Kommst mit zum Ball?

Der Sekt, die Schuhe, das Kleid und die Tanzlust…

„Nimmst Du mir das Sack`l mit den Tanzschuhen?“ fragt mich meine Frau und ich lege noch schnell ein paar Scheiter in den Ofen, damit wir es nachher warm genug haben.

Der Autoschlüssel hat sich im Schladminger verfangen und es braucht geraume Zeit, bis ich – in Halbschuhen im Schnee schlitternd – das Auto aufgesperrt habe. Die tiefen Innentaschen meines Rockes haben ihren Vorteil, weil sich eine gerollte „Frankfurter Allgemeine“ – auch die Wochenendausgabe – spielend unterbringen lässt, ebenso eine Thermosflasche mit Kaffee oder gar eine Stange Zigaretten. Manches Mal– so wie gerade erlebt – verliert sich darin der Autoschlüssel.

Nun, so hinter dem Lenkrad fühlt sich der Schladminger wie ein Panzer an. Solchermaßen eingepackt, stellt der Alpenairbag eine schwache Autoheizung in den Schatten. Meine Partnerin hebt den Saum des Dirndlkleides über die Trittschwelle und ist froh darüber, die Winterstiefel übergezogen zu haben. „Hast Du die Vorverkaufskarten dabei?“

Auf zum Ball

Nicht selten, so auch heute meint sie: „Zu Hause wär `s auch schön“. Das sind Momente des Wankelmutes, denn die Zurückgezogenheit in die eigenen vier Wände ist – angesichts des Schneetreibens – verlockend. Die Lust aber, unter die Leute zu kommen, hat heute gesiegt. Der Ball ist also ein Teil dieser Lust, denn in seinem sozialen Gefüge erfüllen sich die vielfältigsten Wünsche. Ob städtisch oder ländlich, ob Groß- oder Kleinveranstaltung: Allüberall sind die gleichen Faktoren für das Gelingen eines Ballabends verantwortlich. Die ländliche Form ist aber stets eine verkleinerte und damit auch eine bekömmlichere, denn hier geben sich – schon wegen der leistbaren Preise – Menschen aller Standesgruppe ein Stelldichein. Das Zusammenleben und die Abhängigkeit im Dorf formt eine besondere Mischung von Menschen, für die der Ball ein alljährliches aufeinander Zugehen bedeutet. Vielleicht ist also die kleine Dosis vom städtischen Vorbild das Geheimnis, warum die Bälle am Lande einen besonderen Reiz ausstrahlen. Sie sind offensichtlich gesellschaftlich notwendige Ereignisse mit samt dem sprichwörtlichen „Gesehen und gesehen werden“.

Die Historie

Bälle waren früher eine festlich gehobene gesellschaftliche Veranstaltung mit Vorgabe der Garderobe und persönlicher Einladungskarte. Nach wie vor gilt Wien als die Hauptstadt des Balls. Heute ist die Nostalgie früherer Festivitäten ebenso wie der letzten Schrei des Modischen zugelassen. Aber was bedeutet das Wort „Ball“ eigentlich? Im deutschen Sprachraum wurde ein Tanzfest zuerst als „Dantz“ bezeichnet, erst im 18. Jahrhundert setzte sich der Begriff „Ball“ durch. Er kommt vom spätmittelalterlichen „ballare“,es bedeutet tanzen, hüpfen.

Einst waren Bälle stets strengen Regeln unterworfen. Das betraf etwa die Formulierung der Einladung, die Tanzfolge und ebenso die Kleidung. Für die etwas gehobenen städtischen Gesellschaftsschichten war ein Ball zugleich auch ein wichtiges Element des Heiratsmarktes. Junge Frauen traten als Debütantinnen erstmals als heiratsfähige Personen auf. Viele Elemente der großen Bälle, auch so manche Rituale früherer Epochen, haben sich bis heute erhalten. Wir finden sie, wie etwa die Damenspende, die Polonaise oder die Mitternachtseinlage, auch auf den kleinen ländlichen Bällen wieder.

Bevor ich aber zurückführe zum Ball auf dem Lande, sei erinnert, dass die historischen Abhandlungen über das Tanzfest und den Ball immer das Wort „Lustbarkeit“ beinhalten. Sie ist der Quell der Erfindung von gesellschaftlichen Anlässen. Das Tanzvergnügen ist also gedrehte, gejauchzte und gestampfte Lebensfreude mit vordergründigem Dekor und Hintergedanken.

Eine Welt der Verpflichtungen

Auch hier beim Dorfwirt geht es um „Gesehen und gesehen werden“. Die dörfliche Struktur ist der Unmittelbarkeit verschrieben. Gute Nachbarschaft war schon immer die beste Versicherung und mit einer umgänglichen Lebensführung lässt sich das Zusammenleben leichter aushalten. Konkurrenz ist ja nicht der Feind sondern die Triebfeder des Lebens. Ballveranstaltungen dienen der Profilierung von Vereinen ebenso, wie dem Überleben des Gastwirtes und dem Zusammenleben im Ort überhaupt. Gegenseitige Besuche sich konkurrenzierender Vereine, machen das Leben leichter und dabei werden scheinbare Verhärtungen – vielleicht nur für diese paar Stunden -verwischt. Keine Sprechstunde in der Gemeindestube und keine Gemeinderatssitzung kann so viel bewirken, wie eine Nacht beim Dorfwirt, wo sich ganz nebenbei über Grundstücksverkäufe und Kanalgebühren reden lässt. Keine Angst: Der Abend bleibt ja trotz der Verpflichtungen – Frau Vizebürgermeister tanzt nun mit dem Sägewerksbesitzer – eine köstliche Unterhaltung. Gerade deshalb nämlich, weil sich die Besucher etwas zu sagen haben.

Der Gastwirt zieht alle Register

Ihm kommt eine besondere Rolle zu. Herr und Frau Wirtin, ebenso die Kellnerinnen und Kellner sind die Stimmführer im Orchester, welches eine Nacht lang alle Register zieht. Dieser Beruf erfordert viel Kraft und Ausdauer, ebenso aber Geschicklichkeit im Umgang mit einem nicht immer einfachen Publikum. Das Bewusstsein der Unwiederbringlichkeit von gerade erlebten Sternstunden verträgt nämlich keine nüchterne Betriebsamkeit. Mit Herz und Sinn Gastgeberin und Gastgeber zu sein und dabei auch im Arbeitsgewand ein Teil der Fröhlichkeit zu bleiben, das macht einen guten Gastbetrieb aus. Wenn da nicht der Funke auf die Gäste überspringt?

Die Ballmusik

Das gesellschaftliche Ereignis steht zwar im Vordergrund, eine gute Musikformation ist aber stets ein besonderer Trumpf des Veranstalters.
Kriterien für die Beliebtheit einer Musikgruppe gibt es viele. Besonders wichtig ist aber der Umgang mit der Lautstärke. Wenn Musiker mit den Reglern nicht umgehen können, stirbt jede Unterhaltung und die Ballbesucher werden geradezu vertrieben. Ob das die Musikanten wohl wissen?

Die Tracht

Gesehen und gesehen werden hat auch Auswirkungen auf die Beschaffenheit unseres Äußeren. Es mag schon stimmen, dass es sich hierbei um eine überlieferte Sitte handelt. Wer jedoch das Ritual zwischen Badezimmer und Kleiderschrank beobachtet weiß, dass es sich beim Um- und Ankleiden, beim Auftragen und Umhängen um einen Teil der oben besprochenen Lustbarkeit handelt. Die Verwandlung vom Alltag zur Festlichkeit ist auch ein Stück interessanter Kulturgeschichte.

Trachten haben seit jeher einen hohen Stellenwert und sind allüberall akzeptiert. Ob man nun in die Staatsoper geht oder einen Garnisonsball besucht, ob Geburtstag, Hochzeit oder Begräbnis: Die Tracht passt eigentlich immer dazu, sie hat immer Saison. Vielleicht hat dies auch mit der heute üblichen Hose&Pulli-Uniform zu tun?

Der Trachtenball, den wir beide gerade besuchen, hat schon wegen der bunten Lebendigkeit der Tracht eine Spur von Festlichkeit. Die vielen verschiedenen Farben, Stoffe und Bänder, die Hüte und die Blusen, der Männer Hirschhornknöpfe und Bündel – es ist geradezu unglaublich, wie sehr die einzelnen Elemente Frauen wie Männer gleichsam kleiden.

Den Abend verbringen wir in geselliger Runde mit den üblichen Pflichttänzen im Umkreis unseres Tisches. Ein paar Schuss am Keller-Schießstand und die Tänze am Tanzboden machen durstig, sodass wir uns mit anderen Freunden an der Schank bedienen lassen. „Eine runde Bier für die Musikanten“ schreit der Leitnbauer und bekommt dafür ein Ehrenstück aufgespielt.

Vom Ball nach Haus`

Während meine Frau wieder Tanzschuhe mit den Stiefeln tauscht, kündigt die Musik noch einmal drei Schlusstänze an. Die können wir nicht auslassen. An der Schank noch eine Runde Wein und an der Schnapsbar ein Fluchtstamperl. Ein paar Stänkereien zum Hias hinüber, der uns nichts schuldig bleibt. Zum Schluss ist noch die Zeche zu zahlen und mit Trinkgeld aufzufetten. Im Gehen noch ein kleines Bier vom spendablen Sägewerksbesitzer, dazu eine Zigarillo und als Gegeneinladung – man lässt sich ja nicht lumpen – noch ein Stamperl drauf. Prost – es war eine schöne Ballnacht!

Vier Uhr ist es und heiß ist es hier beim Wirt. Kein Wunder: Hab ich doch den Schladminger schon vor einer dreiviertel Stunde übergezogen. Ja, das Heimgehen zieht sich oft bis ins Morgengrauen…


Gwandhaus-Journal, Salzburg, 4/ 2007; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.