Von Tanzboden zu Tanzboden…

Über die Musikanten, ihr Publikum und die Musikstücke.

Da setzen sich die fünf Musikantinnen und Musikanten doch tatsächlich auf die Bühne des Sensenwerks in Deutschfeistritz und bestreiten ein Konzert, sehen sich selbst aber nicht als Künstler, fühlen sich eher unbehaglich und sagen es auch geradeheraus. Inkonsequenz? Sie reisen von einem Tanzboden zum anderen, zu Hochzeiten und Geburtstagen, Frühschoppen und ländlichen Bällen und lassen sich von einem mobilen Aufnahmeteam mitschneiden. Gleichzeitig aber meinen sie, dass ein Tonträger eben nur den Ton trägt und nun produzieren sie einen solchen. Widerspruch?

Erstlingswerk landete im Nonsensmuseum

Wer das Glück hatte, das Erstlingswerk der Citoller, nämlich die Wirtshausgeräusch-CD samt einfühlsamen Begleitheft zu ergattern, fand sich in einer Welt der präzisen Gedanken wieder. Es waren die gesammelten Überlegungen, die lang gedienten Musikern so durch den Kopf gehen, gedruckt zum Nachlesen. Ergebnis für den Leser: Es muss also mehr dahinterstecken hinter dieser Volksmusik, als die Idee, sie vor der Vergessenheit zu schützen. Die damals beigelegte CD brachte eine weitere Erkenntnis zutage: 35 Minuten Atmosphäre im Wirtshaus sagen ganz deutlich, dass es wesentliche Voraussetzungen für Musik gibt, denen heute viel zu wenig Beachtung schenken. Die Sehnsucht nach musikalischen Ereignissen und das Knistern vor dem ersten Ton – darauf wollten die Citoller aufmerksam machen. Eine CD ohne einen einzigen Ton – was für eine Lehre für jene, die meinen, es wäre eine Leere. Schon damals war aber klar, dass sich die Citoller mit ihrem Publikum spielen, dass sie im Hinterkopf doch eine Musik – CD vorbereiten als kleine Entschädigung für alle, die diese Tiefgründigkeit nicht überzuckert haben und die Scheibe zurückschickten, weil es sich nach ihrer Ansicht um eine fehlerhafte handeln müsse.

Der Rückzug auf das Wesentliche

Mein Gott, welch schöne Melodienlandschaft tut sich da auf. Die Citoller lieben nämlich die klare Sprache einer präzisen Melodieführung. Jede Gegenstimme und Verdoppelung würde zu einem Gewäsch führen. Das ist keine Verulkung anderer Musizierstile, kein Angriff auf die Spielmusikkultur unserer Zeit, auf das Zerlegen um des Zerlegens willen. Das mag es alles geben, aber nicht beim Singen mit den Leuten, wenn der Inhalt der Texte Musik zum Transportmittel reduziert und schon gar nicht am Tanzboden, wo Melodien für sich sprechen müssen. Darin und im Strich der Geigen liegen alle Nuancen, es sind wohl eindeutige Signale wie Zuneigung, Koketterie, Besitzergreifung, Annäherung. Es sind die kleinen saloppen Aufstriche, die uns ein Zublinzeln herauslocken und die satten Bögen, die wiederum viele Partner veranlassen, ihrer Partnerin das Gegenteil von Distanz schmackhaft zu machen.

Sie brauchen die nackte Wirklichkeit wie ein Stück Brot

Die Aufnahmesituation bei den ersten Stücken war also ein ungewöhnliche – im Sensenwerk Deutschfeistritz im heimatlichen Kulturprogramm. Mit dem Publikum auf Du und Du, im Wechselspiel zwischen Musikpräsentation und Moderation. „Was soll die Polka Franzee (auch francaise, franzeise oder meist nur Franze geschrieben) ohne die hupferte Menge?“, meint der Harmonikaspieler Hubert und empfindet sich hier zur Schau gestellt. Kein Wunder, wenn man ein lebendiges Bild von der Franzee im Kopf, die Stampferei schon einmal erlebt hat.

Und was ist nun auf der Scheibe, die sich CD nennt?

Die Lieserl Franzee (01), die von den Citollern schon vor vielen Jahren von anderen Musikern übernommen wurde, ist – wie so oft in dieser Musikgattung – auch unter vielen anderen Namen bekannt, etwa als „Die lustige Schwoagarin“. Der weststeirische Musiklehrer und Volksmusikforscher Prof. Max Rosenzopf hat sie unter dem Titel „Lustig is`-Polka Franzee“ veröffentlicht. Auf dem Tanzboden kann man zumal einen wahren Wettbewerb erleben, wenn die Musikanten mit dem tanzenden Knäuel um die Wette stampfen. „Der richtige Franzee wird am Schluss eines jeden Gsätzls einigståmpft“ raunt mir ein Zaungast zu. Die drei Schläge am Tanzboden sind nur mit einem „Ersatzbalzen“ beschreibbar und wirbeln den Staub auf. Erst im Trio schmieren die Geigen und die Tanzschritte werden geschmeidiger, mitunter aber drehen sich die Paare umso schneller. Ja, und solche Eskapaden haben lange Auswirkungen. Fleißige Tänzer spüren es noch Tage in den Wadln und erinnern sich an die Madln.

Mit dem darauf folgenden Recurswalzer (02) ehren die Citoller ihre Lehrmeister und Vorbilder. Aus den Gesprächen mit ihnen wird deutlich, wie sehr sie im Einfluss früherer Musikantengenerationen stehen, wie sehr sie den Oberbergmeister Luis Blamberger (Bad Ischl) in Ehren halten, den Zwanzger-Musikanten (Stiwoll) eine väterliche Rolle zuerkennen. Jeder Bogenstrich – so der Primgeiger – möchte Klang und Geist der liebenswerten Musikantenfiguren einfangen. Im Bereich der Überlieferung haben Urheberrechte – zu einem überwiegenden Teil – keine Relevanz. Umso bemerkenswerter ist die Geste der Citoller, die Tantiemen an ihre Vorbilder mit einer tiefen Verehrung und Verbeugung abzustatten. Nach der Herkunft dieses Walzers befragt, meint der Tanzmusiker und Kapellmeister Ferdinand Zwanzger aus Stiwoll, von dem die Citoller die Melodie übernommen haben: “Über die Alten“. Schon Vater Andreas Zwanzger spielte diesen Walzer „auf Blech“, auch ist er älteren Musikanten z.B. in St. Bartholomä und Mooskirchen (Weststeiermark) bekannt. Es verwundert nicht, dass der Recurswalzer sich in vielen Musikanten-Notenbüchern findet, denn es handelt sich um ein allgemein gespieltes Repertoire der Streichmusiken aus der Jahrhundertwende, das unter anderem über Militärmusiker den ländlichen Musikanten bekanntgemacht wurde. Im Salzkammergut wird dieses Stück mit „Kathrein Walzer“ betitelt, von der Streichbesetzung der Bürgermusik Bad Aussee gespielt. (Siehe auch: Steirisches Volksliedarchiv Mappe Zwanzger- Stiwoll 455 und 457,, Mappe Nestler-Edelschrott 533, 538, 540.)

Es ist ja ein Genus, wenn die alten Leut` sich tänzelnd vor dem Musikpodium vorbeischieben. Die wogende Menge ist zugleich auch der Pulsschlag der Musikanten, die präzise Akzente setzen. Märsche sind immer noch die Aufforderung, der Musik zu folgen, sich dem Zuge anzuschließen. Ungezählt sind die Situationen – vor dem Standesamt, der Kirche, dem Gasthaus – wo die Musik das Signal zum Aufbruch gibt“ Na, jetzt geht’s los“, meint der Schattlbauer, nimmt seine rot g`sichterte Frau untern Arm und führt sie über die Gasthausschwelle den Musikanten nach, die einen Umweg über die Küche nehmen, um sich dort einzuschmeicheln. Wer nicht gerade unachtsam war, hat schon im Hof, während die Musikanten anspielten, einen Anflug von Bratlgeruch in die Nase bekommen. Der Hochzeitsmarsch (03) stammt aus dem Spielgut der weststeirischen Kapellen Brandstätter und Kager. Die Citoller haben diesen Marsch von der Kapelle Zwanzger aus Stiwoll übernommen. Dorthin gelangte er nach dem Zweiten Weltkrieg über die Musikkapelle in Rein, in der Ferdl Zwanzger aushelfen musste und sich dafür den Marsch von Kapellmeister Josef Papst abschreiben durfte.

Bei der jährlichen Clementifeier in Sommereben haben die Citoller keinen besonders schwierigen Stand. Zuerst gestalten die Musikanten die Clementimesse in der Kapelle, dann ziehen die Mitarbeiter des Forstbetriebes der Malteser ins nahe Gasthaus ein, lassen sich das Essen schmecken. Da vergeht schon eine Weile, bis sich die Musiker und die Gäste gegenseitig begrüßen. Ein Jahr ist seit der letzten Feier vergangen, die G`sichter kennt man aber. „Mit dem lustign Mandl, håbn ma im Vorjahr so lång g`sungan“, meint der Harmonikaspieler und fragt nach, wie es mit seiner Wirtschaft geht. Im anfänglichen Geplänkel spielt die Musik eine untergeordnete Rolle. Die Musikanten wissen, dass sich so eine Gesellschaft viel zu erzählen hat, und lassen diesem „sich Annähern“ genügend Zeit. Längst haben sie sich mit einer Flasche Weißwein eingedeckt, denn nun, da die Gesellschaft eingetroffen ist, haben die Kellnerinnen alle Hände voll zu tun. Zuletzt aber, nachdem der Wildbraten verzehrt ist, greift die Kapelle zu Posaune und Klarinetten, um zum Tanz aufzufordern. Der Landwirt Manfred Schweizer aus Laufnitzdorf, ein Freund der Citoller, hat ein paar besondere Stücke geschrieben, auch diese Auf geht’s – Polka (04) (komponiert 1985, veröffentlicht in „Musikantenstückln herausgegeben zum Geigentag 1985/86“) stammt aus seiner Feder.

Der letzte Ton ist kaum verklungen, da entdeckt der Harmonikaspieler den Luis – einen Jager – und meint, ihm das nächste Stück widmen zu müssen. Dass sich die Gäste zurücklehnen und mitsingen, ist keine Seltenheit bei den Veranstaltungen mit den Citollern. Sie verstehen es, zur rechten Zeit die richtigen Lieder anzusingen, diese den Leuten in den Mund zu legen. Das Hahnpfålzlied (05) endet in der dritten Strophe mit einem Spott auf die Wiener, vielleicht sind überhaupt die Städter gemeint, die als Jagdgäste zwar durchaus willkommen sind. Die kleinen Sticheleien – von wegen „die größtn Scherbn“ – werden sie wohl aushalten. Dann geht der Gesang in einen Walzer über und da springt schon der Forstmeister auf und zeigt wo‘s lang geht. Er zieht seine überraschte Partnerin flink aus den Tischreihen, um ja keinen Takt zu versäumen. Der erste Geiger legt sein Instrument beiseite und wechselt im letzten Augenblick zum Blech, um den Aufzug zu einem Jodlerteil hinauszuposaunen. Den Hahnpfalzwalzer haben vor allem die Kernbuam durch eine Vielzahl von Auftritten bekannt gemacht. Das Arrangement zu einer verwalzten, dreiteilige Form stammt von ihnen und wurde so zu einer der beliebtesten Tanzmusiknummern. Das Lied selbst ist quellenkundlich äußerst interessant. Schon in Gustav Jungbauers „Volkslieder aus dem Böhmerwalde“ finden wir eine Aufzeichnung aus Wullachen 1870, aus Chinitz – Tettau 1923, aus Ferchenhaid 1906 und aus Böhmisch Bernschlag 1910. Es ist aber auch in vielen weiteren Volksliedsammlungen zu finden: Dr. Hans Commenda aus Linz veröffentlicht es im Jahre 1920 und gibt Karl Maurer aus Steyr als Schöpfer der Weise an. Der Text entstammt nach Commenda einem Flugblatt, gedruckt bei Michael Haas in Steyr. Viktor Zack zeichnet das Hahnpfalzlied 1880 in Vordernberg auf und Dr. Anton Schlossar veröffentlicht es in „Deutsche Volkslieder aus Steiermark“, Innsbruck 1881. Es hat sich im gesamten Alpenraum verbreitet und ist in sämtlichen Liederbüchern anzufinden.

Noch ganz atemlos beendet Frau Scheer die letzte Drehung und meint, dass jetzt eine Polka d`raufg`hört. Für solche Regungen haben die Musikanten einen feinen Sinn, sie lassen sich nicht lange bitten. Bei jedem Bankomaten muss man aber länger warten als bei den Citollern. Es gibt keine Diskussion welche Polka nun gespielt werden soll. Die Musiker haben den Wunsch nach einer Polka vernommen und schon Augenblicke später wird die Kennung eingetippt. Die Harmonika gibt für alle verständlich vor, was sich nun abspielt und Hubert meint es ernst, es geht nämlich los in Dora (die Tonart D) 1-2-1-2

Drahn ma`s auf und drahn mas zua, wås liegt scho drån,
weil mas Göld auf dera Wölt net fressen kånn.
Schiefe Åbsätz und in jedn Strumpf a Loch,
åber drahn åber drahn tua mas doch!

Die in der Steiermark allseits bekannte Strophe ist nichts anderes als die textierte Lebensphilosophie schlechthin. Vor allem im Wienerlied finden sich genug solche Lebensformeln, die jeder misslichen Lage des Lebens noch etwas Gutes abgewinnen. Wenn dann der erste Geiger zum Ansingen sein Instrument in der einen und den Bogen in der anderen Hand weit von sich streckt und dabei zwei Schritte auf das Publikum zugeht, könnte man meinen, dass seine Strümpfe tatsächlich nicht in Ordnung sind. „In solchen Augenblicken geht’s um das richtige Maß an Überzeugung und Überzeichnung“ meint er, „die Grenze zwischen Textinhalt und Wirklichkeit verschwimmt“. Die Musikanten haben auch für dieses Musikstück verschiedene Namen bereit. Sie sagen dazu ganz einfach Drah ma`s auf-Polka (06), Linzer Polka oder Leckerfassl Polka. (Siehe auch Steirisches Volksliedarchiv Mappe 455)

Neben der wechselweisen Verwendung von Blas- und Streichinstrumenten sind die vielen „verwalzten“ Lieder eine Spezialität der Citoller. Diese Ergänzung der Instrumentalmusik durch eine unverwechselbare musikalische Sprache, nämlich die Singstimme, macht jene Qualität aus, die vom Publikum besonders geschätzt wird. Freilich ist der Walzer Sie draht sie hålt über und über (07) nun einer Dame aus dem Publikum gewidmet, der die Musikanten ein Morgenmuffel – Dasein nachsagen, der man dies singend und spielend zum Vorwurf macht. Man beachte besonders die karge Textveränderung – es ändert sich nämlich vorerst nur die Uhrzeit – wobei die letzte Strophe an Anzüglichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Aber immerhin arbeiten sich die Musikanten einige Strophen lang bis zur erotischen Stelle vor und schließlich wird am Schluss ein Gast namentlich in den Text miteingebunden – eine Laune des Augenblicks. Text gefällig?

Sie draht si hålt über und über
und steht hålt no net auf,
sie draht si hålt über und über
und steht hålt no net auf.
Es håt scho fünfe gschlågn
sie steht hålt no net auf,
so is bei uns dahoam da Brauch!

Sie draht si hålt über und über
und steht hålt no net auf,
sie draht si hålt über und über
und steht hålt no net auf.
Es håt scho sechse gschlågn
sie steht hålt no net auf,
so is bei uns dahoam da Brauch!

Sie draht si hålt über und über
und steht hålt no net auf,
sie draht si hålt über und über
und steht hålt no net auf.
Es håt scho siebme gschlågn
sie steht hålt no net auf,
so is bei uns dahoam da Brauch!

Sie draht `n hålt über und über,
er steht hålt no net auf,
sie draht `n hålt über und über,
er legt si hålt no amål drauf.
Es håt scho åchte gschlågn,
er legt si hålt no amål drauf,
so is bei uns dahoam da Brauch.

Musik und Text dieses von älteren Musikern abgehörten Walzerliedes – Originaltitel: „Miazl, aufsteh`n“ – stammt von Franz Brauner (in: Die Kern Buam – eine Legende, Hermann Schneider Musikverlag, 1989). Den Zwischenteil haben sich die Musikanten selbst einfallen lassen. Und natürlich unterstreichen sie den Vorwurf des späten Aufstehens mit ausladender Gestik, zusätzlich mit der Imitation eines Weckers – Trrrrrrrrrrrrrr – und dem Zwischenruf „Du faul`s Luada!“

Wenn es den Wertebegriff „Echt“ im Zusammenhang mit Volksmusik unbedingt geben muss, dann trifft er weniger auf die Musik als auf jene Musikantentypen zu, die das Publikum mehr als sich selbst lieben, mehr an Kraft und Ausdauer investieren als sie selbst aushalten vermögen. Es ist wohl mehr Handwerk als Kunst dahinter, mehr Dienstleistung als Selbstdarstellung. Welch feine Nase für Stimmung und Stimmungstöter, für Sternstunden und erzwungene Lustigkeit sich da im Musikus entwickelt, ist gar nicht beschreibbar. Alles in allem sind die Tanzbodenjahre am Repertoire erkennbar, zusammengetragen durch viele Zufälle, durch die Eingebung des Augenblicks. Echt ist daher die Tatsache, dass Musikantenköpfe wie Schwämme Melodien einsaugen und sich aus den verschiedenen Laden eine Kommode zimmern – sie bleibt dann ein Leben lang im Inventar. Für die Rückgriffe auf die populären Schlager, bedarf es hier keiner Hilfsmittel, weder des Keyboards noch anderer Instrumente, noch der Elektronik. Einfach rauf mit der Melodie auf die Geige, mit Landlerfingern gewimmert und dazu ein paar Worte Italienisch. Das versetzt viele in die Zeit, als noch mit Singleplatten gehandelt wurde, um im Kämmerlein die neue Blue Jeans einzuweihen. Marina (08) (Text und Musik von Rocco Granata) hat dann mit dem Original nur mehr wenig zu tun, zum „originell sein“ reicht`s allenthalben und die kleine illustre Runde beim Kathreintanz am Annaberg bei Mariazell hatte frühmorgens keine Probleme, die richtigen Schritte auf den Dielenboden zu setzen.

In dieser Stimmung können unzählige alte „Hådern“ folgen, weil nicht nur ein Wort das andere, sondern auch ein Lied das andere ergibt. Es liegt was in der Luft, das Verlangen nach der Wiederaufbereitung alter Erlebnisse. In uns werden Erinnerungen lebendig, von Lust und Liebe, Fernweh und Abschied. Keine Frage, dass es sich in diesen Minuten um einen Zusammenschluss des Publikums mit den Musikanten handelt. Kennmelodien werden den Musikern zugeträllert und von diesen weitergesponnen. Die Gitarre und das Meer (09), (Text: Aldo von Pinelli, Musik: Lotar Olias) das Mädchen Juanita und ein Stück Schlagergeschichte purzelt uns aus dem singenden Mund. Welch schöne Welt des musikalischen Erinnerungsvermögens bildet hier den Schmelztiegel für Volksmusik und Schlagerwelt. Die Geigen raunzen, die Paare wiegen sich und die Musikanten hauchen zu ihrem Pizzicatto statt Juanita „no an Liter“. Mitten im Kai von Casablanca erschallt plötzlich ein Jodlerruf und – weil sich die Szene in Wildalpen im Gasthof Ganser abspielt – kommt auch dieser reizende Ort im Salzatal auf seine Rechnung.

Es ist auch eine Kunst, mit den Kontrasten zu spielen und aus dem sentimentalen Hatsch wieder an den Puls einer Veranstaltung anzuschließen. Es geht um Fingerspitzengefühl, denn die Musiker wissen, was sie aufs Spiel setzen. Erzwungene Stimmung tötet sich selbst, sagen sie und haben andererseits gar nichts gegen das Schunkeln, nur muss man es erwarten können. Und weilst ma`s gestern z`rissn håst…. (10) -ist eine äußerst beliebte Polka-Melodie. Immer wieder einmal landet ein Hunderter hinter dem Hutband des Primgeigers, eine Bestellung und zugleich auch ein Zeichen der Wertschätzung.

Und weilst ma`s gestern z`rissn håst,
drum leich is nimma her,
drum leich is nimma her,
drum leich is nimma her….

Jå hobl, jå hobl, jå hobl imma zua,
jå hobl imma zua, jå hobl imma zua,
jå hobl, jå hobl, jå hobl imma zua,
hobl, hobl, hobl, hobl, hobl imma zua!

Dieser Text existiert in vielen Varianten. Hier große Erklärungen anzufügen, um was es sich denn handle, ist nicht notwendig. Ja das wäre kontraproduktiv, denn es würden sich die ebenso vielen verschiedenen Deutungen erübrigen. Erotik lässt halt auch immer die schönere und weniger anstößige Auslegung zu. Das wäre überhaupt die beste Definition von Volkserotik: Sie lebt von den Bildern, die man sich selbst anfertigt oder einfach überblättert. Die wohl älteste Aufzeichnung findet sich in der Handschrift von Andreas Karl Stoll, 1875-1961, Hackbrettspieler der Mooskirchner Altsteirer, hier unter dem Titel: „Drum leich is nimma hö“. Siehe: Franz Steiner, Volksmusik aus Mooskirchen, 1969. In den handschriftlichen Noten des Ferdinand Zwanzger, Stiwoll, wird sie auch „Polka schnell“ oder „Reise Polka“ benannt, in den Musikantenbüchern der in Edelschrott bis in die 60er-Jahre hinein aktiven Musikerfamilie Nestler wurde sie als „Polka schnell für Streich“ oder „Polka für Clarinetto“ ausgewiesen, Max Rosenzopf nennt sie in seinen im Selbstverlag herausgegebenen Heften „Hirschegger Polka“.

Eine ganz große Ehre ist es für die Citoller, dass sie für den alljährlichen Schützenball in Grundlsee angehalten werden. Die musikalischen und tänzerischen Besonderheiten des Ausseerlandes sind eine reizvolle Abwechslung für die Musikanten. Was heißt Abwechslung? In der Weststeiermark – so sagen sie – ist das Tanzen die Lustbarkeit selbst, da gehen die Tanzpaare gar nicht vom Tanzboden. Es kommt durchaus vor, dass sich der Tanzboden ganze zwei Stunden nicht leert, bis sich die Tanzenden ausgetobt haben, die Hemden zum Auswinden sind. In Grundlsee ist `s gemütvoller, nicht weniger lustig, aber doch gesittet, nicht weniger stimmungsvoll, aber doch nicht bis zum Umfallen ausgelassen. Steirer (11) und Landler anspielen, das mögen die Citoller und sie sind sich des Auftrages wohl bewusst. Die unter dem Namen „Steirer“ oder „Steirischer“ bezeichnete Form des Ländlers – ein Paartanz mit getanzten und gesungenen Abschnitten – gilt als Inbegriff des alpenländischen Tanzes. Er wurde im 19. Jahrhundert sogar als „Nationaltanz“ bezeichnet. In Grundlsee wird nach dem Gstanzlsingen gepascht. Das „Paschen“ ist eine Besonderheit der musikalischen Überlieferung des Salzkammergutes. Siehe: Volksmusik in Österreich, W. Deutsch, Österr. Bundesverlag Wien, 1984. Nun heben die Tänzer wieder an zu singen und die Musikanten nehmen sich etwas zurück, um dem Ansänger die Führung zu überlassen.

Gestern hån is gstn ghört,
gstn beim Zaun,
wånn is no amål gstn hör,
oft geh`n mas ån!

Acht Takte lang ist ein Gstanzl und doch beinhaltet jedes dieser kleinen Werke das rechte Maß an Witz oder Bosheit. Die Citoller Tanzgeiger, gut einen halben Meter erhöht auf der Bühne des Gasthauses Schraml, lieben den Blick „von oben herab“. Da kommt es schon vor, dass der Posaunist einem säumigen Tanzpaar einen Schupfer verpasst, so quasi als zusätzliche Serviceleistung. Fast hätte er aber den Anschluss mit der Posaunenstimme versäumt. Noch schnell ein Griff zur Virginia, die beinahe den Bühnenvorhang in Brand gesteckt hätte, schon beginnt ein weiterer Teil und die Paare wickeln sich jauchzend. Den Musikanten genügen Blickkontakte und ein leichtes Heben der Schulter um Tonart- und Melodiewechsel abzustimmen. Zwischen dem Tubisten und den tanzenden Füßen gibt es eine unsichtbare Verbindung und beim Paschen – das weiß er – kommt es auf die kleinste Nuance an. In diesem Moment tritt die Bratschistin zu nahe an die Weinflasche und der kühle Tropfen kippt über den Bühnenrand. Dem Ansänger aber fällt just kein weiteres Gstanzl ein und die Musikanten übernehmen im Fluge diese Rolle, nicht ohne den Spott gleich mitzuliefern:

Wisst `s koane Gstanzln,
so kaft `s ma oa å`,
i` håb sechsadreißg taus`nd
im Hosnsåck då !

Ein besonders beliebter Tanz – der Ausseer Schottisch (12) – führt die Paare immer wieder auseinander und – Gott sei Dank – immer wieder zusammen. Die drei Seitstell – Schritte auseinander und ebenso viele wieder zusammen, enden – wie sollte es anders sein – in einem kleinen Dreher. Diese kleine Form ist ungeheuer lustvoll und lässt zudem sehr viel individuelle Gestaltungsmöglichkeit offen. Die Musikanten müssen das richtige Tempo erwischen, damit die tanzenden Körper die Fliehkraft ausnützen, aber dennoch nicht zügellos entgleiten. Wenn die Posaune dann die Melodie von unten herauf aufzieht, kann es sein, dass der Jubel ausbricht. Dieser „Auseinand` und wieder z`samm“ wird in anderen Gegenden „Boarischer“ oder einfach „Schottischer“ genannt. Komponist dieses Musikstückes mit dem Originaltitel „Die lustige Klatscherin“ ist der Tiroler Georg Kaltschmied aus Kössen, 1885-1954.

Wer das Spiel mit den selbsterzeugten Tönen versteht, braucht nicht immer ein Instrument dabei zu haben. Die Tanzgeiger empfehlen, jede Form von Musik über den Gesang anzugehen. Es verschafft nicht nur ein anderes Verständnis für die Vorgänge beim Musikmachen. Das Singen und Jodeln vermittelt auch die ersten Kenntnisse im Umgang mit einem Instrument – mit der eigenen Stimme nämlich. Freilich muss die Stimme auch geübt und gepflegt werden. Sie ist aber die Faszination schlechthin, eine körperliche Erfahrung, die das Leben vergrößert, ja verlängert erscheinen lässt. Noch mehr: Später einmal, im Himmel sollen wir frohlocken und jubilieren, warum nicht schon jetzt mit dem Üben beginnen? Der Rauchegger vakehrt (13) ist einer der Lieblingsjodler der Citoller und er wird immer wieder einmal – wie hier beim Bockbieranstich in Wien – einem Gast gewidmet, als Gruß aus dem Steirischen halt. Dabei gehen die Musiker von der Bühne und treten an den zu Ehrenden heran. Das erklärt auch, warum diese Aufnahme weniger präsent zu hören ist. Solche Jodler lernen die Musikanten in ihrer engeren Heimat, beim Almausflug oder wie in diesem Falle, beim Viehmarkt in Semriach. Johann Neuhold vulgo Wiemann, aber auch seine Eltern sind ausgezeichnete Sänger, ebenso Franz Zöhrer, Aloisia Mitteregger, Hans Zink aus Laufnitzdorf, die mit ihrem Lieder- und Jodlerschatz als Lehrmeister der Citoller Tanzgeiger gelten.

Der Name Citoller Tanzgeiger ist aber auch unmittelbar mit dem Steirischen Geigentag verbunden. Dieses Fest im Zweijahresrhythmus findet beim Gasthof Martinelli, auf der Leber in Graz Stattegg statt. Es war von Anbeginn der Belebung des volkstümlichen Geigenspiels gewidmet. Eine pädagogische Maßnahme? Mitnichten, vielmehr ist es dem Steirischen Volksliedwerk gelungen, auf die lustvolle Methode des Vormachens und Nachmachens zurückzugreifen, die Violine zu entzaubern und viele zu ermutigen, sich selbst in Szene zu setzen. Während draußen auf der Wiese hundertfach angegeigt wird, machen sich die Citoller geradezu einen Hexenkessel in der Tanzhütte. Håns bleib då… (14) rufen sie dem Martschin Hans nach, der sich schon auf den Weg ins Mariazellerland machen will und sich nun noch ein letztes Mal auf dem Tanzboden wutzelt. Die Musikanten werken – ins Fenstereck gedrängt – und werden immer wieder einmal von den Ellenbogen der erhitzten Menge angerempelt. Der Hans wird sich das überlegen, denn „…da Teifl holt di` sowieso, die Muatta liegt im Woch`nbett, da Våta sticht die Muatta å“. Ein Liter für d` Musi ist schon bestellt – hoffentlich kommt die Kellnerin durch die tanzende Menge…..Die älteste Aufzeichnung dieser beliebten Melodie findet sich in den Noten des Andreas Karl Stoll (1875-1961) des Hackbrettspielers der Mooskirchner Altsteirer, dort mit dem Namen „ Di da do“. (Siehe Franz Steiner, Volksmusik aus Mooskirchen, 1969.) Max Rosenzopf nennt sie in seinen Notenausgaben „Hans Polka“, Lorenz Moiser hat sie in seinem undatierten Heft „Lieder und Tänze aus den Alpenländern“ mit „Lusig, wohl auf“ bezeichnet.

„Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“(Jean Paul 1763-1825) und „Lieder, die wir einmal d`raufhaben sind drinnen und das unauslöschlich“, meinen die Musikanten. Den Lahnsattler Holzknecht (15) besingen heute noch viele und dieses Walzerlied der Citoller darf an keinem Tanzabend fehlen. Im Volksliedarchiv befindet sich eine Aufzeichnungen des Aschbacher Oberlehrers Christian Bogensberger aus Aschbach und Umgebung (1908). Vorsänger waren damals Karl Bieber und Martin Leodolter. Ebenso findet sich eine Aufzeichnung durch Franz Stöckl aus Schöder. (1884). Siehe auch Georg Kotek und Raimund Zoder: Ein Österreichisches Volksliederbuch, Österreichischer Bundesverlag, Wien 1948. Der Griff zum Flügelhorn und zur Klarinette verhilft zu einer allerletzten Steigerung und ist zugleich Aufforderung, noch ein bisschen durchzuhalten, den Griff nicht zu lockern und reintreten, dass es eine Freude ist.

„Ein Schäuferl nachleg`n“, heißt bei den Citollern „das Überkochen zu provozieren“. Mit zwei C-Klarinetten – Helga und Inge – lässt sich noch eine schrille Polka hinausblasen, die den Tanzfreudigen sehr wohl bekannt ist und zu Jubelschreien Anlass gibt. Die Mir san vom Grådnertål – Polka (16) ist in der Steiermark derart beliebt, dass selbst die bislang tanzfaulen Ballbesuchen scharenweise aufstehn, um mit dabei zu sein. Das Gradnertal befindet sich übrigens in der Weststeiermark. Die Citoller aber ändern den Text auf ihre Weise ab:

Mir san vom Zitollertal,
spüln tan mas überall,
wo d` lustig`n Leut si` drahn,
då san mir daham.

Leutln draht`s nur umma,
da Rausch, der wird scho kumma`,
ålle bsoff`nan Lackln
wåckln wia die Dackln.

Text und Musik stammen von den Kern – Buam, die viele Tanzmusiknummern äußerst populär gemacht haben.

Durch seine Popularität ist der Gurktalerwalzer (17) ebenfalls ein sicheres Mittel, um die Besucher auf den Tanzboden zu locken. Die ersten Takte sind Signal, ja geradezu eine Aufforderung, den sicheren Gasthausstuhl stehen zu lassen, sogar das soeben servierte Schnitzl, um die Partnerin zum Tanz zu bitten. Der Posaunist nimmt die Kellnerin beiseite und redet was von einer „trockenen Baustell“, deshalb unterbricht er das Posaunenspiel für einige Takte. Zum Schluss aber wird mit einem kurzen Eingang eine Wiederholung vorgetäuscht, die dann doch nicht erfolgt, denn der Walzer ist abrupt zu Ende. „So eine Fopperei“, meint der Schlatzer Rudl und lacht übers ganze Gesicht. Er meint, dass den Musikanten der Treibstoff ausgegangen ist und schaut sich nach einer Kellnerin um. Komponist dieses schönen Walzers ist Franz Isopp (1865-1924) aus Bisweg/Kärnten. Er war ein sehr lustiger und deshalb beliebter Musikant. Anlässlich seiner Beerdigung gab es – so erzählt sein Urenkel, der heute in Klosterneuburg lebt – einen Skandal: Seine Musikantenkollegen leerten Wein ins offene Grab.

Eine Kennmelodie? Freilich, auch die Citoller haben eine, eine Heimathymne, die an einem Abend meist mehrere Male gespielt werden muss. Besondere Freude macht dem Publikum der Franzee-Schritt, ein Hupferter, der viel Kraft kostet, aber die Drehung besonders beschleunigt. In ihrer engeren Heimat – im Übelbachtal – darf dieser Tanz nicht fehlen. Die Citoller erinnern sich gerne an den Pech Pepi, einen inzwischen verstorbenen Neuhofer Landwirt, der besonders leidenschaftlich getanzt, und jeden einzelnen Franzee im Voraus bezahlt hat. Hier, im engen Lokal der Anniwirtin in Graz, bedarf es eines besonderes Geschicks, sich zwischen den eng stehenden Tischen durchzudrängen. Die Citoller lieben das gemischte Publikum, bestehend aus Musikliebhabern und jenen Menschen von der Straße, die an der Bar stehen und so manches Lied mitsingen. Bei der Übelbacher Franzee (18) versucht nun das Publikum sich beim Jodler anzuhängen. Die Anni-Wirtin jongliert ein ganzes Tablett Schilchermischungen, macht eine Drehung um die eigene Achse und landet mit den Getränken vor den Musikanten. Der Grazer Babenbergerhof ist die Zufluchtstätte für Musiker aller Schattierungen, die Mischmaschine aller Musikgattungen. Diese Polka Franzee ist nach dem Ort Übelbach benannt und allgemein bekannt. Sie wurde 1959 beim Verlag Hermann Schneider als „von den Kern Buam“ verlegt, war jedoch bereits in der Zwischenkriegszeit allgemeines regionales Spielgut.

Tusch ! Um ein bisserl Aufmerksamkeit wird gebeten und vorher auf den Geigenboden geklopft: Damenwahl!! Die Anstandsformel – der Partner fordert zum Tanz auf – gilt nach wie vor und deshalb kümmern sich die Musikanten um den Rollentausch mittels Damenwahl. Der Annawalzer (19) wird angespielt – um den Damen eine besondere Freude zu bereiten. Beim Höchwirt, då is Musi heit ! Der beliebte Gastronom in Graz – Weinitzen ist eine besondere Ausgabe von Wirt, nicht nur wegen seiner reschen Backhendl und seines schönen Lokals. Er ist eine Persönlichkeit mit allen Vorzügen, die man als Wirt haben kann. Die Musikanten sind die ersten, die diese Qualität zu schätzen wissen und ihm deshalb schon jahrelang die Treue halten. Den Annawalzer findet man in vielen Musikantenbüchern, z.B. auch in den Aufzeichnungen der Familie Nestler (Edelschrott) und Zwanzger (Stiwoll).

Die Laft`s nur Rotzbuam – Polka (20) gehört ebenso zu den Standards vieler Musikanten. Es ist anzunehmen, dass die Musiker einer Pause zustreben, denn diese „Polka schnell“ verlangt nach einer Erfrischung. Mit Vehemenz heizen sie den Tanzenden ein und fordern die Tänzer heraus, die Partnerin herumzuwirbeln, sie ohne Schaden durch die stampfende Menge zu drehen. Nach der Herkunft gefragt, waren sich alle Volksmusikanten einig, dass es sich wohl um ein Musikstück handelt, das unter „Volksgut“ einzureihen wäre, also anonym – aus dem Volke entstanden. Nichts davon: Es ist eine gelungene Komposition, heißt „Gries-Polka“ und stammt von Josef Gries (Schneider Verlag).

„Jetz` miaß ma uns z`såmmreißn“, sagt die Geigerin. Vermutlich hat schon wieder jemand aus dem Publikum einen Liter aufgetischt. Es ist ein gewohntes Bild: Die fünf Musikanten etwas erhöht, um die Tanzenden ein Stück zu überragen. Dahinter aber stehen die Stühle für die anderen Instrumente und ungezählte leere, halbvolle, halbleere, volle Gläser und Flaschen. Das ist die Kulisse am Arbeitsplatz der Citoller Tanzgeiger. Gespielt wird der Weißwalzer (21) Überliefert durch die Kapelle Zwanzger, Stiwoll, veröffentlicht in „Musikantenstückln zum steirischen Geigentag“, Steirisches Volksliedwerk.

1,2,3,4 gibt Hubert das Zeichen zum Einsatz. Freilich widerspricht dies den Gesetzen der Musiktheorie (richtig: 1,2,1,2,), doch schon stellen sich die Tanzenden auf den Rhythmus ein und schieben durch den Saal. Der Rokitanskymarsch (22) ist dran!

Da Rokitansky, da Rokitansky,
dås is da wåhre Bauernfreund hulio,
da Rokitansky, da Rokitansky,
dås is a Freund, der`s ehrlich meint.

…singen die Musiker und berufen sich wieder auf die Kapelle Zwanzger, die diesen Marsch überliefert hat. Kaum jemand weiß noch, wer besungen wird und trotzdem verblieb der Marsch bis in die Gegenwart im Repertoire der weststeirischen Musikanten. Der Marsch trägt den Namen des Publizisten und Politikers Karl Friedrich Freiherr von Rokitansky (1866-1942), der sich mit seinem vor der Jahrhundertwende gegründeten Christlichen Bauernbund in seinen Ideen rückhaltlos für die Interessen der Bauern einsetzte und so unter diesen als „echter Bauernfreund“ bezeichnet, zahlreiche Anhänger hatte. Noch heute wird der Marsch des Textes wegen gespielt, wobei Rokitanskys spätere Hinwendung an die deutsch-nationale Partei und zu Georg Ritter von Schönerers Ideen seine Gegner animierte, den Text auf „Jå rotzig san sie….“ zu ändern. Komponist: J.Wagnes, geb. 1891 in Voitsberg, widmete sich als Violoncellist eher der Kammermusik als der Marschmusik, und so könnte möglicherweise bei verschriebenem Vornamen des Komponisten es sich um den Militärkapellmeister Eduard Wagnes (1863-1936) als Urheber dieses Marsches op. 48 handeln. Der Tubist, Ewald Rechberger verhilft dem Stück zu dem Klangtypus eines Militärmarsches, indem er sein Solo exzellent hinüberbringt. „Bravo Musi“, tönt es aus dem Publikum, das zu fortgeschrittener Stunde froh war, wieder einmal einen „Schiaba“ (gemütlich schiebende Tanzschritte) hat machen dürfen…

Inzwischen schwappt der Gasthauslärm über. Distanzen werden nach so vielen Stunden überwunden, aus höflichen Gesprächen wird köstliche Unterhaltung, die Musik ist nun wieder Beiwerk, denn sie hat ihre Aufgabe als gesellschaftliches Gleitmittel bereits erfüllt. Die Citoller stimmen den Gebirgskinderwalzer (23) an. Es handelt sich offensichtlich um einen besonderen Melodietypus. Er ist der Gesellschaftsmusik der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nachempfunden und endet mit einer ausladenden Coda. Solche Melodien geben dem Abend, an dem noch nicht alle Genüsse ausgekostet wurden, eine besondere Note.

Geht’s Ihnen auch so, dass sie es nicht gar so schätzen, wenn mit gezinkten Karten gespielt wird. Ich meine, wenn Gefühle und Bilder von der einen in die andere Welt verschaukelt werden, um uns etwas hier zu bieten, was nur dort zu haben ist? Noch besser: Wenn die Sterzpfann von der Alm plötzlich im Spiegelsaal des „Hotel zum Erzherzog“ aufgepflanzt wird. Als ob wir auf die Almluft, auf den Sepp und das Panorama verzichten könnten, beim Sterzessen. Da meinen auch die Citoller, dass es keinen Ersatz gibt für das Dabeisein, auch wenn der Tabakrauch am nächsten Tag im Anzug hängt. Das wahre Leben verlangt nach einer Portion Ausdauer und Durchhaltevermögen, es hält genug Überraschungen bereit und eignet sich nicht für die Wiederholung. Die Citoller Tanzgeiger sprechen in diesem Zusammenhang gerne vom Reiz der Unwiederbringlichkeit. Die folgende Sequenz wurde absichtlich an den Schluss dieser Produktion gestellt, speziell für jene, die noch nie bis zum bitteren Ende ausgehalten haben. Da erklingt schon A Zitha und a Geign und a Ziachharmonie (24) – eine Polka schnell, die den Streichern eine rasende Bogenführung abverlangt. Das aufreizende Tempo veranlasst das Publikum zum Mitklatschen und Mittanzen. Selbst der Text:

A Zitha und a Geign und a Ziachharmonie, Ziachharmonie, Ziachharmonie
A Zitha und a Geign und a Ziachharmonie, Ziachharmonie und a Båß !

– eine dem Reim entsprechende Aufzählung des Instrumentariums, lässt die Gäste mit Enthusiasmus mitsingen, alsob es sich um ein Bekenntnis zu einem unerreichbaren Lebensstil handeln würde. Impulsivität ist hier gefragt und die Citoller haben ihr Publikum für diese Minuten fest in der Hand, die Tanzpaare schnaufen durch die enge Gasse. Im Buch „Die Kern Buam, eine steirische Legende“, Hermann Schneider Musikverlag, 1998 finden wir den Textteil „A Zither, a Geign ……“ als Teil eines ebenso benannten Walzers. Als Polka – wie hier zu hören – gehört er auch zur handschriftlichen Tanzmusik – Notensammlung des weststeirischen Musikanten Ferdinand Zwanzger. (Steirisches Volksliedarchiv, Mappe 456/17).

Nicht locker lassen und eins d`raufgeben – das ist das Geheimnis guter Unterhalter. Sie wissen genau, wann Lustigkeit erschöpft ist, wann die Energie der Tanzwütigen den Gipfel erreicht. Sie dort zu halten, zwischen Aufgeben und Weitermachen, den Siedepunkt auszukosten, das ist musikantische Präzision. Kein Funke Unkontrolliertheit ist ihnen anzumerken und nun hängen sie noch ein Stück an, nämlich Hålt`s enk z`såmm, es dauert nimma lång (25). Ja, auch auf der Hochschaubahn geht es immer noch in eine letzte Runde. Durchatmen und aufatmen liegen nebeneinander. Was die Musikanten mit dem Wumperl meinen, bleibt hier unausgesprochen. Selbst die deutlichsten Andeutungen sind im Zuge solcher orgastischer Ereignisse verwischt und erträglich.

Die stampfenden Füße setzen in diesem Augenblick einige Schritte in den musikleeren Raum, denn das Stück hat ein jähes Ende gefunden. „Zwickt“ nennen die Musiker diesen Interruptus. Wer da aber gemeint hat, er kann sich just in diesem Augenblick an den Tanzpartner hängen, um die Atemlosigkeit gemeinsam auszuschnaufen, wird schon wieder mitgerissen. Mit `n Kopf z`åmm, mit `n Årsch z`såmm……(26) verhilft den Tanzenden zu einem Maß an Intimität, das gerade noch in den erlaubten Bereich fällt. Die Musikanten kennen diesen Tanz einerseits aus dem Ennstal und dem Ausseerland, andererseits haben sie eine ganz besondere Version auf Schellack gehört und zwar eine Aufnahme um 1908 von der Bürgerkapelle Bad Ischl (ODEON V01631). Eine ganze Flasche Weißwein ergießt sich von einem gerade angerempelten Tisch, und das kostbare Nass findet seinen Weg unter die tanzenden Füße. Die Musikanten weichen zurück um dem Sprudel zu entkommen. Der Wagner Heinz steht an der Theke und weiß um den Wert solcher Ausgelassenheit, die Anniwirtin juchzt dazu und nimmt gleichzeitig eine Bestellung auf: „ Einmal G`söchts mit Kren, zwei Schüchamischungen, bitte sehr“. Zuguterletzt lassen die Musikanten die Gäste mitten im „Kopf z`samm“ hängen, einige singen weiter, im Stich gelassen und heilfroh, die Strapaze hinter sich zu haben.

Extase ist aber als solche nur erlebbar, wenn es dazu auch ein Gegenstück gibt, einen Ruhepol. Wenn die Citoller Tanzgeiger dann den Erzherzog Johann Jodler (27) anstimmen, hat das schon mit dem Hang zum Sentimentalen zu tun. Warum auch nicht, meinen die Musikanten, es geht ja um das Spannungsfeld zwischen Besinnlichkeit und Besinnungslosigkeit, den verschiedenen Sinnlichkeiten, nämlich der impulsiven und der gemütsvollen. Diese Fassung des „Prinz Johann Liedes“ dürfte auf eine alte Melodie aus der Gegend um Schärding in OÖ zurückgehen. Der Landvermesser und Textautor Anton Schosser hat sie dort gehört und im Jahre 1830 mit dem Liedtext „Wo i geh und steh, tuat mir`s Herz so weh…..“ versehen. In der Folge entstanden eine ganze Reihe von Varianten zu diesem Lied – unter anderem auch das bekannte „ Erzherzog Johann Lied“. Siehe Helmut Brenner, Gehundsteh Herzsoweh, Mürzzuschlag 1996.

Irgendwann aber sind die Geigen verklungen und während die Gage kassiert wird, beginnt das Abschiednehmen. Hermann hat sich noch eine Virginia angeraucht, was eindeutig darauf hinweist, dass noch keine Eile angesagt ist. Jetzt erst haben sie alle Zeit, sich zu den verbliebenen letzten Gästen zu setzen, den Morgenkaffe in aller Ruhe zu genießen.

Als ich mit meiner Frau auf die nasskalte Straße trete, beginnen die Musikanten gerade, ihre Instrumente in ein Fahrzeug zu verfrachten. Es wird schon bald hell und sie reden vom nächsten Tag – meinen aber natürlich den heutigen. Wann sie sich wo treffen und wer wen wann abholt. Da geht es im Gespräch auch um manch` andere Hindernisse und um Sorgen, weil jeder und jede von ihnen auch Familie haben, einem Beruf nachgehen und die musikantische Ader mit dem übrigen Lebenslauf koordiniert werden muss. Da lob` ich mir mein Publikumdasein, meine Rolle als Genießer, der sich der Stimmung hingeben kann und nicht immer bis zum bitteren Ende ausharren muss.

Bevor aber die letzte Autotür geschlossen wird, rutscht ein Damenhut vom Gepäck auf die verschmutzte Straße. Mehr und mehr Abstand gewinnend, hören wir doch die kleine Auseinandersetzung mit, die sich nun um den verschmutzten Hut entspinnt. „Sie sind so normal“ meint meine Frau…

Schlussbetrachtet…

Wer die Tonbeispiele zusammen mit dem begleiteten Text genossen hat, wird die Botschaft der fünf Musikantinnen und Musikanten sehrwohl verstehen. Die Citoller Tanzgeiger möchten mithelfen, Musik wieder mehr als eine vom Menschen gemachte, dem Augenblick verschriebene Kunst zu verstehen. Sie selbst haben ihre musikalische Tätigkeit nie als Karriere, sondern stets als einen Teil ihres Lebens gesehen.

Mit ihrem Vorhaben, sich ohne Behübschung mitzuteilen, sind sie ein Wagnis eingegangen, nämlich jenes, nicht verstanden zu werden. Einer retuschierten und geschnipselten Lösung aber, einem zur Schau stellen der möglichen Perfektion wollten sie nichts abgewinnen. Den Citollern zu begegnen heißt nach wie vor, am Werden von Musik – die für jeden Augenblick wieder neu gemacht wird – teilzuhaben. Es ist also pure Absicht, wenn aus dieser Mischung aus Tönen, Gigsern, Zurufen und Nebengeräuschen so etwas wie Neugierde nach dem Original entsteht.


Ausführlicher Beitext zur CD der Citoller Tanzgeiger “ Am Tanzboden belauscht“, Zitoll 2000. Die fett gesetzten Musiktitel mit Nummerierung (01 – 27) entsprechen den CD-Tracks. Ursprünglich unter einem Pseudonym veröffentlicht. Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.