Sehr geehrte Frau Abgeordnete Dr. Andrea Wolfmayr!

Ich wende mich in großer Sorge an Sie und möchte um einen baldigen Gesprächstermin bitten. Um was geht es:Immer mehr kristallisiert sich heute heraus, dass gelebte Traditionen ein besonderes Wohlbefinden erzeugen und dass deshalb alle Aktivitäten der sogenannten „Volkskultur“ merklich an Bedeutung gewinnen. Sogenannt deshalb, weil sich dieser Begriff inzwischen als negativ besetzt herausgestellt hat. Er klingt so, als ob er nicht zum Überbegriff Kultur dazugehören würde.

Dieser neue Trend steht nur scheinbar im Gegensatz zu den anderen Kulturkonzepten die vor allem den Kulturtransfer in den Vordergrund stellen und sich in einem regen Veranstaltungswesen manifestieren. Während nach wie vor auf politischer Ebene und in den Medien eine Kluft zwischen Volkskultur und Kultur besteht, sieht das kulturelle Leben eigentlich anders aus: Es gibt ein beeindruckendes Ineinandergreifen von Tradition und Innovation, von Überliefertem und Modernem.

Das Steirische Volksliedwerk hat es bislang ganz gut verstanden, diese stimmige Kulturauffassung zu fördern und immer wieder zu artikulieren. Es gibt ja immerhin andere Bundesländer, in denen Brauchtumsvereine und das Volkskultur-Vereinswesen ein eher verhärtetes Dasein leben und auch keine Annäherung in Aussicht ist.

Für dieses steirische Klima sind zu einem kleinen Teil auch wir vom Volksliedwerk mitverantwortlich. Es ist aber eher ein Zufallsprodukt, denn ich hatte für diese Aufgabenstellung und dieses von mir initiierte Programm der besonderen Handhabung keinen Auftrag des Landes, keinen Rückhalt durch den jeweils zuständigen Kulturpolitiker (mit wenigen Ausnahmen) und schon gar nicht durch die Landesverwaltung.

Die dann erfolgte Trennung in Volkskultur und Kultur habe ich mit Entsetzen mit vollziehen müssen. Während ich über die finanzielle Situation unter LH Stellvertreter D.I. Leopold Schöggl nicht klagen kann, weiß ich aber, dass unsere Kulturauffassungen weit auseinander klaffen. Ein weiterer Wehrmutstropfen ist, dass die Bewirtschaftung unseres Budgets in der nunmehrigen Abteilung 9/Kultur noch schwieriger geworden ist.

Sehr geehrter Frau Abgeordnete ! Ich habe zwei dringende Bitten an Sie:

Die erste wäre eine kurzfristig erfüllbare: Ich erbitte Ihre Fürsprache beim Landeskulturreferenten LR Dr. Gerhard Hirschmann. Er möge innerhalb der Abteilung A9 dafür Sorge tragen, dass meine unter Volkskultur laufende Kulturarbeit keine Steine in den Weg gelegt werden. Ich habe das Gefühl, dass, weil meine Arbeit jetzt zum blauen LH Stellvertreter gehört, die schwarze Abteilung abblockt, wo es nur geht.

Langfristig: Es ist mir ein Anliegen, dass schon jetzt entsprechende Weichenstellungen und Bewusstseinsbildung für die Änderungen nach der nächsten Landtagswahl vorgenommen werden. Es ist ja durchaus denkbar, dass die gesamte Kulturarbeit und damit auch die sogenannten Volkskultur wiederum in ÖVP-Hände gelangen. Mir ist durchaus klar, dass es viele ÖVP-Abgeordnete gibt, denen meine Arbeit ein Anliegen ist. Andere wiederum betrachten das Thema Traditionspflege wahrscheinlich immer noch als isolierten Gegenstand.

Es ist aber ein Gebot der Stunde, schon jetzt Überzeugungsarbeit zu leisten damit in einer neuen Legislaturperiode der Begriff Volkskultur jenen Stellenwert bekommt, den wir nun schon jahrelang meinen: Wir wollen, dass der Umgang mit Traditionen auf dem Gebiete der Musik, Poesie, Handwerk und Architektur unter Kultur mitgedacht wird. Die gerade praktizierte Trennung ist kontraproduktiv, untergräbt unsere in ganz Österreich anerkannte Kulturarbeit und ist Anlass dafür, dass viele Traditionspfleger in den Vereinen ihr Anliegen wieder separat, abgehoben, enklavenhaft und engstirnig artikulieren und verfolgen.

Es ist mir unbegreiflich, dass diese Gefahr von den Kulturpolitikern nicht erkannt wird. Jede Aufforderung von mir, meine Belange im Kulturressort mitzudenken und ernst zu nehmen, hatte die Urangst zur Folge, dass der großteils ehrenamtlich und mit viel Engagement agierende Volkskulturbereich an den großen Kultur-Futtertrog möchte. Das wird auch der Grund sein, warum hier keine Gesprächsbereitschaft herrscht. Es geht aber nicht um den Futtertrog, sondern um einen größeren Kulturbegriff und die Erkenntnis, dass Traditionen neuen Entwicklungen überhaupt nicht im Wege stehen, dass heute verschiedene Lebensentwürfe zu Lebensqualität führen. Das Ineinandergreifen von überlieferten Formen und neuen Entwürfen ist eine der wesentlichen kulturellen Errungenschaften des Menschen.

Sehr geehrte Frau Abgeordnete!

Ich bitte Sie eine Vordenkerrunde zu gründen. Ich habe berechtigte Angst, dass nach der nächsten Wahl die nunmehr einmal eingeführte Trennung der Kulturbereiche weiter bestehen bleibt, meine Mahnungen nicht ernst genommen werden.


Schreiben an die Frau Abgeordnete betreffend meiner Sorge bezüglich der Trennung von Volkskultur und Kultur, 2002; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.