Zum Bergtod unseres Freundes Adi Poier

Verehrter Pater Maximilian, liebe Familie Poier, liebe Arbeitskolleginnen und -kollegen und liebe große Bergsteigerfamilie des Österreichischen Alpenvereins, der Naturfreunde und des Bergrettungsdienstes!

Trösten ist eine Kunst des Herzens  – sie besteht oft nur darin, liebevoll zu schweigen…

Das ist eine alte Weisheit und doch ist uns die Sprache gegeben, als ein Wundverband in solchen Stunden. Ein schier unübersichtlicher Wortschatz steht uns zur Verfügung der es vermag, eine solche Erschütterung aufzufangen, sie letztlich – eingebettet in das Wort – als heilend zu empfinden, denn im Augenblick des größten Schmerzes liegt auch der Keim des Heilens.

Der Trost und die Sprache

Ja, die Sprachlosigkeit hat uns alle ergriffen, gleichzeitig lechzen wir nach den Worten, die das Sein und nunmehr Nichtmehrsein in dieser Stunde des Gedenkens begleiten. Nein, Ich bin kein Freund des „Nie Vergessens“, wie wir es gerne nachrufen – weil alles Menschliche nicht unendlich sondern endlich ist. Der Adi würde mir zustimmen, denn er selbst hat es in der Natur so oft erleben dürfen, dieses Kommen und Gehen, das Werden und Verderben. Dass alles endlich und nicht unendlich ist, das mag uns in dieser Stunde als Unvollkommenheit anmuten. Zu Unrecht: Dem menschlichen Sein ist nämlich die Erinnerung zur Seite gestellt, freilich auch mit der Lückenhaftigkeit gepaart, bis zum endlichen Vergessen. Und dennoch bleibt die Erinnerung jenes Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.

Und das ist unser Privileg: Das Festhalten der Bilder in uns, der schönen Begegnungen mit ihm, als er uns die Trinkflasche reichte, die nahen Gipfel beim Namen nannte und wir mit ihm dieselbe Köstlichkeit der Abgehobenheit vom Alltag genossen – und vieles mehr. Das ist ein schöner Auftrag, die Erinnerung wach zu halten und den Adi an unseren weiteren Wegen durch die Berge teilhaben zu lassen.

Des Lebens Lauf

Und nun stellen wir ihn in den Mittelpunkt, sein Kommen und Gehen: Geboren wurde er am 28.Juli 1951 in St. Oswald-Möderbrugg im Pölstal in der Obersteiermark als zweites von 6 Kindern. Er erlebte eine glückliche Kindheit in der Pölsen am Fuße des Pölsensteines, auf der Wildalm in Pusterwald, dann in Oberzeiring und schließlich in St. Johann am Tauern, wo er in der Volksschule vom Analphabeten zum Lese- Schreib- und Redekundigen herangebildet wurde.

Dann ein Rückschlag: Während seiner Schulzeit an der Hauptschule Oberzeiring entdeckten die Ärzte bei dem Jugendlichen einen Herzrhythmusfehler, für dessen Ausheilung er neun Monate im Spital verbringen musste. Auf ärztlichen Rat durfte er sodann keinen größeren körperlichen Belastungen oder Aufregungen ausgesetzt werden. Bei der Arbeitshilfe in der elterlichen Kleinlandwirtschaft hat man ihn nicht zu stark belasten wollen, dafür hat sich sein Drang zu sportlicher Betätigung umso stärker entwickelt.

Adolf wurde sodann an die Handelsschule Judenburg geschickt – um Aufregung und Leistungsdruck gering zu halten. Darin lag auch die nachfolgende Ausbildung zum Bankangestellten bei der Raiffeisenkassa Möderbrugg begründet, die er mit Einsatzfreude und Bravour absolviert hat. Wie kann es aber anders sein, Adis Datendrang ließ sich nicht stoppen und er hat daher tatkräftig beim Neubau des elterlichen Wohnhauses mitgeholfen.

Dann allerdings packte ihn das Fernweh, eine Erdumrundung war geplant. Bis Indien und Nepal ging es gut, dann ist wegen einer Epidemie die Weiterreise in Nachbarstaaten blockiert gewesen und so hat er nahezu ein Jahr lang den indischen Subkontinent kreuz und quer durchstreift, bis er wegen Geld- und Ernährungsmangel abgemagert auf 50 kg wieder in die Heimat zurückgefunden hat – zur Freude der Eltern und Geschwister.

Nach der Wiedererlangung seines Normalgewichtes und Arbeit bei der Raiffeisenkassa Möderbrugg, hat Adolf der Bildungshunger erfasst und er wollte partout als Werkstudent in Berlin durchstarten. Im Banne der Studentenunruhen Ende der 60er – Anfang 70er Jahre, hat er sich einer vermeintlich konservativ – leistungs-orientierten Bewegung angeschlossen, die sich allerdings später als Sekte entpuppte. Da gab es dann für einige Jahre kein Entkommen, bis er in seiner Gerlis eine Gleichgesinnte mit Freiheitsdrang gefunden und mit ihr gemeinsam „das Weite“ gesucht hat. Diese Weite war dann doch wieder die Heimat, wo er in der inneren Steiermark, hier in Gratwein wieder Arbeit bei der Raiffeisenkassa und mit Gerlis ein heimeliges Nest zur Familiengründung gefunden hat.

Adolfs Drang zur Überwindung aller topografischen Hindernisse wie Berge, Hügel und Schluchten, um zumeist den kürzesten Weg in die elterliche Heimat im Mur- und Pölstal zu finden, wurde allgemein bewundert, seine Kompetenz im Bergsport wurde rundum geschätzt. In seiner sportlichen Einstellung hat sich Adolf bis zur Beendigung seines Berufslebens derart gesteigert, dass Berge für ihn niemals zum Hindernis, sondern zur Herausforderung und letztlich zum Schicksal wurden. Für die 3 Söhne war er stets ein fürsorglicher Vater und hat sie – zusammen mit seiner Gerlis – zu leistungswilligen, hilfsbereiten und guten Menschen erzogen, die ihn bei seinen Bergtouren gerne begleitet haben.

Der Tod am Berg

Dass ihn der Tod am Berg ereilt hat, hat eigentlich nichts Tröstliches. Wir flüchten uns allzu gerne in die heroisch – anmutende Formulierung „Er hat das Leben in den Bergen gelassen“ – als ob der Bergtod der besserer wäre als ein anderer. Nein, es ist immer ein schrecklicher Tod, es ist aber unsere Aufgabe, die Liebe zu den Bergen als eine sehr enge Beziehung zum Göttlichen zu sehen, als eine Annäherung zu Lebzeiten.

Sein Streben nach oben

Dort wo sich die Distanz zwischen Himmel und Erde verringert, können wir aus dem unendlichen Weitblick Spiritualität erfahren. Da sind wir Bergsteiger alle gleich – manches Mal gelingt es uns, ohne Gebet im Rundblick die Andacht zu halten. Da steht die Zeit still in Bewunderung der Vielgestalt, in Bewunderung des harmonischen Nebeneinander von Fels und Geröll, von grünen Matten und verwitterten Baumkronen, von prächtigen Farben der kleinwüchsigen Blumen. Die gewaltig aufgebäumten Felswände erinnern uns an die eigene Kleinheit, rücken die Gewichtung zurecht – und das ist gut so.

Das, liebe Trauergemeinde, war alsdann die Welt des Adi Poier, der uns ein verlässliches Vorstandsmitglied im Alpenverein war, ein liebgewordener Begleiter, einer mit Herz und ein wahrer Kamerad eben, ein penibler Planer der Touren und ein wanderndes Berglexikon. Er kannte jeden Steig, jede Hütte, jeden Schwierigkeitsgrad und jeden Aussichtspunkt. Ja, gerade erst ist er an unserer Seite gegangen, an unserer Seite geradelt und hat in seiner Mitteilsamkeit die Erlebnisse der diesjährigen Bergtouren wieder aufleben lassen. Das Gipfelphoto am Hochtrötsch zeigt ihn das letzte Mal in seinem Element und inmitten seiner Gefährtinnen und Gefährten.

Den Zenit erreicht

Und nun wird er nicht mehr dabei sein, weil er den Zenit erreicht hat. Es bleibt uns, die Hoffnung daran zu knüpfen, dass seine Sehnsucht nach oben gestillt ist, dass er uns nunmehr von oben begleitet und beschützt, als Fürsprecher für alle, die ihr Heil in den Bergen suchen. Wir empfinden tiefes Mitgefühl mit seiner Familie, wir sind alle in dieser Stunde gekommen um Euch zu zeigen, dass es Euer und auch unser Schmerz ist.

Und nun ist in diesen Minuten des Abschieds Stille eingekehrt: Die frohen Lieder wollen uns nicht von den Lippen. In unseren Herzen brennt momentan keine Sehnsucht, wie wir es gerne im alten Bergsteigerlied trällern; „In die Berg bin i gern“ ist zum Abgesang verkommen und es rauschen keine Wildgänse durch die Nacht….

In den Gesäusebergen steht der Wildbach still und am Hochschwab haben die Eiskristalle das Funkeln eingestellt, selbst die Nebelschwaden um den Grimming sind zu einem Trauerflor geflochten. Die knorrigen Lärchen in den Triebener Tauern aber neigen sich im aufkommenden Winterwind. Das ist eine einzigartige Ehrerweisung – für Dich mein Freund, für Dich. Alle und alles was Du geliebt und bewundert hast, hält den Atem an, verneigt sich ein letztes Mal vor Dir. Berg Heil!


Abschiedsrede in der Pfarrkirche Gratwein, 11/ 2012; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.