Ich kann ein Lied davon singen…

Anmerkungen eines kulturellen Seiltänzers

Wenn die Drogerie trotz der aktuellen Drogenproblematik bei ihrem Namen bleibt, dann darf es offensichtlich auch die Volkskultur tun, nämlich trotz der sehr einseitig-simplen Besetzung des Begriffs.

Was eigentlich hinter dem Wort steckt, welche Dinge wir damit assoziieren, welche Diskrepanz heute zwischen Kultur-fördern und Kultur-leben besteht und welche Rolle das Steirische Volksliedwerk als Kompetenzstelle und kultureller Zündler einnimmt, das soll hier alles verpackt werden. Dabei lasse ich die Verweise auf die Altvorderen weg und erzähle nur von den Schritten, die ich zu setzen imstande war und bin. Die sollten stets mehrere Lebensentwürfe zulassen, Verhärtungen abbauen helfen und den ideologischen Purzelbäumen keinen Raum geben. Schon nach zwölf Zeilen lässt dies den Schluss zu: Wir sollten uns vom Begriff Volkskultur verabschieden, die Drogerie kann weiterhin Drogerie bleiben.

Auf der Suche nach einer gültigen Kultur-Definition konnten mir kein Duden und auch kein Parteiprogramm helfen. Lehrreich waren aber die Stunden bei singenden Menschen, bei „Gewährsleuten“ also. Die erzählten Familiengeschichten, die erlebten Tischsitten, Familienrituale, Feier und Trauer, Nachbarschaftshilfe, Gastlichkeit, musikalisch-poetische ebenso aber auch handwerkliche Künste, selbst so manche eindrucksvolle Lebensbewältigung: Das sind alles Zeugnisse von „Kultur haben“ und gelebter Überlieferung mitsamt dem nötigen Schuss Kreativität, Intuition und Imagination. Daraus schöpft der Mensch Neugierde und Wissensdurst auch nach anderen Kulturen und jedwedem künstlerischen Ausdruck in kleinen oder großen Kunsthäusern. Die Entwicklung der eigenen Fertigkeiten ist also Triebfeder für das Erfassen größerer Zusammenhänge. Daraus erwächst auch die Zielgruppe für große kulturelle Performance. Schade, wenn dies alles nicht kulturpolitisch mitgedacht wird. Das Problem der Kulturförderung ist, dass sie immer nur den Teppich legen will, aber nie den Teppich knüpfen hilft.

Wenn schon, was wäre also Volkskultur?

Gemeint ist die Generationen übergreifende Einbettung des Menschen im Jahres- und Lebenskreislauf. Die Jahreszahl der Entstehung des Begriffs ist nicht so wesentlich wie die Tatsache, dass er erst in den letzten 30 Jahren durch herbei geredete Trennungslinien zwischen Kultur und Volkskultur, durch die Fördermechanismen und eigene Volkskulturabteilungen, durch Volksmusik-Sendezeit-Forderungen, Volkskultur-Vereinnahmer und – ebenso durch Berührungsängste – vehement gefestigt wurde. Welches Bild entstand und entsteht aber dadurch von der Volkskultur?

In der Öffentlichkeit wird sie ausschließlich an deren bunt-plakativen Teil gemessen und wahrgenommen. Ein wesentlicherer Teil der Volkskultur liegt aber außerhalb der Musik- Tanz- Mundart- und Trachtenkultur. Es sind dies die Rituale in der Familie und der Nachbarschaft, Brauchtum, Tischsitten und Anstandsregeln, Umgangssprache sowie Handlungen rund um die Geburt und das Sterben. Tragen, gestalten, vergessen, neu erfinden – das sind Zeichen von Volkskultur. Die Menschen wählen stets eine eigenständige Mischung davon, nämlich einen Anteil an überlieferter Ordnung und einen Anteil aus neuen Lebensentwürfen, wobei dieser Teil von der gesellschaftlichen Stellung und vielen anderen Faktoren geprägt ist. Volkskultur war also nie ein für sich geschlossener Lebensentwurf, sondern ein über Generationen gestalteter Prozess. Der starke Bezug zum Ursprünglichen und Originalen täuscht über die Lebendigkeit hinweg, die oft nur im Generationenüberblick erkennbar wird. Diese Lebendigkeit entsteht also gleichsam aus dem Spannungsfeld zwischen Fortschreiten und Rückbesinnen, zwischen Innovation und Tradition. Mit Volkskultur ist – in unserer Welt der Kunst- und Kulturproduktionen, des Nostalgiemarktes und der Verwertung aller Kultur das Leben mit Traditionen gemeint.

Dass sich in diesem Rahmen Gemeinschaften bilden, die sich einer Tradition tragenden Aufgabe stellen, ist ein legitimes Bedürfnis. Volkskulturvereine sind von ihrer Aufgabenstellung her Entschleuniger. Sie ahmen das frühere Original nach und tragen das Original weiter, haben aber auch gesellschaftspolitische und karitative Funktionen. Man mag darin museales Verhalten sehen, es steckt aber auch das Verdienst dahinter, so manche, für die Gemeinschaft wichtige Form und Formel über den Tagestrend hinaus zu transportieren.

Volkskultur kann also im Vereinsleben zuhause, oder bei uns zuhause sein. Und bei Letzterem handelt es sich um den elementaren Bereich der allgemein gültigen Handlungen und Rituale in Familie und Nachbarschaft. Hier findet man den kreativsten und anpassungsfähigsten Teil von Volkskultur. Hier gibt es nur indirekte Förderungen wie kommunale Einrichtungen, das funktionierende Sozialgefüge, die gelegte Bildungsschiene und das dadurch ermöglichte Hinführen zu den größeren Zusammenhängen des Lebens. Dieses kulturelle Potential ist eigentlich der Klebstoff zwischen den Generationen.

Starke Triebfeder für jede Beschäftigung mit Tradition ist aber – in einer instabilen und schnelllebigen Zeit – die Sehnsucht nach Bewährtem, nach einigen Haltegriffen im Leben. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich heute auch weltgewandte Personen aus hochtechnischen Berufen zu Traditionen hingezogen fühlen (Lederhose und Laptop) und wenn sich im 14.Stockwerk eines Hochhauses eine gemütliche Bauerstube wiederfindet. Es sei jedem sein eigener Griff in die Vergangenheit erlaubt – gegen oder trippelnd neben dem Mainstream.

Mit dem Begriff Volkskultur muss also heute viel mehr als früher und viel mehr als das Volkskultur-Vereinsleben gemeint sein. Durch die breite Verankerung in der Bevölkerung, ist die spielerische Verfügbarkeit von Traditionen ein Steigbügel für jedwede erste Entfachung von kulturellem Interesse. Statt „Blut und Boden“ nunmehr „Herz und Sinn“ – müsste man sagen. Die effizienteste Förderung von Volkskultur ist immer eine, die darauf angelegt ist, die Freude am Übernehmen, Gestalten, Erfinden und auch Verwerfen zu fördern. Zuerst also die Spielwiese, dann die Spiele, denn Kultur bedeutet zu allererst kultivieren des Individuums.

Die Steiermark hätte die besten Chancen, dem schwammigen Begriff Volkskultur, eine weitsichtige kulturpolitische Weichenstellung hinzuzustellen, sich des Umgangs mit seiner Tradition zu besinnen, ist aber wider besseren Wissens auf dem Weg, eine bislang einmalige Vorrangstellung aufzugeben. Das ist das Resümee meiner Erfahrung als einer, der gelebte Traditionen aus erster Hand kennt und in seiner Arbeit stets nur diesen verpflichtet war.

Grundsätzliches zur Situation in der Steiermark

Im letzten Jahrzehnt ist, was die traditionellen Erscheinungsformen von Kultur betreffen, eine Veränderung eingetreten: Noch vor 10 Jahren hatte das Eigene beinahe den Anstrich des Rückständigen und es wurde gerne – um hier entgegen zu wirken – mit Internationalem angereichert. Erst das Schlagwort „Europa der Regionen“ hat eine neue Wertschätzung und ein neues Selbstverständnis mit sich gebracht. Erkenntnis: Europa lebt von den Unterschieden und das gilt eben nicht nur für die Vermarktung regionaler Schmankerln sondern auch für das individuelle kulturelle Leben.

Wir haben in der Steiermark eine stark von Privatinitiative getragene Volkskultur. Ich meine damit das volkskulturelle Vereinswesen ebenso wie das vorhin beschriebene traditionelle Leben, welches in keinem Fördertopf, sondern bei den Leuten beheimatet ist. Diese Lebenskultur entsteht und verändert sich durch die Unmittelbarkeit der Verantwortung – durch die Menschen selbst. Diese Alltagskultur braucht vor allem einen Nährboden, der vieles gleichzeitig ermöglicht – keinesfalls aber das enge Organisationskorsett fester Strukturen und Agenturen. Es bedarf also innovativer Ansätze und neuer Strategien, um Kulturarbeit im Sinne der eben besprochenen Stützung von Eigeninitiative zu ermöglichen und zu finanzieren.

Dem Steirischen Volksliedwerk – einem Zusammenschluss der Landesdienststelle Volksliedwerk mit dem Verein Volksliedwerk und einem angegliederten Verlag ist in dieser Hinsicht eine ganze Reihe von Maßnahmen gelungen. Ausschlaggebend war aber zuallererst das Fehlen eines kulturpolitischen Konzepts, welches den großen Bereich der Lebenskultur und der organisierten Volkskultur betreffen hätte können. Solche Umstände sind manches Mal und auch in diesem Falle die Urheimat von Visionen, für die in keinem Förderantrag eine Spalte zu finden ist und die leider bei keiner Evaluierung mitgedacht wird.

Das Steirische Volksliedwerk

Seine 100 jährige Geschichte ist auch eine Entwicklungsgeschichte der Musiktradition der Steiermark. Darauf ist hier nicht näher einzugehen, vielmehr ist aus heutiger Sicht die Rolle als Kulturträger und Kulturmotor zu beschreiben: Das Steirische Volksliedwerk ist zuallererst ein Kompetenzzentrum mit den Aufgabenbereichen Forschung, Sammlung und Archivierung. Daraus resultiert ein immenses Potential an Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Wissensvermittlung, der praktischen Unterweisung, als Auskunftsstelle und ebenso in seiner Aufgabe, das Leben mit Traditionen in der Gegenwart darzustellen und es zu beschreiben. Die Zeitschrift „Der Vierzeiler“ hat einen wesentlichen Anteil an einem neu entfachten Interesse der Öffentlichkeit, denn seit 25 Jahren werden Verhärtungen in Brauchtumsfragen, Spannungsfelder und Glaubenskämpfe verschriftlicht und damit diskutiert.

Das Volksliedwerk und seine „innovativen Ansätze“

Es kann nicht Aufgabe dieses Beitrages sein, die Arbeitsinhalte und Hausaufgaben eines solchen Instituts systematisch anzuführen. Es wurden aber Prozesse in die Wege geleitet, die als kulturpolitische Weichenstellungen gelten können. Alle Maßnahmen stehen übrigens im engen Zusammenhang mit den Ergebnissen aus Forschungsprojekten, wodurch das Steirische Volksliedwerk eine Vermittlerrolle zwischen musikalisch-poetischer Überlieferung und dem Musiker – Bildungsweg einnimmt.

Diese Fragen bewegen jeden Museums- und Kulturbetrieb: Was vermögen wir im Menschen zu bewegen, um ihn näher an seine Vervollkommnung heran zu führen? Mit welchen Methoden gelingt es uns, die Fähigkeiten jedes Einzelnen zur Entfaltung zu bringen? Nicht zufällig harmoniert diese Fragestellung mit dem Volksliedwerk-Slogan: „Das Leben zum Klingen bringen!“ Hier eine Auswahl der Initiativen:

Ein starkes Kompetenzzentrum bietet Serviceleistungen:
Die wertvollen Bestände des Volksliedarchives (etwa 50.000 Belege) und die gegenwärtigen Forschungsergebnisse fließen in das gesamtösterreichische Archivsystem DABIS ein. Dadurch entsteht im nächsten Jahrzehnt eine nie da gewesene Informationskapazität zum traditionellen Musikgeschehen und zu brauchtümlichen Themen. Seit der Wiedereröffnung des Volksliedarchives im Jahre 1986 ist das Interesse an den Materialen enorm angestiegen, ebenso ist eine aktive Sammeltätigkeit für das Archiv von Seiten der Bevölkerung zu bemerken.

Der musikalische Umschlagplatz: Der Liederdienst
ist die gelebte Umkehrung eines alten pädagogischen Konzeptes. Einst war es ja üblich, Liederbücher „für das Volk“ zusammen zu stellen, den gemeinsamen Liederschatz und vor allem den ausgesuchten Liederschatz – allgemeingültig für ein Bundesland – fest zu legen. Es ist gelungen, diese Bringschuld in eine Holschuld umzuwandeln: Heute erfüllt der Liederdienst Anfragen zu Brauch, Tanz, Instrumentalmusik und Lied. Diese kommen vorwiegend aus der Steiermark, aber auch aus den anderen Bundesländern und aus dem Ausland. So können Verluste an Text, Melodie und Wissen wettgemacht werden, bleiben Geschmacksfragen und die Entscheidung unterschiedlicher Spiel- und Interpretationsweisen bei den Menschen selbst. Etwa 7.000 Einzelstücke verlassen alljährlich den Liederdienst, wobei das „Büro für Weihnachtslieder“ einen alljährlichen Schwerpunkt setzt. Alles unter dem Motto: „Wieder selber singen…“

Musiktradition kommt in die Schule
Die Heranbildung von 25 Referentinnen und Referenten ermöglichte es, musikalisch-tänzerische Projektstunden in den Volksschulen anzubieten. Alljährlich werden etwa 30.000 Kinder erreicht, wobei den Lehrern Arbeitsmaterialien zur Weiterführung des Themas überlassen werden. Eine Elternbroschüre wirbt für die Bedeutung der hausgemachten Musikerziehung. Die Wiederentdeckung unserer Traditionen und die lustvolle Vermittlung an die Kinder muss ein vordringliches Anliegen bleiben. Wir haben die größtmögliche finanzielle Unterstützung durch den politischen Referenten, ebenso aber das Vertrauen der Schulbehörde gewonnen.

Stipendien für musizierende Familien und Studenten
Wir fördern dadurch das Musizieren in der Familie, vor allem aber die Teilnahme mehrerer Familienmitglieder an den verschiedenen Ausbildungswochen in den Sommermonaten, ebenso Studenten, die sich mit dem Singen und Musizieren beschäftigen. Im Jahre 1986 vom Verein Volksliedwerk eingerichtet, füllen das Familienministerium und ebenso der Österreichische Veranstalterverband diesen Fördertopf. Insgesamt kamen in diesen Jahren über 1000 Kinder, Jugendliche und Studenten, vor allem aber musizierende Geschwister in den Genuss dieser Unterstützung.

Der mobile Tanzboden
Auf den Spuren zu mehr Unterhaltungskultur spielt die Infrastruktur eine große Rolle. Geselligkeit und Tanzlust bedarf eines Anlasses, aber auch eines entsprechenden Rahmens. Der vom Volksliedwerk entwickelte mobile Tanzboden ermöglicht es, mit wenig Aufwand dieser Lust entgegen zu kommen. Auf einem PKW-Anhänger verladen, reist er nun zu den kleinen Festen, wo er mit wenigen Handgriffen aufgestellt und wieder abgebaut werden kann. Kultur braucht einen Boden…

Die Sänger- und Musikantenwallfahrt
Seit Jahrzehnten ist Mariazell Begegnungsort der Volksmusik aus Österreich und den benachbarten Ländern. Die Konzeption der Veranstaltung, die alle vier Jahre stattfindet, war schon immer auf ein vereintes Europa angelegt, zu einer Zeit nämlich, als diese Vereinigung noch ein Wunschtraum war. Das macht die Volksmusik aus: Sie ist ein Stück Identität, das aber jede andere Identität anerkennt und zum Brückenbauer wird. Die musikalischen Traditionen sind neben den religiösen Ritualen ein stets starkes Bindeglied zwischen den Völkern. Die Begegnung in Mariazell in Form der sehr persönlichen Wallfahrt jedes Einzelnen, kommt besonders in der „langen Nacht der Musik“ vor dem Gnadenaltar zum Ausdruck.

Das Harmonikazentrum in Graz
Diese Forschungsstelle zur Harmonikageschichte – in der Anfangsphase vom Unterrichtsministerium gefördert – tritt als Entwickler digitaler Medien, ebenso als virtuelles Museum in Erscheinung und hat mit promonica-west eine eigene Veranstaltungsreihe initiiert. Das Harmonikazentrum in Graz dient also der Verlebendigung einer einst tief verwurzelten Symbiose zwischen Handwerk und Kunstwerk. Im Bereiche des Siegeszuges der nunmehr weltweit verbreiteten Harmonika ist das Phänomen gerade in diesem Bereich exemplarisch nachzuweisen und in der Steiermark stets präsent. Die Steiermark hat damit die Chance ihr Nationalinstrument in den Kontext Industrie- und Musikgeschichte zu stellen und leistet damit auch einen internationalen Beitrag zur weltweiten Erfolgsgeschichte der Harmonikainstrumente.

Auf in die Ohrase – denn Musik kommt aus der Stille
Das Steirische Volksliedwerk zeichnet Gaststätten aus, die einen beschallungsfreien Raum anbieten. Der sanfte Weg zu mehr Hörgenuss ist hiermit beschritten, denn das „Nicht-zuhören-können“ hat seine Wurzeln im Übermaß an „Zuhören müssen“. Zu den Urhebern der zunehmenden Lärmbelastung zählen ja nicht nur Verkehr und Industrie. Der größte Belaster ist der Mensch selbst, der sich den technischen HiFi-Möglichkeiten ausliefert, statt sie für mehr Lebensqualität zu nutzen. Somit ist auch die höchste Kunst der Künste – die Musik – zur Belastung geworden. Allüberall Musik heißt aber nicht nur, dass dadurch Gehörschäden entstehen können, sondern dass der Mensch einer Übersättigung ausgesetzt ist. Das Volkliedwerk bietet Aufklärung und Alternativen an.

Neue Zündler braucht das Land – Lehrgang ProImpuls
Heute gibt es zu wenig qualifizierte Personen, die mit anderen – ob Kinder, Senioren oder Reisegruppen – singen, tanzen, spielen. Das LFI hat gemeinsam mit dem Volksliedwerk einen solchen Ausbildungslehrgang ins Leben gerufen. Die ProImpuls-Referentinnen und Referenten werden befähigt sein, das Heft in die Hand zu nehmen, die Unterhaltung in Schwung zu bringen und die Fähigkeiten Vieler anzuregen. ProImpuls soll zu mehr Eigeninitiative und Unterhaltungswert führen. Das geht nicht von heute auf morgen – der Prozess ist aber eingeleitet.

Musikantenfreundliche Gaststätten – Musik beim Wirt
Diese Initiative führte in 25 Jahren zur Auszeichnung von 120 Musikantenfreundlichen Gaststätten in der Steiermark. Jährlich sind es etwa 650 gesellige Begegnungen in den Wirtshäusern, wobei die Beteiligung der Gäste am musikalischen Geschehen und nicht die Konzertaufführung gemeint ist. Das ist ein ungemein musikalisch- geselliges Potential und deshalb ist „Musik beim Wirt“ wohl die erfolgreichste Initiative des Volksliedwerkes geworden. Es seien aber hier auch der „Interkultureller Musikstammtisch“ in Graz genannt und die Initiative „Lust auf Singen“. Ausgehend von Gamlitz verbreitete sich diese Singinitiative von Buschenschank zu Buschenschank. Das „Einfach mitsingen“ hat sich schneeballartig über die gesamte West-Süd- und Oststeiermark verbreitet. Es sind jährlich etwa 150 solche Begegnungen die auf das starke Bedürfnis nach mehr geselligem Gesang ganz unkonventionell reagieren.

Musik gehört auf die Wiese: Der Steirische Geigentag
Diese Initiative knüpft an die ununterbrochene Tradition des volkstümlichen Geigenspiels an. Die Bedeutung der Violine als Volksmusikinstrument stand stets im Schatten der musikalischen Hochkunst. Inzwischen sind wieder junge Tanzgeiger am Werk, die der handwerklichen Tradition am Tanzboden dienen. Der Geigentag war und ist dazu das musikpädagogische Konzept und Umschlagplatz für Melodien, letztlich aber auch ein Beispiel für Veranstaltungskultur.

Klassik trifft Volksmusik und Weltmusik
Die Südsteiermark gibt den gastlichen Rahmen und legt den Teppich für eine ungewöhnliche Begegnung: Im Mittelpunkt stehen die Faszination klassischer Streichmusik, Rhythmen außerhalb des typisch klassischen Repertoires, fremde Klänge, außergewöhnliche Spieltechniken, inspiriert durch indische, arabische, irische, Balkan-Musik, Jazz, Rock und steirische Ländler. Es stehen aktives Ausprobieren und Improvisieren im Vordergrund. Ausgesuchte Dozenten garantieren bei diesem Kurs eine intensive Begegnung mit Musik aus aller Welt.

Die Herausgabe regionaler Liederbücher
Das sind auf die Besonderheiten in Regionen und Tälern zugeschnittene Liedersammlungen, die Regionalhymnen aufwerten und Melodievarianten und sprachliche Eigenheiten berücksichtigen. Dieser EU geförderten (Leader+) Initiative geht jeweils eine Umfrage und Forschungstätigkeit voraus, ein regionales Redaktionsteam arbeitet an der Auswahl der Lieder. Die Beteiligung vieler Schulen, Chöre und Einzelpersonen, die Informationsschiene über die Gemeinde- und Pfarrblätter garantieren ein anschaulichen Ergebnis: Die regionalen Liederbücher sind eine besonders wirkungsvolle Form der Förderung des Singens in Familie und Gemeinschaft. Sammeln und Zurück geben ist die Devise.

Die Zeitschrift „Der Vierzeiler“
Grundlage jeder medialen Öffentlichkeitsarbeit ist die Sprache und das Bild. Die kulturpolitischen Anliegen des Volksliedwerkes wurden in den letzten beiden Jahrzehnten durch Fachbeiträge und Kolumnen in verschiedenen Kulturzeitschriften vielfältig transportiert.

Die verlagseigene Zeitschrift „Der Vierzeiler“ hatte aber wesentlichen Anteil an einer veränderten Wahrnehmung traditioneller Inhalte in der Öffentlichkeit zur Folge. Über die Steiermark hinaus gilt diese Zeitschrift als Vorzeigemodell und beispielhafte Methode, Kulturtradition zum Anliegen vieler zu machen und im Diskurs zu bleiben. Dieser Dialog und die erstklassige Darstellung von Tradition in der Gegenwart hat aus dem einst belasteten Volkstum eine freie Szene werden lassen. Bevormundungen und Heiligsprechungen hätten dies nicht erreicht. Es konnte der Engstirnigkeit ebenso wie der Blut und Boden–Romantik entgegen gewirkt werden. Schließlich ist es damit gelungen, über die Steiermark hinaus Signale zu setzen, die in vielfältiger Form Früchte tragen.

Die Kulturpolitische Dimension

Diese wurde von den Kulturverantwortlichen in den letzten 25 Jahren nicht erkannt und sie war auch kein Thema. Hinter dem Fördermechanismus stand keine kulturpolitische Absicht. Die erfolgreiche Kooperation zwischen dem Landesbetrieb, dem Verein und der Verlags GesmbH war eine von meinem Arbeitgeber nicht gerne gesehene Erfolgsstory und der Verein Volksliedwerk blieb stets der verlässlichere Partner, der letztlich über zwei Jahrzehnte für Kontinuität sorgte. Es ist wirklich schade um sprühende Ideen und eingereichte Konzepte, die allesamt zu einem noch viel effizienteren Erfolg und zu Nachhaltigkeit hätten führen können.
Es wäre also längst an der Zeit, ein so beispielhaftes Kooperationsmodell nicht mehr zu behindern, sondern als Chance wahrzunehmen und es zu unterstützen. Denn: Administrative Pragmatik setzt sich ja früher oder später in den Köpfen fest. Sie ist einer gedeihlichen Kulturarbeit eher abträglich, denn es bedarf stets der großen kulturpolitischen Betrachtung und ebenso der Experimente.

Wichtig ist der Humus, auf dem Kultur und eben auch Volkskultur erprobt, erfunden und weiter gesponnen werden kann. Demnach ist das Lebensmittel Volkskultur dem Genussmittel Volkskultur vorzuziehen, wenn es um Methoden der Förderung geht: Es sollten alle Maßnahmen ergriffen werden, um Kompetenzen zu stärken, Serviceleistungen und Bewusstseinsbildung zu sichern, um ein Klima für den kreativen Umgang mit unseren Traditionen zu schaffen.

Weichenstellung für die Zukunft

Es sind vor allem die Kompetenzstellen zu fördern, denn sie haben seit der EU-Öffnung im „Europa der Regionen“ enormen Zuspruch und es besteht zweifelsohne Nachholbedarf. Dazu gehört die Forschung zur regionalen Musikkultur, die Digitalisierung des Volkslied-Archivbestandes ebenso wie die Fortführung der Herausgabe der Gesamtausgabe der Österreichischen Volksmusik CORPUS MUSICAE POPULARIS AUSTRIACAE. Es handelt sich hier um „Immaterielles Kulturerbe“, das ja innerhalb eines UNESCO-Projekts besonderen Schutz genießen soll. Auch darum sollte sich die Kulturpolitik kümmern, denn es könnte die gesamten Bemühungen um die Pflege von Traditionen auf gesicherte Beine stellen.

Der Öffnung nach Ost- und Südosteuropa wurde in der Steiermark – was die Musik und Kultur der Nachbarn betrifft – zu wenig Rechnung getragen. Hier gehören Initiativen gesetzt, um einen weiteren Schritt im Zusammenwachsen des „Europa der Regionen“ zu setzen. Zusätzlich zur fachlichen Zusammenarbeit der Kompetenzstellen über die Grenzen hinweg bedarf es vor allem der aktiven Begegnungen mit Musik und Tanz. Seit 2004 liegt ein entsprechendes Konzept in der Kulturabteilung auf, wobei schon mit geringem Aufwand eine erstaunliche Wirkung erzielt werden könnte.

Gehen wir davon aus, dass unsere überlieferten Traditionen nicht von einem Amt sondern von den Menschen selbst gestaltet und weiter getragen werden sollen, dann sind manche Volkskulturschienen nachrangig zu behandeln. Zum besseren Verständnis: Nachrangig bedeutet, dass sie nicht Hauptaugenmerk von Kulturförderung sein können. Dazu zählen die Abhaltung von Events, die Professionalisierung auf der Bühne, die ausschließliche Darstellung in den Medien, die touristische Nutzung, der Tonträgermarkt und ideologische Verhärtungen durch die Retter von Volkskultur. Alles in allem ist es eine der größten Herausforderungen der Wiederentdeckung der Traditionen den notwendigen Spielraum frei zu halten und deren Inhalte keiner Schublade mehr zuordnen zu lassen.

Da die Volkskulturarbeit in viele andere Bereiche des Lebens
hineinspielt, wäre ein gedanklicher Brückenschlag längst nötig: Diese Kultur beinhaltet soziales Engagement, hat eine bildungspolitische Dimension und dient dem Gemeinwesen. Die inhaltliche und administrative Professionalisierung in den Kompetenzstellen und in den Landesverbänden würde einer fruchtbringenden Ehrenamtlichkeit in vielen kleinen Vereinen und Gemeinschaften dienen. Diese Kultur ist jetzt schon Arbeitsgeber und wird in Zukunft weitere Arbeitsplätze benötigen.

Kultur ab zur Vorsorgeuntersuchung

Ich schreibe diese Zeilen im Extrazimmer eines Gasthauses, am Puls von Alltagskultur, Lebenskultur und Volkskultur: Die Kartenspielerrunde gehört hier dazu wie jene köstlichen Dialoge die sich an der Schank zwischen zwei eben angekommenen Arbeitern entspinnt. Arbeitswelt und Freizeit trifft hier auf Gastlichkeit. Wie sie sich zuprosten, den Wirt ins Gespräch verwickeln und von der Kellnerin Informationen auffangen! Der eine geht nun anschließend zur Chorprobe, der andere fährt seine Tochter zum Konzert. Er selbst möchte heute Abend noch seinem Nachbarn beim Sauabstechen helfen. Das ist das Stichwort für meine Frage und freilich kennt er das Sauschneiderlied und singt gleich ein paar Töne an „Aber neune müassn sein, um an Saubärn zan schneidn…“

Nun: Daraus lässt sich kein Kulturprogramm ablesen. Dieses Zusammenleben spielt eine faszinierende Vielfalt und die Sprache ist eine mit selbstbewusster Mitteilungskraft. Das hier erzählte und erlebte soziale Gefüge ist der Mehrwert von „Kultur haben“. Wer die Struktur von Familie und Gemeinschaft ermöglicht, der gibt der Gesinnung und dem kulturellen Leben den Nährboden. Da bedarf es keiner Marke Volkskultur und keiner Events, um diesem simplen Geflecht zu dienen.

Sich Kultur umzuhängen, ist zu wenig. Das Bild des legendären Hanns Koren ist es aber nicht, das ich meine. Der gute Mann hat in seinen kulturpolitischen Überlegungen Volkskultur – als Fachmann der Volkskunde – nicht mitregieren wollen. Er hat in seinem Umhang und unter seinem verdrückten Steirerhut seine Lebensweise gehabt und ist gerade deshalb zu außergewöhnlichen Sichtweisen und Schritten bereit gewesen. Sein Outfit war das deutlichste Signal der Wertschätzung für alles, was die Menschen mitbringen und aus freien Stücken wieder weitergeben. In keiner seiner berühmten Reden fehlte diese Bodenhaftung. Heutige Einkleidungsversuche müssen erfolglos bleiben, wenn es nur um kurze Zuwendung innerhalb der plakativen Erfolge geht.

Zurück zur Begrifflichkeit: Mit der Kultur – und jetzt ist die Volkskultur, Alltagskultur und Lebenskultur in ihr aufgegangen – haben wir es also schwer, denn jeder meint etwas anderes darunter. Da lob ich mir die Gesundheit. Davon gibt’s nur eine und wir sind nie damit beschäftigt, uns diese gegenseitig vorzustellen, sie auszustellen oder sie gar zu inszenieren und in Wettbewerben vorzutragen. Nein, wir sind richtigerweise ständig damit beschäftigt, sie schlicht und einfach zu erhalten oder sie wieder herzustellen.

Kulturförderung sollte also mehr dem Werden gewidmet sein. Sie dient ja nicht der Musik-, der Tanz-, der Trachtenpflege, sondern stets der Menschenpflege. Ich glaube also, eine Kultur-Vorsorgeuntersuchung steht längst an.


Steirisches Jahrbuch für Politik und Zeitgeschichte, ÖVP Steiermark, Seite 183-190, Graz, 2006; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.