Des Geigenbauers sonderbarer Wunsch

Staunend steht der kleine Engel vor dem Schaufenster des Geigenbauers. Seltsam, denkt er, alle reden davon, dass der Himmel voller Geigen hängt, – es ist halt das verklärte Bild, das sich die Menschen vom Himmel machen.

Ja, die Unkenntnis zaubert so manches Märchen in den Kopf – so sind halt die Menschen! Aber hier im kleinen Geschäftslokal, da hängt der Himmel wirklich voller Geigen: große und kleine, daneben prachtvolle Celli und Bässe, die ganze Wand entlang mit glänzenden Bäuchen. Vor Kälte tun dem Engelchen die Zehen weh, trotzdem kann es sich nur schwer von dem Anblick losreißen.

Des Engels Shopping Tour

Als Petrus dem Engel den Auftrag gab, eine weitere Geige für das Himmelsorchester zu besorgen, hat er genaue Anweisungen gegeben: „Es muss ein gutes Instrument sein, mit einem erstklassigen Bogen und einem passablen Etui dazu!“. Und dann fügte er hinzu: „Gib dich nicht zu erkennen, unser himmlischer Einkauf bleibt ein Geheimnis. Frage zur Sicherheit nach Prozenten – wie es die Menschen auch tun“.

Etwas beklemmend ist dem Engel schon zumute, als er nun über die Schwelle des Geschäftes tritt und dabei achtet, dass ihn die eingezogenen Flügel unter seinem Mantel nicht verraten. Da tritt auch schon der Meister aus seiner Werkstätte, ein altehrwürdiger Vertreter seiner Zunft, dem wegen seines hohen Alters schon des Öfteren bange war, wie er es später – nachdem er von dieser Welt abgetreten – ohne sein geliebtes Handwerk aushalten werde…

Der Meister „durchleuchtet“ seine Kundschaft

Die Kundschaft aber fragt er höflich nach dem Begehr und der Engel formuliert mit weltlichem Gehabe seinen Wunsch nach einem göttlichen Instrument. Der Geigenbauer aber, jahrelang darin geschult, die Wünsche, die Herkunft und die Zahlungskraft seiner Kundschaft zu erahnen, spürt eine innere Erregung, als ob es sich heute nicht um eine gewöhnliche Kundschaft handle. Da ist etwas in der Luft und an der Person, das ihn neugierig macht. Er lockt dann doch das Geständnis heraus, dass es sich beim Kauf dieser Geige um eine Ergänzung für ein großes, bedeutendes Orchester handle. Dem Meister liegt schon die Frage auf der Zunge, um welches Orchester es sich denn handle, da verstummt er ahnungsvoll.

Der Geselle misstraut seinem Meister

Zur gleichen Zeit aber lauscht der Geselle – er hat sich hinter dem Vorhang verschanzt – mit großem Misstrauen diesen Vorgängen und murmelt kaum vernehmlich sein „Himmel-Herrgott“, welches er immer dann durch die Zähne zischt, wenn ihm das Verhalten seines alten Meisters missfällt. Der Meister aber bleibt gelassen, als wären nun alle seine Fragen schon beantwortet, als würde es sich um eine alte Kundschaft handeln.

Er präsentiert sogleich die schönsten Instrumente die er jemals gebaut hat und preist sie in den höchsten Tönen. Der Handel ist schnell abgeschlossen und der Geigenbauer übergibt, nachdem er eines der Instrumente in der anliegenden Werkstätte sorgfältig verpackt hat, der Kundschaft das Paket mit den Worten: „Ich empfehle mich eurem Orchester als künftiger Geigenbauer!“

Kein Nachlass bei Barzahlung?

Gleich nachdem der Engel das Geschäft verlassen hatte, sinnierten beide – der Meister und sein Geselle – über die außergewöhnliche Erscheinung und vor allem über den Umstand, dass seit vielen Jahren erstmals kein Nachlass bei Barzahlung ausverhandelt wurde. Der Geselle machte dem Meister die gewohnten Vorwürfe, er misstraue – so meinte er – dieser seltsamen Person. Nun zogen sie den brodelnden Holzleim vom Ofen, löschten das Licht und verließen im Schneetreiben das kleine Geigenbauergeschäft. Noch spät am Abend erzählte der Meister seiner Frau von der außergewöhnlichen Erscheinung und nebenbei auch von seinem sonderbaren Wunsch, über sein irdisches Leben hinaus ein Geigenbauer bleiben zu dürfen.

Der Engel aber, der noch am selben Abend dem heiligen Petrus die erstandene Geige vorlegte, verschwieg, dass er auf die Prozente vergessen hatte. Und es verwunderte ihn, dass der alte Meister – in weiser Voraussicht – mit dem Geigenpaket auch einen Satz seiner feinsten Geigenbau- Werkzeuge in den Himmel mitgeschickt hatte.


Weihnachtsgeschichte, Dezember 2007; Ursprünglich unter dem Pseudonym W.R. Bindenni veröffentlicht; Die besten Geschichten und Gedichte in: Kronenzeitung, 12/ 2014; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.