlich? Die Frage stellte sich nicht, denn es war damals auch nicht möglich, sich ein anderes „Hobby“ zu finanzieren. Die gemeinsame Musik vermittelte Erlebnisse über die örtlichen Grenzen hinaus. Das war ein schönes Gefühl, auch im Hinblick auf das verdiente Taschengeld.

Spannungsfelder mitten in der Harmonie

Die Außensicht dazu: Mitunter wurden wir Kinder als begabt eingestuft und die Familienmusik als Ideal angesehen. Heute glaube ich, dass unser Musizieren vor allem vom elterlichen Gedanken getragen war, die Familie zusammen und uns Kinder von der Straße fern zu halten. Hörbeispiele von damals vermitteln mir ein Gefühl der Beliebigkeit, denn es fehlte am Wesentlichen: An der Verbindung zu den Altvorderen. Die Überlieferung mittels Tonbandgerät war zu wenig und damals zeigte uns auch niemand einen Griff auf der Harmonika. Verwunderlich aber ist, dass wir Buben schon bald damit begonnen haben, die beiden Instrumente Hackbrett und Harmonika im Freundeskreis zu unterrichten.

Spannungsfelder gab es auch, weil wir Kinder ganz gerne getanzt statt gespielt hätten und da entstand wohl auch so mancher Streit. Ich erinnere mich aber auch an ein anderes Spannungsfeld: Wir Halbwüchsigen wollten unsere Schüler und Freunde mit einbeziehen in die Musikgruppe. Das wäre ja bald einmal möglich gewesen, doch unsere Mutter war darauf bedacht, dass die Familienmusik erhalten bleibe. Es war damals wohl unser erster Versuch, aus dem Familienverband auszubrechen.

Insgesamt war diese Zeit aber eine, die uns fünf Geschwister vereint hat. Den Eltern ist jetzt noch Respekt zu erweisen, weil sie beide – trotz wirtschaftlicher Sorgen – schon sehr früh die Freude an der Musik vermittelten, ausgehend von den Werken der großen Meister wie Mozart, Beethoven, Schubert, Dvořák und Mendelssohn. Der frühe Tod des Vaters verstärkt in mir das Gefühl, dass sich mein Vater mit der Gründung seiner eigenen Familienmusik rechtzeitig seinen Herzenswunsch erfüllt hat.

Die Gegenwart: Die Citoller Tanzgeiger

Zusammen mit meiner Frau Ingeborg, mit dem Schwager Hubert, der Schwägerin Helga und dem einzig nicht familiären Musiker, dem Ewald war eine Formation gegründet worden und zugleich kamen nach der Reihe die fünf Kinder auf die Welt. Warum sie alle auch Musiker geworden sind? Da spielt schon das Vorbild die größte Rolle, das Dabeisein bei manchen Festen und weil die vielen Instrumente die Innenausstattung der Wohnung prägten. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals artikuliert hätten, die Kinder zu Musikern erziehen zu wollen. Bei einem vorhandenen Instrumentarium und einem klingenden Umfeld liegt dies aber nahe. Später war jedes unserer Kinder eine Zeit lang in unserer Musikgruppe tätig und alle haben sich musikalisch weiter entwickelt und eigene Gruppen gegründet.

Das Gerede von herbei musizierter Harmonie ist Illusion

Die Quintessenz aus dem Erlebten ist leicht zu formulieren: Der Blick von Außen gehört relativiert. Die Harmonie in einer Familie gehört jederzeit errungen und die Musik ist dabei keine wirkliche Hilfe. Das Zusammenspiel (ohne Instrumente) der Generationen ist allzeit ein Wagnis und die Kinder machen mit den Eltern gleich viel mit, wie es umgekehrt auch der Fall ist. Zu meinen, dass die Musik ein Garant für ein besseres Bewältigen familiärer Konflikte sei, bleibt eine Illusion.

Das Festhalten und Loslassen

Dennoch, es ist schön, die eigene Tochter, den eigenen Sohn in der Gruppe zu haben, den Applaus gemeinsam entgegen zu nehmen. Und es ist auch schön, sie eigene Wege gehen zu sehen, ebenso, wie sie anderen Lebensentwürfen folgen. Dass sie längst auf der Überholspur sind, macht einen stolz. Was bleibt, ist ein großes gemeinsames Repertoire, gemeinsame Bilder von schönen Begegnungen und von allen Nuancen, die das Leben zu bieten hat. Was noch bleibt, sind auch die gemeinsamen Lieder, denn sie sind zugleich mit Bildern aus der Kinderzeit verwoben, sie verklären den oft schmerzlichen und schwierigsten Prozess im Erwachsenwerden: Festhalten und Loslassen.

Das aller Schönste aber ist, wenn die Kinder, trotz des engen Bandes, welches durch eine solch gemeinsame Aufgabe geflochten wurde, dennoch ihren Weg gehen können. Einen, den die Musik nicht zur Maxime werden lässt, sondern das wahrhaftige Glück, eine Familie zu haben, in den Mittelpunkt stellt.


Für die Zeitschrift NÖ Volkskultur, 9-10/ 2016; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.