Erinnerung an Bügelladen, Wäscheduft und Lieder…..

Geht’s Ihnen auch so? Eine Schraube ist gebrochen und Sie verabschieden sich deshalb vom alten Bügelladen und katapultieren ihn von der Veranda hinunter auf den Haufen Gerümpel, den Sie für den Sperrmüll vorgesehen haben?

Im Augenblick aber, wo Sie den Bügelladen dem freien Flug anvertrauen, entzündet sich ein Erinnerungsfunken und der Aufprall klingt in Ihnen schmerzlich nach. Gleichgültig wie emsig Sie nun das Saubermachen fortsetzen: Ihr Gedächtnis bebildert sich und der alte Bügelladen bekommt seinen Nachruf. Sie erinnern sich an die viele Wäsche, die langen Abende mit dem Bügeleisen – dreimal haben Sie die Marke gewechselt, und Sie kennen deren Namen noch heute auswendig. Das eine hatte doch einen grünen Griff? Jetzt erinnern Sie sich auch an den Wäscheduft, den Bügeldampf – und an die Töne aus dem kleinen Radio, ja sogar an die allwöchentliche „Kärntner Jägerstunde“. Dazu kommt das Gedenken an die Schwiegermutter, die Ihnen das Bügelbrett einst zur Geburt des ersten Kindes mitgebracht hat. Mein Gott – wie unwichtig sind die Details – werden Sie sagen – und doch sind sie gespeichert in einer Mischung aus Schönem und Schwerem – so einfach nebeneinander gestapelt, wie die vielen Gerätschaften und Ableger in der alten Garage nebenan.

Die Auswahl für den Augenblick….

Was führt uns vom Bügelladen zu unseren Liedern? Auch da wird zumal abgelehnt, entrümpelt und allzu gerne über Bord geworfen. Nichts wird jedoch aus dem Gedächtnis gelöscht. Haarscharf wissen wir – noch nach Jahren – den Melodieverlauf und die markanten Textstellen, zumindest aber den Refrain. Selbst wenn wir sie nicht mögen, sie bleiben uns erhalten, wir stapeln alles mögliche im Gedächtnis – genauso wie in der Garage: Die geliebten und die ungeliebten Gesänge, jene die uns angenehm berühren und jene die uns unangenehm berühren, die glaubwürdigen und die kitschigen. Daraus aber die Auswahl fürs Leben, für die jeweilige Stunde und den Augenblick zu treffen, das macht uns zu mündigen Menschen. Daraus für das geliebte Gegenüber, für das aufgereihte Publikum, für das kleine Kind, für die Schulklasse oder für die Herrenrunde zu singen, muss geübt sein. In dieser Freiheit den Lebensquell zu erkennen und ihn zu nützen – das macht Sinn und obendrein glücklich.

Vertrieben werden aus dem Paradies?

Ja, Lieder sind der Anlass zurückzudenken, Vergangenes wieder ins Haus und in die Erinnerung zu holen, weil man nicht ganz verlieren möchte, was einem das Früher zu erzählen hat. Weil mit den gewohnten Melodien soviel an gelebter Zeit in Verbindung steht, weil mit der Kennmelodie zur „Kärntner Jägerstunde“ auch wiederum der Wäscheduft, die Bügelabende und der alte Bügelladen auftauchen können und zu erzählen beginnen. Der alte Satz „Erinnerung ist das Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann„ macht auch so Sinn: „Nur die Erinnerung ermöglicht es, die Vergangenheit immer wieder einmal aufsuchen, um nicht ganz daraus vertrieben zu werden.“

Lieder, die man einmal besitzt, sind wie Bilderbücher zum Nachschlagen. Sie sind nicht nur die Vermittler von Liedergeschichten. Nein, jedes einzelne Lied lässt sich nämlich mit Stimmungen vergangener Tage und den Wesenszügen jener Sänger verknüpfen, die uns einst begegnet sind. Das macht Singen erst aus, wenn Lieder auch einer Verlebendigung der inneren Bilder dienen.

Meinen Sie auch, was Sie singen?

Das mag zuallererst einmal schwer fallen. Nehmen Sie die Texte durchaus wörtlich, begeben Sie sich in die Zeit, werden Sie selbst zum Turlhofer von der Sonnseitn, oder zum årmen Hålterbua, zur lustigen Sennerin oder zum fidelen Fuhrmann. Lieder laden ja auch ein, sich ihrer zu bemächtigen, auf dem Kutschbock Platz zu nehmen, in oan kloan Häuserl zu wohnen, am Ålmaspitz zu stehen oder einfach zu fragen, ob man der Frau Wirtin noch etwas schuldig ist. Mitunter begegnen uns auch Texte, die sich gut der Gegenwart anpassen lassen, oder trotz ihres Alters die ganz Kraft von Poesie und bildhafter Beschreibung besitzen.

Lieder als unerschöpflicher Quell

Bei mein Diandl ihrn Fensta scheint går nia koa Sunn… Zuallererst handelt es sich um ein Anwesen auf der „Schattseitn“, also ein eher ärmliches Dasein, wie es früher nur Dienstboten fristen mussten. …geht koa Låndstråß vorbei, nur a Weg umadum…. Das ist ein eindeutiger Hinweis auf die fehlende Infrastruktur. Heute würde so ein Fleck erst Erschließungskosten erfordern, wie Strom, Wasser, Abwasser und Zufahrt. Ihr Stüberl is eingricht so nett und so fein, dass ma vorkimmt, i mecht ållweil drin sein…. Fazit: Trotz Ärmlichkeit und Einfachheit ist es möglich, sich in den eigenen vier Wänden ein Himmelreich einzurichten.

Lieder und ihre Geschichten, deren klare Poesie und treffenden Pointen sind also ein unerschöpflicher Quell an Gleichnissen, sind Lehrmittel für alle Fächer des Lebens. Wer sich Lieder aneignet, der hat ein Stück Wissen und die Weisheit der Vorfahren mit eingepackt. Wer selber ansingen kann und andere mit einstimmen lässt, verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart und fragt nicht lange, was Heimat bedeutet. Er weiß es längst.


Beitrag für den Volkskultur- Jahrbuch, Graz, 1/ 2003; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.