Wohin soll ich mich wenden?

Man mag es wenden wie man will: Noch nie gab es so viele Wegweiser

Die gute alte Zeit war eine, in der sich das Leben nach den Jahreszeiten, nach dem Wetter, dem Mond und der Sonne richtete.

Dem Rocktascheninhalt gehörten damals der Taschenfeitl, die Zündholzschachtel, das Taschentuch und die Maultrommel an. In der kleinen Welt jedes Einzelnen schärften sich der Sinn für Erinnerungskultur mittels herzhafter Eintragungen im Stamm der Dorflinde und ebenso der Sinn für die kleinen musikalischen Formen, weil die Maultrommel zum Instrumentarium aller Wettbewerbe gehörte – dem Wettbewerb unter dem Fenster der Angebeteten.

Die Ahnungslosigkeit und die Fingerfertigkeit

Damals wurde für das Lebensnotwendige der Instinkt fein ausgebaut – wie etwa die innere Uhr, die Nase für das Wetter und der Orientierungssinn. Der Ahnungslosigkeit von der großen Welt aber stand die Fingerfertigkeit für die kleine Welt gegenüber.

Die gute neue Zeit liegt leicht auf der Hand – in unserem Handy versteckt und ist heute das Inventar in jeder Rocktasche. Wir haben die Navigation in der Hand, den Kompass dazu, die Uhrzeit, die Taschenlampe, das aktuelle Wetter und bei Bedarf auch das Geläut des Glockenstuhls der Basilika zu Mariazell. Zudem wissen wir über Facebook, was ein paar hundert FreundInnen gerade vorhaben und damit auch, was wir gerade unwiederbringlich versäumt haben.

Wir nehmen gleich einmal Beratung in Anspruch

Es liegt also auf der Hand, dass wir uns nicht entscheiden können, was für uns von Wichtigkeit ist und was verworfen werden kann. Also nehmen wir am Handy gleich einmal Beratung in Anspruch und öffnen das Netz aller Netze. Auf Anhieb finden wir unter dem Stichwort „Beratung“ 118.000 Ergebnisse in 0,30 Sekunden. Werden wir aber konkreter, so wirft uns die Maschine 826.000 Ergebnisse in nur 0,36 Sekunden aus. Der Suchauftrag lautete dieses Mal: „Wohin soll ich mich wenden?“ Das ist einigermaßen erschütternd und verwirrend zugleich und ruft nach einer simplen Lösung, die bereits in Sicht ist:

Ich bin rigoros für die Ehrenrettung der Ratlosigkeit

…des Scheiterns, des Rückschritts, des Zauderns, des Zögerns, des Wankelmutes und damit auch für die Rückfrage bei Freunden, in der Familie und letztlich jeder für sich beim eigenen Herrgott. In einer Zeit der Belastung durch den ultimativen Erfolgsdruck ist die Bereitschaft einen Stillstand einzulegen, einen neuen Versuch zu wagen, sich auch einmal zurück zu nehmen und – in Demut – Rat einzuholen, gar nicht hoch genug einzuschätzen. Das unterscheidet uns Menschen von der Maschine.

Die Geschichte hat es uns ohnehin vorgemacht:

Vieles Große wäre auf dieser Welt ohne permanente Seitstellschritte, ohne Rückkehr zu den Anfängen und ohne elendslange Umwege nie gelungen.


Hermann Härtels Statement anlässlich des Symposions „Wohin soll ich mich wenden?,  Musikantenwallfahrt Mariazell 2014; Härtels kleines Credo, Martinsbote des Pfarrverbandes Deutschfeistritz-Peggau, Übelbach, 9/ 2014; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.