Die Lichter – Kettenreaktion

Als dann alle Fenster und Giebel, alle Türme und Dachgauben, alle Büsche und Zierbäume, alle Eingangs- und Garagentore, alle Brücken, Stege und Stiegen, alle Masten, Laternen und Wäschetrockner, alle Zäune, Gatter und Hecken, alle Kirchen und Feuerwehrhäuser, alle Konzert-, Volks- und Freudenhäuser, alle Einfamilien- und alle Hochhäuser, alle Wochenend-, Bade-, Holz- und Hundehütten, alle Litfaßsäulen, Kreisverkehrsmittelpunkte, Hinweis- und Verbotsschilder, Bauernhäuser, Silotürme, Heustadel und Kellerstöckl, Müllcontainer und Komposthaufen endlich vollständig mit Weihnachts-Lichterketten und blinkenden Rentierschlitten behangen waren, war das Stromnetz überlastet und – flutsch – war es finster.

Das war bei Müllers eine Aufregung: Manuel verlor die nicht gespeicherten Daten seiner gerade erst über Google mühsam zusammen getragenen Abhandlung über den Weltfrieden.

Eine neue Erfahrung: Die absolute Dunkelheit

Carina wurde mitten im Fernsehfilm aus dem spannenden Geschehen gerissen und musste mit der Ungewissheit weiterleben, ob sich die beiden Liebenden für immer oder nur für Stunden getrennt haben. Rene saß geschockt vor der stummen Playstation, die fehlende Netzspannung ließ ihn im unerbittlichen Schwarz seines Zimmers zurück. Die Radioapparate im Parterre und im ersten Stock schwiegen und gaben den Einsatz für eine familiäre Schrecksekunde. Renes Finger tasteten nach dem Lichtschalter – klick-klack – bevor er in Panik nach seiner Mama rief.

Der Treffpunkt: Die gute Stube

Die Mutter aber kramte schon in der Kredenz nach den Kerzenstummeln, Vater legte die Zeitung beiseite und suchte sein Feuerzeug. Alle versammelten sich stolpernd und tastend nach und nach in der guten Stube, um die sonderbare Erscheinung zu besprechen: Die absolute Dunkelheit.

Die Mutter erzählte dann von jener Zeit, bevor im Dorf der Strom eingeleitet wurde und der Vater erklärte seinem Jüngsten, wie und wo der Strom erzeugt wird. Mutter holte schließlich die Keksdose hervor und wusste aus ihrer Jugendzeit zu erzählen, von damals, als die Geheimnisse das schönste Geschenk waren.

Das Lied „Es wird scho glei dumpa“

…kam ihr zaghaft über die Lippen, weil es den Stromausfall parodierte und nach und nach stimmten alle mit ein. Eifrig blätterten sie im flackernden Kerzenschein in den Liederbüchern. Und so entstanden in den Köpfen eine Kette von Erinnerungen und Sehnsüchten. Erstmals aber auch eine Ahnung vom Christkindl.

So schöne Stunden hatten sie schon lange nicht mehr miteinander verbracht. Und deshalb blieb der plötzliche Stromausfall noch Jahre in Erinnerung. Es war der Augenblick, als es daheim Weihnacht wurde.


Härtels kleines Credo, Martinsbote des Pfarrverbandes Deutschfeistritz-Peggau, Übelbach, 12/ 2013; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.