Der Retro Genuss: DIE STEIRISCHEN TANZGEIGER

Die CD Ausgabe zweier Vinyl-Schallplatten, die 1979 und 1981 erschienen sind und nunmehr unverändert wieder aufgelegt wurden.

Hermann Härtel und Rudolf Pietsch bieten im Beitext einen amüsanten Rückblick auf junge Musikantenjahre und unterlegen dies mit bislang unveröffentlichten Bilder. Im Original übernommen wurde die Beschreibung der Musikstücke, die damals von Gerlinde Haid verfasst wurde. Eins zu Eins und damit unverändert präsentiert diese CD auch die damaligen Tonaufnahmen.

Zeitdokument an der Schnittstelle

Sie sind ein Zeitdokument an der Schnittstelle der beinahe abgebrochenen Überlieferung des volkstümlichen Geigenspiels und einer Renaissance des Tanzgeigertums, an denen die Steirischen Tanzgeiger ihren großen Anteil hatten. Hermann Härtel und Rudolf Pietsch waren unermüdliche Lehrer für die jungen Streicherinnen und Streicher und die Protagonisten der legendären Geigentage mit Auswirkungen auf den gesamten Alpenraum.

Diese Neuauflage der in den Jahren 1979 und 1981 erschienen Tonaufnahmen widmen die Herausgeber der Mitmusikantin und Bratschistin Frau Franziska Pietsch-Stockhammer (1955-2001) und der Mentorin der Steirischen Tanzgeiger Frau Prof. Dr. Gerlinde Haid (1943-2012) Die 29 Musikstücke enthalten Jodler, Mazurka, Walzer, Marsch, Polka bis zu den Steirischen Tänzen mit den Schleunigen.

Die CD Die Steirischen Tanzgeiger – Retro-Ausgabe einer großen Ära der Tanzgeiger

Die Steirischen Tanzgeiger
Bschoad 46-11 Evelyn Sperker, Wien, 1979
Produktionsleitung: Rudolf Pietsch, Evelyn Sperker
Tontechnik: Herbert Gießer, Wien

Die Steirischen Tanzgeiger II
Bschoad 46-14 Evelyn Sperker, Wien, 1981
Produktionsleitung: Rudolf Pietsch, Evelyn Sperker
Tontechnik: Herbert Gießer, Wien

Wer waren damals die Interpreten?

Hermann Härtel: Harmonika, Gesang
Rudolf Pietsch: Violine, Schwegel, Gesang
Ingeborg Magdalena Härtel-Pabi: Violine
Franziska Pietsch-Stockhammer: Viola
Sissy Paul: Kontrabass

Die Retro-Ausgabe aus der Sicht der Interpreten

Das ist paradox: Als Musikanten haben wir stets dem Augenblick gedient. Das Voranschreiten im Puls der Stimmung und das Abtasten des immer neuen Publikums haben nach keiner Rückschau verlangt. Eine Retroperspektive in eigener Sache ist also absolutes Neuland für uns, denn die jahrelange berufliche Feldforschung ist noch keine Garantie dafür, dass die eigene Vergangenheit zum Thema erhoben wird. Den Fokus aber auf den eigenen Lebensweg lenken und dabei die verblichenen Erinnerungen mühsam hervorholen, das ist eine amüsante Beschäftigung. Zusammen mit dem Hineinhören in die nun schon alten Tondokumente, kommt dies einer Zeitreise gleich.

Die Zeit der Langspielplatte

Die beiden Schallplatten entstanden in einer sehr intensiven Spielzeit des Ensembles und als Resümee eines erarbeiteten und erprobten Spielgutes, welches sich aus einem Bündel an Eindrücken zusammen fügte. In jedem von uns steckten die ersten Töne der Familienmusik, ebenso jener Melodienreigen, den wir mit jeweils anderen Musikern gespielt haben. Gemeinsam aber schöpften wir aus den ungezählten Begegnungen mit den Vorbildern [Altvorderen]. Zuletzt haben wir auch Orientierung aus dem Gehörten erhalten, aus dem Repertoire bei Veranstaltungen und aus dem, was damals der Rundfunk an Volksmusik bot. Der Neugierde war keine Grenze gesetzt und die Volksliedarchive gaben uns zusätzlich Anreiz, das auf alten Notenblättern Geschriebene nun hörbar zu machen. Niemand forderte uns damals dazu auf – und schon gar nicht „innovativ“ zu sein! Es war reichliche Motivation vorhanden, weil uns Volksmusikpflege so brav und beinahe museal begegnet ist. Die Suche nach dem Original, nach Nachahmenswertem und sich ganz auf die Tanzmusik zu konzentrieren, war ja spannend genug.

Warum die zwei Schallplatten damals erschienen sind

In den 1980er Jahren war es gar nicht so einfach, für dieses Nischenprodukt eine Plattenfirma zu finden. Die voraussehbare Verkaufszahl versprach uns ein Taschengeld, hingegen der Plattenfirma wohl keine lukrativen Umsätze. Frau Evelyn Sperker war damals die richtige Ansprechpartnerin, die ihr Label „Bschoad“ für kleine Auflagen aus dem Bereich der traditionellen Volksmusik öffnete. Ihr sind wir zu großem Dank verpflichtet! Wir erinnern uns auch gerne an den Tonmeister, Prof. Ing. Herbert Gießer, der ein kritisches Ohr hatte und uns auch manches Mal aufforderte, die Geigen weg zulegen und doch einmal einen Besuch beim Wirt zu machen. „Ihr seids jetzt einfach nicht gut drauf“ meinte er. Eine Stunde später war er dann mit uns zufrieden. Insgesamt war es eine Zeit, in der man noch Respekt hatte vor der Studioaufnahme und vor der Verantwortung, sich auf einem Tonträger zu verewigen. Wir stellten uns die Frage: „Werden uns die Aufnahmen auch noch nach Jahren gefallen“?

Vergänglichkeit als Wertsteigerung

Die oben genannte Zeitreise ist auch eine der technischen Veränderungen. Damals war von der digitalen Aufnahme noch keine Rede und im Studio liefen die großen Bänder, das Rückspulgeräusch ist uns noch in Erinnerung. Das Masterband hatte in keiner Aktentasche Platz – wie schnell sich dies alles geändert hat! Nach der Vinyl-Langspielplatte begann dann das digitale Zeitalter. Durch die eigene Musikgruppe aber wurden wir Zeitzeugen an der Schnittstelle zwischen den Langspielplatten und den CDs. Trotz alledem sei hier angemerkt, dass wir uns schon sehr früh über den Wert von Tonträgern Gedanken gemacht haben. Ob der Unwiederbringlichkeit des Augenblicks und dessen durch die Vergänglichkeit ausgelöste Wertsteigerung hatten wir kein Problem damit, die Konserve nachrangig einzuordnen. Wir sind ja selber Tonträger geblieben, mit den Melodien auf Abruf, so wie wir es später in unserer akademischen Lehrtätigkeit im Umgang mit Studentinnen und Studenten und bei unseren meist am Wochenende stattfindenden „Gschäft‘ln“ (= neudt. Gigs) mit den Leuten am Tanzboden eben brauchen.

Das damalige Musikverständnis der Interpreten

Um die Neuauflage zu begründen, bedarf es eines kleinen Rückblicks in die Zeit unserer „Steirischen Tanzgeiger“. Da waren wir ziemlich aufmüpfig und abenteuerlustig. Im Nachhinein müssen wir über unsere damalige Unbedarftheit und Respektlosigkeit sogar lachen. Aus dem ursprünglich von den Eltern gewollten Musizieren, in einer Familienfreundschaft entstanden, ging es „mit freiwilligem Spiel“ hinaus in die Welt. Die Nachkriegs-Volksmusikpflege mit ihren braven Spielmusiken war eine für uns zu ernste Angelegenheit, wiewohl wir heute auch deren Wert und tragende Rolle erkennen. Dabei waren wir uns eins mit einem großen Kreis der Grazer Musikanten, mit denen wir noch vor der Gründung der „Steirischen Tanzgeiger“ ein äußerst vielfältiges und schönes Repertoire spielten.

Freiheitsdrang, Unbedarftheit und Spiellust

Die unbändige Spiellust und der jugendliche Freiheitsdrang allein hätten nicht gereicht, um in die Tanzmusik-Tradition einzusteigen. Da waren es vor allem die Begegnungen mit den alten Gewährsleuten, die unseren Wissensdurst entfacht und gestillt haben. Einer davon war der Oberbergmeister Alois Blamberger (vulgo Blå Lois) aus Bad Ischl. Heute erinnern wir uns an eine damals spürbare Aufbruchstimmung, einen Forscherdrang, eine ungeheure Neugierde, die uns auch ans Archivmaterial heran führte. Dieser Schritt eines Musikers ins Archiv war eher ungewöhnlich und die Servicestellen dieser Einrichtungen noch im Aufbau begriffen. Wir sehen uns noch im Archiv sitzen, die handschriftlichen Bögen durchspielend, die zweite Stimme improvisierend. Es waren vor allem die Steyerischen Tänze, die uns gefallen haben und dieses Interesse spiegelt sich sodann auf den beiden Schallplatten wider. Die Ländlerischen und Steirischen waren ja zu Ende des 19. Jahrhunderts die meistverbreitete Gattung in der Volksmusik. Bei unserer Liebe zur Neuentdeckung hatten wir Mitfühler und Mitdenker wie Gerlinde Haid, den oben genannten Blå Lois und auch den Herzog Albrecht von Bayern, der versessen darauf war, unseren Steirern stundenlang zuzuhören.

Ein Blick sei noch auf die Eigenkompositionen gerichtet. Obwohl ja nie ein Mangel an überlieferten Stücken bestand, gab es zahlreiche Gelegenheiten (Geburtstage, Jubiläen oder diverse Lehrtätigkeiten) für das Entstehen neuer Musikstücke, die sich jedoch im Gegensatz zur heutigen Praxis stilistisch wesentlich stärker an die allgemeingültige Volksmusiksprache anlehnten.

Die Volksliedarchive als Fundgrube

Anfang der 1970er Jahre begannen wir mit dieser intensiven Suche nach Archivmaterialien und auch mit gezielten Befragungen unserer Gewährsleute. Das hat uns gefallen: Aus erster Hand Überliefertes zu spielen, und es war eine Faszination für sich, nicht nur die Musikstücke zu übernehmen, sondern den ganzen Menschen mit seiner Musik kennen zu lernen. Gerlinde Haid war uns eine wissende hilfreiche Freundin. Sie hat uns wie eine große Schwester an die Hand genommen. Sie lehrte uns zuhören und nachspielen, stets den Spagat zwischen Individualismus und kollektivem Stil beachtend.

Die Mischung also, zwischen lehrreichen Begegnungen, den im Archiv angefundenen Materialien und der musikalischen Blödelei war es, die uns zu Höhenflügen geführt hat – Musikmachen nach Lust und Laune und Hunger haben nach dem Publikum! Das hat uns gut getan, deshalb blicken wir heute genussvoll auf junge Musikantinnen und Musikanten, die ihrerseits diese Entdeckungsreise antreten.

Die Renaissance des volkstümlichen Geigenspiels

Unsere viele Jahre andauernde Präsenz auf den Tanzböden in Bayern und Österreich und die Gründung des Steirischen Geigentages, der im Zweijahresrhythmus hunderte Geigerinnen und Geiger für das Tanzmusikspiel begeisterte, führten schließlich zu einem Wiedererwachen des volkstümlichen Geigenspiels. Dazu lieferten wir auch die passenden Noten und unterrichteten landauf, landab bei Seminaren.

Die damalige Besetzung und die Fortsetzungen

Schon bald nach dem Erscheinen der Schallplatte „Die Steirischen Tanzgeiger II“ gingen wir – im sanften Gleitflug – getrennte Wege. Es waren vor allem berufliche Überlegungen und das Pendeln zwischen Graz und Wien, das einen parallelen Aufbau von zwei Nachfolge – Musikgruppen mit sich brachte:

Die Tanzgeiger, Wien       Die Citoller Tanzgeiger, Steiermark

Insgesamt sind wir selber erstaunt, dass uns die damals aufgenommene Musik heute noch gefällt. Vielleicht, weil mit ihr die Grundpfeiler des Musikmachens so eindeutig dokumentiert sind: Die gemeinsame Begeisterung, die brauchbare instrumentale Besetzung, die der Musik dienende Aufgabenteilung der Funktionen, das Orientieren am Bewährten, die Lust am Ausprobieren. Stets der Musik dienend, dem Transport der Melodie unter dem akzentuierten Nachschlag und dem um eine Spur nach vor drängenden Bass. Das war eine fetzige Tanzbodenmusik, die nicht zuletzt auch wegen der Besetzung mit Burschen und Mädchen – diese sogar in der Überzahl – für Aufsehen sorgte.

Erstaunlich also, was hier aus Lust und Laune und aus dem Frust der braven Volksmusikszene, aus der damals biederen Spielmusik und dem unverrückbaren Status der Volksmusikpfleger gemacht werden konnte. Wenn das alles nicht hörbar wäre, hätten wir zu einer Neuauflage gar nicht angesetzt.


CD Ausgabe-Werbetext, 2014; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.