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Anmerkungen zur Verabschiedung eines Begriffs

Das Phänomen kennen wir: Wir verwässern einen Begriff solange, bis wir ihn ohne Untertitel und Entschuldigung nicht mehr gebrauchen können. Mit der Zeit werden die Untertitel immer länger, die Entschuldigungen immer ausführlicher.

Das betrifft nicht nur die Diskussion, nein wir haben auch in der Praxis Erklärungsbedarf: Wer den Lodenrock trägt, kombiniert vorsichtshalber mit den Jeans, wer Volksmusik spielt, betont, dass er nicht mit den Schürzenjägern verglichen werden möchte, wer Mundart spricht, bemerkt nebenbei, dass ihm der Schnabel so gewachsen sei…. usw.

Zum Begriff „Volkskultur“ bedarf es inzwischen ausführlicher Abhandlungen, wir müssen ausholen um nicht missverstanden zu werden, denn in uns entstehen sofort die Bilder einer besseren Zeit, altehrwürdige Muster, Klangfarben und Handlungen vom Gestern.

Die Entstehung des Begriffs ist nicht so wesentlich wie die Tatsache, dass er erst in den letzten 30 Jahren durch die Kultur- und Förderungspolitik, durch Sendezeitendiskussionen und – Berührungsängste – vehement einbetoniert wurde. Selbst diejenigen, die Tradition leben, haben sich im Kasterl Volkskultur schon gefunden, haben sich mit dem Reduzieren auf den einen bunten Teil ihres Lebens schon abgefunden. Dass sich in diesem Kulturkampf einige wacker geschlagen haben, dass sie dabei oben missverstanden wurden, sich aber unten Verdienste erworben haben – nämlich bei der Bevölkerung,  ändert nichts daran:

Der Begriff Volkskultur hat sich erübrigt

Der Begriff Volkskultur hat sich erübrigt. Fest verankert hat sich das bunte Bild von Trachten, das Klingen von Tradition, ebenso wenige etablierte Brauchformen.

Es ist keine Rede mehr vom Leben im Jahres- und Lebensfestkreis, von der Kraft des Überlieferten, der Freude an Bewährtem, vom Bindemittel im Generationengeflecht. Wer denkt beim Wort Volkskultur auch an die vielfältigen Rituale, an das Zusammenspiel von Arbeits- und Freizeitwelt, an den Umgang mit unseren Alten, die Verabschiedung der Toten, den Stellenwert der Familie? Wer denkt denn daran, dass die Anzahl der Volksmusikgruppen für Volkskultur nicht so sehr von Bedeutung ist, wie das Schließen von Gendarmerieposten, von Bezirksgerichten, die Gefährdung der Arbeitsstätten, die Auflösung des kleinen Gefüges …

Zu sehr haben sich auch typische Volkskultur-Merkmale verwischt oder aufgelöst. Teilzuordnungen sind angebracht, etwa zu den Bereichen Erwachsenenbildung, Tourismus, Musikpädagogik, Freizeitfolklore etc. Zu akzeptieren ist aber, dass der Begriff Volkskultur nach wie vor für die Bevölkerung, die Politik und Medien eingeführt und damit verständlich ist. Damit ist er aber in eine Enge getrieben worden, in eine verdächtige Geschlossenheit.

Von den Amtsperioden politischer Mandatare

Andererseits: Die meisten Menschen mit musikalischen, poetischen, handwerklichen Traditionen und Lebensritualen scheren sich nicht um die Begrifflichkeit, lassen die Angst vor dem Untergang links liegen und begegnen ziemlich gleichgültig den Verführungskünsten der Vermarktung.

Diese Kultur hat auch ohne Subvention, ohne Sendezeit, ohne dass sie auf der Tagespresse-Kulturseite erwähnt wird, einen relativ langen Atem und überlebt Verunglimpfung spielend und politische Vereinnahmung ziemlich unbeschadet, weil die Amtsperioden der politischen Mandatare gegenüber der Langlebigkeit dieses kulturellen Wurzelgeflechts kaum relevant sind.

Ich würde sogar soweit gehen: Die Auflösung aller Volkskulturpflege würde den Volks-Kultur-Untergang nicht bedeuten. Diese Erkenntnis wirft aber die Frage auf, die von den Experten heute beantwortet werden könnte:

Braucht diese Kultur Hilfe?
Und welche Hilfe braucht sie?
Und warum braucht sie Hilfe?

Hilfe! Brauch braucht Hilfe – ist dies nicht das Merkmal einer andauernden Notoperation? Es gab ja früher auch keine Brauchleitstelle, denn Entstehen und Vergessen lagen sich in den Armen. Also: Warum nun Volkskultur-Nachhilfe?

Ich hab mir meine Antworten schon zurecht gelegt, Sie auch? Reden wir anschließend wieder vom kulturellen Stellenwert, von Identitätsstiftung, der Unverwechselbarkeit für Land und Leute, von pflichtbewusster Traditionspflege? Machen wir wieder Eingaben, erbitten Ehrenschutz, heischen um Förderung und sind steirisch, ehrenamtlich und stolz wenn es um Volkskultur geht?

Stempel drauf und Punkt ade.

Denn längst  hat sich zur Enge des Begriffs ein großes kulturelles Bewusstsein gebildet, findet unterm Etikett eine bunte Vielfalt statt. Blasmusik und Chöre lieben ebenso Werke der Hochkunst und populäre Unterhaltungsmusik, vermitteln umfangreiche Musikbildung, abgesehen vom gesellschaftlichen Wert ihres Tuns, das ihnen durchaus bewusst ist.

Selbst die kleinen Volksmusikgruppen wissen sich der g`schmackigen Tangos zu bedienen, denn die jungen Musikanten sind heute zuerst musikausgebildet, bevor sie mit Tradition in Berührung kommen. Sie reden von Veranstaltungskultur, von Begegnungen. Sie fühlen sich überall zuhause und sind doch beheimatet.

Und was ist mit dem Mozartliebhaber, der seine Steirische spielt, dem Jazzfreak, der vom Jodler angetan ist, dem Projektkünstler, der die Lederhose trägt? Also: Volkskultur.ade, denn das Bild hat sich überholt.

Zur Einheit von Kultur zurückkehren

Über die sinnige Erkenntnis – „Volkskultur ist der Ausdruck des Lebens in überlieferten Ordnungen“ – ist die Decke der Unkenntlichkeit gestülpt worden. Und zwar von den Akteuren selbst, die ihr Aufgabengebiet so betitelt haben, die in die Enge getrieben wurden – in die enge Kulturlade – die mit dem Hirschhorngriff.

Seit um Volkskultur-Sendezeiten gekämpft werden muss und Kulturbudgets aufgeteilt werden, ist mir unwohl dabei. Es wäre wahrlich eine kulturelle Tat, wenn wir zur Einheit von Kultur zurückkehren könnten. Die Verehelichung der kleinen und der großen Welten und die Verbrüderung von Nachahmung und Erfindung könnte ich mir vorstellen, und: Tradition und Innovation im Wechselschritt getanzt und gestampft, Hand in Hand.

Selbst die Trennung der volkstümlichen von der urtümlichen Volksmusik wäre rückgängig zu machen, weil  wir Volksmusikforscher keine eindeutige Trennlinie ziehen können und wir keine Verfügungsgewalt über Geschmacksnerven haben wollen.

Nein – der Beliebigkeit das Wort zu reden ist nicht mein Ansinnen. Kultur ist es aber auch, die freie Wahl zu treffen, im Einfluss des Alten und des Neuen seinen Lebensstil zu suchen und zu finden, oder die Spur mehrmals zu wechseln. Da sind mitunter schöne Erkenntnisse zu gewinnen: Etwa, dass das Althergebrachte nicht immer Rückständigkeit bedeuten muss.

Dem Egoismus ein Schnippchen schlagen

Und nun sind die sogenannten Volkskulturleute gefordert, denn es geht nicht um die Rettung irgendeines Jodlers, um die Wiedereinführung irgendeines Trachtenrockes, sondern um die Hinführung zur Wertschätzung, um das Kennenlernen des Eigenen, die Erprobung der Lebensweise. Das alles vor dem Hintergrund globaler Veränderungen.

Wissen Sie eigentlich, wie modern jene sind, die sich zu dieser Volkskultur hingezogen fühlen? Wie sehr sie mit ihrem Handeln, ihrer Wertehaltung zur Harmonie zwischen den Generationen, überall an ihrer Stelle zum Gemeinwohl beitragen, wie tolerant sie anderen Lebensentwürfen gegenübertreten, wie sehr sie gerade deshalb fortschrittlich sind, weil sie beharrlich länger an einer Stelle treten, als es andere tun?

Die Bescheidenheit des Volkskultur-Volkes täuscht darüber hinweg, dass sich hinter den Maschen des Traditionsgeflechts die eigentliche Kultur der Volkskultur versteckt. Und: Schritt für Schritt ein Maß an Innovation, mit Feinabstimmung der Verträglichkeit, im Generationengefüge aufgeteilt, dass man bass erstaunt sein muss.

Ja, der Gestaltungswille, die Neugierde und der Mut zum kulturellen Handeln ist hier immerzu gepaart mit dem Bezug zur Überlieferung, mit der starken Verflechtung zu den Bewährungen, die das Leben schon gespielt hat. Das ist Kultur…

Ja, da gibt es auch Engstirnigkeit, Eigenbrötelei, Verhärtungen, geschlossene Kreise, Weltverbesserer, Jammerer, Scheuklappenmentalität. Wo aber nicht bitteschön? Und warum erklären wir die Demontage der Scheuklappen nicht längst zu unserer großen Aufgabe, anstatt uns in Volkskultur-Demonstrationen zu verlieren?

Was ist also Kultur?

Kultur ist mehr, als Veranstaltungsreihen zu managen, Künstler hin- und herzureichen. Und überhaupt: Kultur hat vorerst mit dem „Musiksommer“ und „Kulturfrühling“ – also mit Veranstaltungsreihen – nichts zu tun. Es gibt dagegen eine Kultur des Zusammenlebens, der gegenseitigen Hilfe (Nachbarschaftsversicherung), eine Kultur des Umganges mit unseren Verstorbenen, eine Kultur des Feierns und Trauerns.

Kultur ist schon da, ohne Programm der Kulturmacher. Das was sie anbieten sind Bonbons – also Genussmittel, (die brauchen wir auch!) wer sorgt aber für das Lebensmittel Kultur?

Ich habe den Eindruck, dass Kulturprogramme die eigentlich vorhandene Kultur oftmals stören, sie überstimmt – es fehlt der Respekt vor dem Eigenen und der Wille zum Miteinander. Es fehlt den Verantwortlichen die Kenntnis der Qualität des Beharrenden und es wird vieles über Bord geworfen, um es einige Jahre später wieder neu zu erfinden.

Kulturarbeit ist das Zusammenspiel zwischen Familie, Nachbarn, Schule, Pfarre, Gemeinde u.s.w. – ist aber auch die Verteilung von Arbeit und die Gestaltung von Freizeit. Es geht nicht nur darum, Lebensqualität zu erreichen, sondern auch darum, sich selbst in dieser Rolle des Miteinander zu sehen sich gestaltend wiederzufinden.

In einem Überangebot an unterschiedlichen Darstellungen von oftmals absurden und utopischen Lebenswelten ist es wichtig, sich selber in der Rolle des Zusammenspiels zu sehen und zu schätzen. Es bedarf der kleinen Schritte, nicht der revolutionären Taten.

Bitte nicht schon wieder der Ruf nach schräger Volksmusik, nach Runderneuerung, um dem Alten einen neuen Anstrich zu geben. Innovation ist eben nicht die Kehrseite von Tradition sondern die Folge einer tiefen Kenntnis von Tradition. Verordnete Innovation ist dagegen kontraproduktiv.

Es ist äußerst seltsam, dass die Vergangenheit als anrüchig angesehen und mit Rückständigkeit gleichsetzt wird. Vergangenheit ist aber die einzige Zeit die es überhaupt gibt. Die Gegenwart ist gleich vorbei und die Zukunft ist noch nicht. (Zitat G. Nenning)

Die Trennung von Kultur

Es ist daher auch Unsinn, Volkskunst und Hochkunst auseinanderhalten zu wollen. Genauso negativ sind alle Versuche verlaufen, die Volksmusik salonfähig zu machen, denn die beiden Künste befruchten einander. Genauso aber wie die Kleine Nachtmusik in der ländlichen Tanzmusikbesetzung nicht besser sondern anders wird, werden Volkslieder im Chorensemble nicht besser, sondern ebenso anders.

Wer Volkskultur meint, rede auch
von freier Entfaltung,
von Wechselwirkungen zwischen Erinnerung und Neuland,
vom Spiel mit diesen Erkenntnissen,
von der Freude am Annähern,
von der Notwendigkeit, Sprache, Stimme und alle Sinne einzusetzen.

Erst nachrangig spreche man von Virtuosität, Niveau und Bildungsschiene. Wenn Bildungsschiene, dann bitte von Lebens-Bildungs-Schiene, wenn möglich mit einer Unzahl von Weichen.

Wertschöpfung im Generationenverband

Ja, Volkskultur ist inzwischen der Begriff für die Enge, für einen benachteiligten Teil im Kulturleben, für den Zottelmarsch der ehrenamtlichen Subventionsbettelei. Der Begriff Wertschöpfung würde diese Leistungen im Generationenverband in ein anderes, ein klärendes Licht rücken.

Sie werden mir widersprechen?
Aber wir werden sprechen – und das ist gut so!

Denn, diejenigen Menschen, die unser Thema betrifft, die ihr Gestern mit dem Heute zu verflechten verstehen, die ihre kleine Welt viel größer sehen, weil sie das rechte Augenmaß zwischen Tradition, Bewährung und Lebenskreation gefunden haben, wissen nicht, wie sehr sie die eigentlichen Kulturträger sind, im besten Sinne des Wortes. Ihnen ist auch dieser Kreis verpflichtet!

Volkskultur.ade ist eine Abschiedsfeier – durch und durch eine Kulturveranstaltung.


Impulsreferat vor Volkskultur-Aktivisten im Raiffeisenhof Graz 6/ 2001; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.