Leutln, dås is hålt da steirische Brauch…

…aber was ist Volkskultur?

Freizeit und Mobilität sind die beiden Parameter, die einer touristischen Vermarktung zuspielen, die Kultur eines Landes schürt dabei Sehnsüchte und Neugierde. Während sich einst nur Betuchte einen solchen Arbeits- und Freizeitwelt – Lebensrhythmus leisten konnten, gehört heute die Verlegung des Lebens in den Ferienort zum Standard. Da kommt das Wort Erholungswert ins Spiel, das Angebot an Attraktionen und das Preis-Leistungsverhältnis ebenso. Zuletzt wohl auch ein Stück der Wertschätzung, den Gastgebern gegenüber, die nicht nur Zimmerschlüssel austeilen, sondern den Teppich der emotionalen Ebene ausbreiten, um den Abstand zwischen Alltag und Urlaubstag spürbar zu machen.

Authentizität und Emotionalität als Marke

Mit den im steirischen Tourismus-Leitfaden formulierten elementaren Stärken Authentizität und Emotionalität ist offensichtlich dieses Kapital und diese Ebene gemeint, welche nicht hoch genug einzuschätzen sind: Die Steiermark punktet mit der sympathischen Mischung aus freundlichen mitteilsamen Menschen, aus Tradition und Modernität. Wer von Authentizität spricht, meint aber nicht nur die unverkennbar klingende Steiermark, sondern auch die Leichtigkeit des Seins, der Hang zu ungewöhnlichen Lösungen und zur Risikobereitschaft, die auch das köstliche Neue ermöglicht.

Gelebte Praxis: Hier leben und hier etwas erleben

Die Begegnung von Volkskultur und Tourismus ist ja gelebte Praxis, sie war aber immer wieder einmal Thema wissenschaftlicher Untersuchungen. Die treibende Kraft dabei waren sicher auch Volkskulturvereine, denn da geisterte ja bald einmal der Vorwurf herum, der Tourismus betreibe den Ausverkauf der Volkskultur. Das Argument hält nur so lange, bis man sich eingesteht, dass der Tourismus auch Motor für Kulturäußerungen sein kann, denn auch Überlieferungen und Bräuche brauchen Resonanz, Zustimmung und Publikum. Und es hält auch nur so lange, bis man sich eingesteht, dass unsere Volkskultur da und dort mit Tourismus Arbeitsplätzen verschmilzt. In diesem Einbekennen liegt auch die Vielfalt verborgen, mit der die Trennlinien durchbrochen werden und aus der eine Wechselwirkung ableitbar ist. Dieses Spannungsfeld zwischen Präsentation unserer Kultur für den Tourismus und den Erfordernissen einer für die Bevölkerung erlebbaren hohen Lebensqualität, die das freie Gestalten, das neue Erfinden und Ausleben von Traditionen zulässt, ist eines der großen Themen im Zuge der Urbanisierung, Globalisierung und Findung neuer Lebensentwürfe.

Nur das Leben schreibt die Volkskultur

Bei traditioneller Kultur handelt es sich nicht um unveränderbare Gesetzlichkeiten. Es ist immer eine Mischung aus Beharrlichkeit, Gestaltungskraft und Überbordwerfen, die unser Leben zeichnet. Das Leben aus der Überlieferung ist die überzeugt gelebte Beharrlichkeit, eine Bremse die wir ziehen, weil wir in einer immer schneller werdenden Veränderung ein halbwegs sicheres Geländer durchs Leben brauchen. Beharrlichkeit ist aber nicht gleich Rückständigkeit, weil wir ja unsere Bräuche und Rituale nicht liegen sondern leben lassen. Wir dürfen davon ausgehen, dass trotz des Beharrens, eine stete Innovation – als stiller Prozess – vollzogen wird.

Der Mensch als Erfinder immer wieder neuer Gepflogenheit

Nehmen wir einfache Beispiele und schon finden wir die Bestätigung: Weihnachten wurde innerhalb eines halben Jahrhunderts völlig neu erlebbar. Blasmusik, Mundart, Leben in der Familie, der Bauernstand, Hochzeit: Wir kennen die einzelnen Handlungen in einer schier unüberschaubaren Mischung von verschiedenen Originalen, landschaftlicher oder familiärer Prägung. Bitte nicht schwarzsehen, weil Veränderungen und Verluste auftreten. Nein, hier ist keine Trauerarbeit notwendig, denn neue Lebensumstände brauchen neue Bräuche, neue Siedlungen brauchen neue Feste und der Stammtisch befindet sich neuerdings an der Tankstelle. Nicht, dass alle Neuerungen gleich einmal besser sind als die alte Gepflogenheit. Nein, aber die Eigeninitiative und der Einfallsreichtum der Menschen erfinden neue Gelegenheiten für Geselligkeit und notwendige Rituale, dabei werden Verluste wettgemacht. Dafür gibt es genügend positive Beispiele. Dieses Klima, wo sprühende Ideen nicht im Keim erstickt werden, ist ein steirisches und auf das sollten wir auch in Zukunft bauen. Lieber Wildwuchs als Monokultur!

Die Kultur ist vor allem Lebensmittel

Lassen wir die bunte Volkskultur der Vereine, und Gruppen einmal beiseite und beleuchten wir den Begriff Volkskultur von neuem und vor allem tiefer: Volkskultur ist die mit den überlieferten Ordnungen im Einklang stehende Lebensweise der Menschen. Es musizieren nicht nur Musiker und tanzen nicht nur Tänzer, sondern es sind Menschen, die Tradition in vielfältiger Form in sich tragen. Dazu gehören auch die Sprache und vor allem die Rituale des Lebens. Ihre Volkskultur ist Lebensmittel und dient zu allererst dem eigenen Selbstverständnis. Das, und ihr vielseitiger Lebensraum vom Dachstein bis ins Weinland, macht sie zum Zielpunkt von Urlaubswünschen. Die Unverwechselbarkeit als Marketingstrategie impliziert den Wunsch nach gleich bleibender Qualität und mitunter stillt gerade dieser Stillstand die Wünsche nach Exotik. Der Schritt vom Lebensraum zum erlebbaren Tourismusprodukt bedarf aber verstärkter Aufmerksamkeit, um Altem und Neuem das Prädikat „Authentizität“ zu verleihen und nicht zum Versatzstück werden zu lassen. Reden wir mehr vom Leben im Jahres- und Lebensfestkreis, von der Kraft des Überlieferten, der Freude an Bewährtem, vom Bindemittel im Generationengeflecht. Wer denkt beim Wort Volkskultur auch an die vielfältigen Rituale, an das Zusammenspiel von Arbeits- und Freizeitwelt, an den Umgang mit unseren Alten, die Verabschiedung der Toten, den Stellenwert der Familie? Wer denkt denn daran, dass die Auflösung von Volksmusikgruppen für Volkskultur eigentlich nicht so sehr von Bedeutung ist, wie das Schließen von Polizeiposten, von Bezirksgerichten, die Gefährdung der Arbeitsstätten, die Auflösung des kleinen Gefüges…..

Das größere Bild aber mit Tiefenschärfe

Meine Absicht ist es, ein größeres Bild von überlieferter Kultur zu entwerfen, eines das weit über Vereinsaktivitäten hinausgeht, das im sozialen Gefüge seine Bewährung hat. Es ist meine Absicht, auch klarzumachen, dass sich Bodenständigkeit und Weltgewandtheit heute verbrüdern, dass Tradition und Moderne heute keinen Gegensatz bilden. Es ist wahrscheinlich das Geheimnis einer befriedigenden Lebensart, wenn man die Wurzeln pflegt, während man gleichzeitig nach der Krone des Lebensbaumes abzielt. Wenn wir also erkennen, dass der Mensch und seine Lebensweise als Kapital eingesetzt und zum Zielpunkt von Urlaubern werden, dann bedeutet dies auch hohe Verantwortung. Denn: bodenständige Menschen lassen sich nicht nachbestellen und über Tochtergesellschaften finanzieren. Da bedarf es einer kontinuierlichen Kulturarbeit, Grundlagenforschung, Förderung von Einzelinitiativen, der besten Methoden, der Kooperationen mit dem Rundfunk, der Begegnungen innerhalb der Generationenkette und darüber hinaus mit unseren Nachbarn. Wir befinden uns mit dieser Idee der Förderung von Kultur haben – nämlich in sich haben – im Aufwind.

Das Europa der Regionen

Das Europa der Regionen hat ja nicht nur die regionalen Schmankerl aus der Taufe gehoben sondern auch die regionale Lebensart. Innerhalb von 10 Jahren ist nicht mehr von Anpassung an Europa sondern von der Wertschätzung der kleinen Unterschiede die Rede. Da gehört aufgesprungen und ein neuer Patriotismus kann dazu nicht schaden. Lassen Sie mich Schwerpunkte nennen: 1) Mehr Forschungsaufträge zur Befindlichkeit der Menschen, zu Fragen der Lebensqualität und dem Zusammenleben. 2) Starthilfen für außergewöhnliche Methoden der Volkskulturförderung, für das Betreten von Neuland 3) Stärkung der Kompetenzstellen, des Volkskulturjournalismus und Professionalisierung der Strukturen und der Ausbildung. Dazu gehört das Volkskultur – Budget entsprechend angehoben. Dabei geht es ja nicht um ein flächendeckendes Finanzieren von Kultur oder um ein Untergraben der Ehrenamtlichkeit. Wir sind es unserem Land schuldig, welches in der Geschichte schon mehrmals eigene Wege, eben steirische Wege gegangen ist und vor allem mit Erzherzog Johann eine Persönlichkeit hatte, die eine Entdeckung der Volkskunst und der musikalisch-poetischen Seiten des Volkes eingeleitet hat.

Moderne Traditionalisten?

Wissen Sie eigentlich, wie modern jene sind, die sich zu dieser Volkskultur hingezogen fühlen? Wie sehr sie mit ihrem Handeln, ihrer Wertehaltung zur Harmonie zwischen den Generationen, überall an ihrer Stelle zum Gemeinwohl beitragen, wie tolerant sie anderen Lebensentwürfen gegenübertreten, wie sehr sie gerade deshalb fortschrittlich sind, weil sie beharrlich länger an einer Stelle treten, als es andere tun? Die Bescheidenheit des Volkskultur-Volkes täuscht darüber hinweg, dass sich hinter den Maschen des Traditionsgeflechts die eigentliche Kultur der Volkskultur versteckt. Ja, da gibt es auch Engstirnigkeit, Eigenbrötelei, Verhärtungen, geschlossene Kreise, Weltverbesserer, Jammerer, Scheuklappenmentalität. Wo aber nicht bitteschön? Und warum erklären wir die Demontage der Scheuklappen nicht längst zu unserer großen Aufgabe,

Was soll der Steirische Brauch?

Die Kernbuam haben sich mit diesem Lied selbst und unserer Steiermark das Etikett aufgedrückt. Da geht es nur um den türkischen Sterz und die Schwåmmsuppn, aber vor allem um die Behauptung, dass wir an diesem Kulinarium zu erkennen seien. Die Fragestellung als Untertitel „was ist aber Volkskultur“ lässt sich aber anhand des Liedtextes sogleich belegen: Das ist nämlich auch Volkskultur, wie sich die Menschen selbst sehen und sich selber etikettieren. Es ist zutiefst Volkskultur, dass sich viele gerade in diesem Lied wieder finden und dass dieses Lied einer Volkshymne gleichkommt. Die umfassendere Antwort auf die Frage nach der Volkskultur aber ist, dass wir in Anbetracht unserer Landesgeschichte und der vielschichtigen regionalen Besonderheiten auch ideale Volkskultur-Gastgeber sein können. Gastgeber, die mit Würde und Stolz ihre Heimat lieben, ihr Leben bewältigen und Bodenhaftung besitzen. Das klingt zwar pathetisch ist aber weit vor den Metaphern wie Edelweiß, Steirerherz, Steirersterz, Schwåmmsuppn und Alpenglühen anzusiedeln. Merken Sie sich: Volkskultur ist nicht Kulturtransfer sondern Produktionsstätte aus erster Hand. Deren Eigendynamik kann man stören oder ihr mit Respekt begegnen. Kultus heißt – laut Duden – ja nichts anderes als verehrungsvolle Pflege. Das ist doch ein durchaus schöner Auftrag?


Vortrag zur Tagung „Tourismus und Volkskultur“ in Bad Gleichenberg, 2007; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.