Verabschiedung von Franz Zöhrer

Lieber Pater Simon,
liebe große Trauerfamilie
und lieber Freundeskreis des Franz Zöhrer!

Der Franz vor dem Himmelstor

Wir können mit Sicherheit annehmen, dass der Franz, bevor er durch das Himmelstor geschritten ist, sich noch einmal umgedreht hat, um nach jemandem Ausschau zu halten, der mit ihm geht, wegen der Zweistimmigkeit. Das wäre nicht nötig gewesen, da braucht sich der Franz keine Sorgen machen – es sind ihm viele Sangeskundige voraus gegangen. Es sind alle seine Lehrmeister dabei – vor allem sein Vater und der alte Wirt am Reising – aber auch schon welche, denen er der Lehrmeister sein durfte. Der Franz als Neuzugang im Himmelschor! Das ist etwas für ihn, weil dort auch ohne Noten gesungen wird – Notenständer wären auf den flauschigen Wolken viel zu instabil.

Der Franz im Himmelschor

Nun ist also der Felber Franz nach seinem irdischen Weg dort oben angekommen – und wird zu aller erst dem Sopran zugeteilt. Gleich neben dem Sepp, dem Wolfbauer aus dem hinteren Johnsbachtal, dem ebenso begnadeten Sänger in den höchsten Sphären. Im Orchester aber darf der Franz neben den Harfenistinnen sitzen – gleich hinter den wirbelnden Pauken spielt er die Okarina. Er, dem eine eheliche Partnerschaft und eigene Familie verwehrt geblieben ist, wird die weibliche Nachbarschaft im Orchester schmunzelnd genießen.

Der Spott – im Himmel und auf Erden

Das ist ein für uns tröstliches Szenario – weil wir ihn dort gut aufgehoben wissen. Aber auch dort – in den Heiligen Hallen – wird getuschelt: Schau, der da drüben mit den Froschaugen…

Das darf Euch jetzt – hier in diesem Gotteshaus – nicht unangenehm berühren, denn im Himmel gibt’s keine Beleidigung, keinen bösen Spott. Es ist ja nahezu ein Segen, dass der Franz aus der inzwischen großen Menge der in den Himmel Aufgestiegenen wahrlich hervorsticht – so können wir ihn bei unserer eigenen Ankunft leichter finden – den Franz mit seinem Markenzeichen.

Hier aber in den weltlichen Niederungen ist Hohn und Spott, das Anderssein ein Auferlegen schwerer Prüfung, die man durchstehen muss, erst einmal aushalten muss. Der Franz hat sich nie beklagt, wohl aber hat er gelitten und mir von den Unbilden erzählt, die einem widerfahren, der so wie er, aus der Reihe tanzt und sei es nur, was die Optik betrifft. In dieser Hinsicht war es für uns alle lehrreich, ihn näher kennen zu lernen, seinen Frohsinn, seine Weisheit, seine Bescheidenheit und seine innere Strahlkraft.

Ja, man muss mit ihm gesungen haben um Schönheit richtig deuten zu können. Ist es nicht grauslich, wie wir uns manches Mal von perfekten Fassaden täuschen lassen, dort wo sich dahinter nur hohle Räume auftun? Meine Wortmeldung ist daher eine einzige Liebeserklärung, weil wir alle dankbar sind, ihm begegnet zu sein. Sein Lebenslauf scheint hingegen vorerst unspektakulär:

Der Lebenslauf des Felber Franz

Geboren wurde er am 21.03.1937 am Laufnitzberg als achtes Kind der Eltern Georg und Elisabeth Zöhrer, vulgo Felber. Er besuchte 8 Jahre die Volksschule in Laufnitzdorf und war bis 1966 am elterlichen Bergbauernhof beschäftigt. Danach zog er zu seiner Schwester Mitzi, Familie Grassberger am Dirnberg und arbeitete als Forstarbeiter bei der Firma Mayr-Melnhof. 1969 zog er zu seiner Schwester Luisl, Familie Mitteregger nach Laufnitzdorf und wechselte seinen Arbeitsplatz zur Papierfabrik Schweizer. Ab 1971 war er bei der Firma Mayr-Melnhof-Karton beschäftigt und ging dort 1994 in Pension. Zuvor hat er sich einen Alterssitz geschaffen, einen Zubau bei der Familie Mitteregger, ein eigenes Zuhause auf das er sehr stolz war. Trotzdem übersiedelte er 2008 gerne ins Altersheim Schloss Weyer im Gamsgraben. Er genoss die Umsicht, Pflege und Ansprache im Heim und auch die kleinen Ausflüge in die nahen Gaststätten. Der Pflegerin Elisabeth Fink ist besonders zu danken. Sie absolvierte wegen dem Franz einen Jodelkurs – ja so weit kann Zuwendung und Betreuung gehen. Und in diesen Dank schließe ich seinen Betreuer, Herrn Bali ein, der sich so vorbildlich um den Franz gekümmert hat, ebenso die Sozialarbeiterin der Firma Mayr-Melnhof, Frau Margit Steinberger. Es wären wahrscheinlich noch mehr Namen zu nennen, sie sind mir nicht bekannt. Sie sind alle in diesen Dank mit eingeschlossen.

Der ruhige Lebensabend hätte noch andauern können – die Gesundheit hat nicht mitgespielt. Der Franz starb nach einer schweren Operation im Pflegeheim Eschenhof in Semriach.

Die Poesie in Wort und Ton

Was heißt hier aber „unspektakulärer Lebenslauf“? Da war ja noch die Sangeslust, die ihm eine bessere Welt eröffnet hat. Eine, mit Stunden der überschäumenden Lustbarkeit. Eine, die ihm Brücken gebaut hat und Wertschätzung angedeihen ließ.

Wieso war aber ausgerechnet das Singen sein Refugium? Schon früh war er mit dem Vater und den Brüdern singend unterwegs. Oft und gerne bei den Kirchtagen, Bällen und Almfesten und dabei hat er sich ein enormes Wissen angeeignet. Er war ein guter Beobachter, ein ausgezeichneter Analytiker, ein tiefsinniger Philosoph und er hatte endlos Speicherplatz für Text Melodie und die vielen unauslöschlichen Bilder. Das machte ihn zum begehrten Gesprächspartner, denn er verfügte über eine beachtenswerte Erzählkunst, wobei der Weg das Ziel war:

Mit einer erstaunlich klaren Sprachpoesie führte er den Zuhörer zur Pointe. Es war stets ein Genuss, seinen Geschichten zu lauschen: Seine Erzählungen über das Bauern- und Holzknechtleben – bis in die kleinsten Details samt sprachlichen Besonderheiten, waren der beste Ersatz für eine Volkskunde – Vorlesung. Und: Er hat aus Fragestellungen des Alltags stimmige Schlüsse gezogen, für das Resümee aber stets eigene, kurze, prägnante Worte gefunden.

Und die Musik? Der englische Schriftsteller Peter Ustinov lobte einmal einen Sänger mit den Worten: „Man könnte meinen, er hätte eine Stradivari verschluckt.“

Das Zitat würde auch auf den Franz zutreffen, dessen hohe Stimme und unglaublicher Liederschatz stets aus ihm herauspurzelte. Jede Stimme und jede Strophe seiner über 400 Lieder und Jodler, inwendig und auswendig ohne Stimmgabel und Notenblatt. Das muss ihm erst einmal jemand nachmachen. Vor allem jene, die sich in Musiktheorie verstricken und Musik zum Gegenstand anstatt zur Herzensangelegenheit machen.

Diese besondere musikalische Ausstattung machte den Franz ab etwa 1980 zu meinem Mitstreiter in der Volksliedsache, zum Referenten bei vielen Musikwochen und fast zwei Jahrzehnte lang zum Liedlehrer an der Wiener Musikuniversität. Es werden etwa 2000 Studentinnen und Studenten aus dem In- und Ausland gewesen sein, die ihn in diesen Jahren erlebt und vom Fleck weg verehrt haben. Er war der geborene Pädagoge und oftmals gleichermaßen erschöpft wie glücklich, weil ihm alles abverlangt wurde. In solchen Sternstunden hat er mir oft zugeraunt: „Des glabt ma daham neamd.“

Sein Beispiel von „Musik mit Sitz im Leben“ avancierte bald zum Tagungsthema der Volksmusikforschung in Österreich und in der Folge zur intensiveren Beschäftigung mit dem Thema: „Musik als Lebensmittel“. Hans Martschin der damalige Vorsitzende des Volksliedwerkes holte ihn in den Vorstand. Nicht, weil es an Funktionären fehlte. Vielmehr war es eine symbolische Geste, den Franz als Vertreter der Volksmusikalität dabei zu haben. Als Ausgleich zu den Theoretikern und Wissenschaftlern.

Es ist sein Verdienst, dass heute so viele junge Leute wieder jodeln – ohne Heimattümelei und Nostalgie, dafür aber mit der vom Franz übernommenen Freude am Selberklingen. Ihm gebührt unser aller Respekt, weil er aus seinem Liedbesitz das Beste gemacht hat: Er hat ihn permanent weitergeben.

Seine Erfolge hat er genossen, aber er war nie eingebildet, war nie der Besserwisser und hat nie mehr hineininterpretiert, als drinnen war. Weder Rundfunkaufnahmen, noch Bühneauftritte und Auszeichnungen haben den Franz ein Stargehabe aufgedrückt. Er war feinsinnig veranlagt und wusste sein Wirkungsfeld abzustecken.

Das Wichtigste aber: Er wusste, dass seine Kenntnisse zum elementaren Menschsein gehören – da bedurfte es keiner Volksmusik-Untergangsszenarien, Etikettierung und Engstirnigkeit. Franz war ein Glücksfall: In ihm trafen sich die Einfachheit und das Geniale und feierten Festspiele.

Und nun heißt es Abschied zu nehmen

Ich bin nicht berufen dazu, ich nehme es mir aber heraus, Dir Franz heute im Namen des Landes Steiermark zu danken, welches Dir ja schon vor vielen Jahren das Goldene Ehrenzeichen verliehen hat.

Ich danke Dir auch im Namen der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, des dort ansässigen Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie für Deine beinahe zwei Jahrzehnte lange Lehrtätigkeit.

Die Sängerrunde Laufnitzdorf dankt Dir für Dein Mitwirken und ebenso der große Kreis von Freunden, die mit Dir gesungen und gespielt haben. Vor allem aber Deine Familie, Euer Drei- und Viergesang. Sie sind heute alle gekommen, um Dir die Ehre zu erweisen.

Und ich danke Dir im Namen meiner Familie. Unsere Kinder haben Dich verehrt und geliebt – und vor allem danke ich Dir im eigenen Namen: Ohne Dich hätte ich nicht so wirken können, wie ich es getan habe. Du warst mein Professor – nicht ich Deiner.

Aufgefahren in den Himmel

Und nun bist Du aufgefahren in den Himmel um zu frohlocken. Da erinnere ich mich, dass Du mich erst kürzlich danach gefragt hast, was denn frohlocken sei. Und ich hab mich bemüht, Dir Auskunft zu geben, habe Dir Synonyme aufgezählt wie das Jubilieren und Jauchzen. Das war alles unzureichend, heute gebe ich Dir die richtige Antwort darauf:

Das Frohlocken, lieber Franz, ist seit jeher den himmlischen Heerscharen vorbehalten. Die einzige Ausnahme warst Du. Du hast das Frohlocken irdisch werden lassen mit Deinem Gesang und durch Dich haben wir das irdische Frohlocken erst kennen gelernt.

Ja, es würde uns etwas fehlen, wenn es Dich nicht gegeben hätte.

Hier liegt mein Liederbuch, hier liegt ein außergewöhnliches Exemplar der Spezis Mensch, eines, dem vieles im Leben verwehrt geblieben ist und eines, das zugleich mit besonderem Reichtum ausgestattet war. Wie kein anderer Mensch aber lehrte uns der Franz, dass Schönheit von innen kommt.

Ein durch und durch schöner Mensch ist von uns gegangen


Gedenktafel am Friedhof Adriach bei Frohnleiten

Hier ruht der Bergbauernsohn

Franz Zöhrer
1937-2012

der durch die Kenntnis von mündlich überlieferten Volksliedern und Jodlern sein Leben und das seiner Landsleute stets bereichert hat. Durch seinen feinen Sinn für das freie Jodeln und für musikalische Zusammenhänge, durch sein ihm angeborenes pädagogisches Talent und seine freundliche Bereitschaft, all sein Wissen und Können anderen freimütig weiter zu geben, wurde er zum beliebten Vorbild für uns selber und für viele, denen er je begegnet ist. Von 1981 bis 2000 hat er durch sein Mitwirken bei Jugendmusikkursen und bei Lehrveranstaltungen der Musikuniversitäten Wien und Graz seinem Land einen unschätzbaren Dienst erwiesen und vielen jungen Menschen einen originären Zugang zur Österreichischen Musiktradition ermöglicht. Er war der Wegbereiter einer Renaissance des Jodelns, die zu Ende des 20. Jahrhunderts einsetzte und im gesamten Alpenland seine Wirkung entfaltete.

Wer hier verweilt, möge ihm in Dankbarkeit einen Jodler widmen.

Ingeborg Magdalena und Hermann Härtel
im Namen seiner Familie und all seiner Verehrerinnen und Verehrer

 


Grabrede zum Heimgang von Franz Zöhrer (1937-2012), Pfarrkirche Adriach bei Frohnleiten, 2012; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.