Warum gibt es Euch noch?

Eine weit herbei geholte Antwort auf eine simple Frage

Kurz zuvor hat er noch getrommelt und mit einem dunklen whumm erstarb der Rhythmus im Kriegsgeheul. Ausgetrommelt und ausgeblutet hat er und in unseren großen Kunstgalerien sind deren viele Beispiele zu sehen. Ein buntes Bild von Pferden, Waffen und Musikinstrumenten, am Boden zermalmt zu einem grausigen Opferbrei.

Weil die Musik voran marschieren musste…

Ja, einst galt der Musikzug an vorderster Front als Einpeitscher, um sich die Tapferkeit der Waffenbrüder zu erspielen. Ebenso aber, um dem Gegner mit Trommeln, Tschinellen und Fanfarenstößen eine Übermacht vorzutäuschen und damit Angst einzujagen. Ganze Generationen von jungen Musikern fielen unbewaffnet – wenn man die Trommeln und Pfeifen nicht zu den Waffen zählen möchte. In Anbetracht der Bedeutung psychologischer Kriegsführung fällt es schwer, sie ins Waffenarsenal nicht mit einzubeziehen.

Die große Tradition der Männerchöre

Für uns, die wir aus einem Naheverhältnis zum Musikgeschehen, Musik wie eine Aura mit uns herumtragen, stellt sich die Frage nicht. Fernab aber vom musikalischen Thema ist es durchaus berechtigt, wenn jemand – mit dem Männerchorwesen konfrontiert – fragt: „Warum gibt es Euch noch?“

Und dann holen wir für den Unbedarften gerne aus: Es handelt sich um eine wohl einzigartige Vokalform für die sich Tondichter und Textschreiber gehörig ins Zeug gelegt haben. Dann reden wir gleich vom Kulturleben, denn die Männerchöre treten klingend in Erscheinung, singen auf dem Podium, begeben sich auf Reisen und besingen Tonträger. Zuguterletzt kommt der gesellschaftliche Aspekt dazu, denn es geht auch um ein ausgeklügeltes Vereinswesen, um Begegnungen am Biertisch, um oftmals soziales Engagement in Benefizkonzerten und um den Brückenschlag in alle Welt. Eine Erfolgsgeschichte mit lange zurückreichender Tradition also.

Männer und nichts als Männer

Alles Paletti? Wenn uns die Lieder gefallen, ebenso die singenden Männer und ihr Beitrag im örtlichen Kulturleben, dann ist der Blick in die Geschichte eine schöne und hilfreiche Ergänzung:

Dabei kehren wir zurück zum Ursprung, zur Umgestaltung des Geisteslebens in der Zeit der Aufklärung und zur Wiederentdeckung des Volksliedes in der Romantik. Damals war neben den volkstümlichen Werten die Geselligkeit gefragt und die Naturverbundenheit wurde ebenso gepflegt wie der Patriotismus. Die illustre Männerriege – so ganz unter sich – sah in der Liedertafel eine Mittel zur Erstarkung der Nation, ein Sprachrohr für den jeweiligen Herrscher. Eine singende Volksbewegung – so könnte man sagen.

Erst viel später mutete man den Frauen zu, im „Gemischten Chor“ auch Stimme zu haben. Die Stimme im aktiven Wahlrecht war ja ebenso lange Zeit für Männer reserviert. Wie in vielen anderen Bereichen des Lebens auch, spielt sich bei der Musikausübung ein Wandel ab, der Schritt für Schritt zu einem Miteinander von Männern und Frauen führte. Im Blasmusikwesen drückt sich dies heute auch in einem veränderten Erscheinungsbild aus. Wie konnten wir so lange auf die weiblichen Töne verzichten?

So weit wollte ich gar nicht ausholen. Ich verweise aber auf die vorhandene Literatur zum Männerchorwesen und parallel dazu zur Geschichte der Emanzipation der Frau im 19. und 20. Jahrhundert. Nein, das Kapitel ist noch nicht abgeschlossen, wie wir es an den unterschiedlich gefüllten Lohntüten von Mann und Frau erkennen können.

Der Patriotismus als Waffe?

Kommen wir also zum Anfang zurück, zum Trommelwirbel, zur Kampfeslust und den starken Worten. Wer sich einigermaßen mit den Liedtexten der alten Männerchöre beschäftigt hat, kann nicht umhin, Worte und Weise als „Mittel zum Zweck“ einzustufen. Da kann jeder Einzelne im Klangrausch erstarken, sich auf eigenem Grund und Boden behaupten und sich über anderen Grund und Boden singend hinwegsetzen.

Heute kennen wir diese Form des Brusttrommelns ausschließlich in Verbindung mit den Olympischen Spielen und der Weltmeisterschaft. Wir intonieren ganz ohne Chorprobe unser „Immer wieder Österreich“, werden alle zu Fahnenschwingern und zittern um ein paar hundertstel Sekunden. Das ist gut so. Es sind die friedlichsten Kämpfe, die vor dem Fernseher und im Stammlokal ausgetragen werden. Dann und wann stellen sich die angesehendsten Bürger auf den Tisch, um den Sieg zu feiern, oder im Gegenzug – bei Verlust der Polposition – in Gemeinschaft zu leiden. Eigentlich eine durchaus männliche Angelegenheit …

Abgerundet und nachbetrachtet

Ich gebe zu, dass sich die erschossenen Trommler und Trompeter nur schwer mit den Brust trommelnden frühen Männerchören in Einklang bringen lassen. Und doch: Welches Glück hatten die Männerchorsänger, dass sie mit ihren kämpferischen Worten um Heimat und Vaterland nicht ganz vorne marschieren mussten, dort wo die Kugeln flogen. Das haben ihnen die Instrumentalisten abgenommen, deren es allzu viele nicht überlebt haben. Musik als Waffe kann also ganz unterschiedlich in Erscheinung treten. Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass Worte auch Waffen sein können. Da gibt es durchaus scharfe Munition, die jederzeit nachgeladen werden könnte…

Nachbetrachtet ist es ein hohes Glück, dass wir heute sorgsamer umgehen: Mit der Frau in der Gesellschaft, mit den Liedern die wir singen und mit den Instrumenten, die wir spielen. Ein durchaus friedfertiges Europa also. Da könnte man beinahe ein Patriot werden.


Beitrag in: Steirischer Jägerchor, Jubiläumsausgabe zum 40-jährigen Bestehen, Seite 51-53/ 2012; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.