Tradition und Zeitgeist

Zeitgemäße Volkskulturarbeit am Beispiel Volkslied und Volksmusik. Was ist zeitgemäß?

Diese Frage verleitet natürlich dazu, ein Grundsatzreferat über Sein oder Nichtsein abzuhalten, diese, unsere Zeit in Frage zu stellen, Vergleiche zwischen gestern heute und morgen anzustellen. Kurzum: Letztlich haben Sie nichts davon, weil sie keine Lösung für den Kopf sondern für die Praxis suchen.

Nicht für den Kopf, sondern für die Praxis

Trotzdem sei mir gestattet, Sie gedanklich daran zu erinnern, dass wir zu jeder Zeit das Gestern und das Morgen in unserem Geiste mittragen. Ich ermahne damit, nicht immer für das Jetzt zu denken und zu handeln und auch nicht immer für die Zukunft zu entscheiden. Das wäre doch etwas überheblich. Und das Gestern? Das wirft man Brauchtums- und Volkstumspflegern ja immer vor: Dass Sie im Gestern leben. Freilich – das stimmt ja auch und ich komme darauf gleich zurück. Vielleicht stellen Sie in der anschließenden Diskussion dazu die Frage:

Wem nützt Überlieferung?

Zuerst aber ein gewichtiges Zitat: Anlässlich einer ähnlichen Tagung wie es die Ihre ist, hörte ich massive Vorwürfe weil, so kam es heraus – sich die gegenwärtige Volksmusikpflege zu sehr mit der Vergangenheit beschäftige. Die Kritik kam nicht von außen, also von jenen Menschen, denen wir gerne eine Verwurzelung im Volkstanz oder Volkslied absprechen, sondern – das ist auch nicht überraschend – von den eigenen Leuten. Etwa so: Wir sind ja selbst schuld an unserem Aussenseitertum, an der fehlenden Reflexion in den Medien und bei den Politikern, wir reden ja immer nur von Gestern, tanzen nur von Gestern. Also: der Ruf nach Innovation verbunden mit dem Unheilvollen „Überbordwerfen“ des Bewährten. Der anwesende Publizist Dr. Günther Nenning lehnte sich zurück und meinte simpel:

Zitat: (sinngemäß) „Was regt Ihr Euch. Schaut her: Die einzige Zeit die es gibt, ist die Vergangenheit. Die Gegenwart ist ja gerade in diesem Augenblick vorbei und die Zukunft ist noch nicht. Ist es ein Wunder, dass wir mehr mit der Vergangenheit leben – die haben wir ja schon erlebt.“

Von der Akzeptanz neuer Formen

Wie alle Pointen des Günther Nenning, lässt sich auch diese in Frage stellen, doch sollten wir diese simple Erklärung einfach einmal annehmen und uns dazu bekennen. Was wir leider nie ins Kalkül ziehen ist die Tatsache, dass nicht das Alte in der alten Zeit und das Alte in der neuen Zeit zu besprechen ist, ohne auf die geänderten Lebensumstände einzugehen. Hier das Lied von der guten alten Zeit anzustimmen ist nicht sinnvoll. Die Akzeptanz neuer Formen der Lebensgestaltung und der kritische und sinnvolle Umgang damit sind angesagt. Wir lieben den Fortschritt und haben selbst zu entscheiden, inwieweit wir andere, uns wichtige Werte opfern.

Ein weiteres Wort aus dem Titel dieses Referats: Tradition. Wie steht es heute um die Tradition? Bitte lassen Sie mich hier mehr von Musik als vom Tanz sprechen, Musik als der elementarste Ausdruck und beziehen sie das Gesagte auch auf Volkstanzpflege, Trachtenpflege etc.

Die Degradierung zur Geräuschkulisse

Während wir Musik als die höchste der Künste preisen, haben wir sie leider nach und nach zur Geräuschkulisse degradiert. Sie ist verkommen zur Dauer – Untermalung des Frühstücks, zum Begleiter im Auto, im Restaurant und verfolgt uns sogar bis aufs „Häusl“. Von der virtuosen Interpretation der alten Meister bis hin zum elektronisch gefertigten Kaufhaus-Hintergrundgeräusch – wir sagen zu allem Musik.

So scheint es, dass die Liebe zu Volksliedern ein aussichtsloses Unterfangen, ein krampfhaftes Festhalten an alten Traditionen ist, während Hochkunst und innovative Aktionen samt Weltmusikkonsummarkt eine allgemeine Akzeptanz in Diskussion, Medium und auch im Kulturbudget haben. Und die Akzeptanz der Volksmusik? Volkslieder bedürfen nicht des ausfinanzierten Kultursommers, der subventionierten Kulturprogramme, dafür aber einer allgemeinen Wertschätzung, einer Be- und Gesinnung. Diese Tiefe entsteht weder durch Bildungskonzepte noch durch Scheuklappen, sondern wächst mit dem Bild, das so nach und nach von dieser Welt und vom Leben in uns entsteht. Volkskultur ist immer ein Zusammenschnitt zwischen dem spielerischen musischen Umgang und den Notwendigkeiten die das Leben vorgibt.

Die Freude an der Untergangsstimmung

Das endgültige „Aus“ der Volkslieder sagen wir aber schon über ein Jahrhundert voraus. So alt sind die ersten Klagen über den Niedergang des Volksgesanges, über das Aussterben des Volksliedes – was immer man darunter verstehen mag.

Was sind eigentlich Volkslieder?

Es ist müßig, immer wieder nach Definitionen zu suchen, weil dies gerade in der Volksliedsache zu Trennungen geführt hat, die das Verbindende überschattet haben. Freilich hat die Wissenschaft ihre Definition und freilich haben die Musikpädagogen ihre eigene Vorstellung von gutem und schlechtem Liedgut. Letztlich zählt aber, ob wir selbst von Melodien ergriffen sind, wie sehr wir Musik mit vorangegangenen Ereignissen in Verbindung bringen, wie sehr sich Melodie und Text in der eigenen Befindlichkeit wiederfinden. Es gibt eben kein gut gesungenes Schubertlied, ohne dass die Sehnsüchte und die Emotionen im Text auch im Interpreten wach werden, ohne dass sich der Interpret im wahrsten Sinne des Wortes der Worte annimmt. So gibt es auch kein „Hoch auf dem gelben Wagen“, ohne dass mir jenes Bild von Freiheit und Unbeschwertheit vorschwebt, das ich einst im jugendlichen Fahrtendrang erlebt habe.

Traditionspflege: Ein lebensverlängerndes Faktum.

Es ist also heute nicht notwendig, zwischen dem echten Volkslied, dem volkstümlichen Lied, und dem volkstümlichen Schlager zu unterscheiden. Jeder Mensch müsste selbst dafür Sorge tragen, dass er viele Melodienbegleiter im Leben hat, dass ihm Melodien von gestern das scheinbar Vergängliche musikalisch-poetisch wiederbringen. Besonders wichtig dabei: Beharrlichkeit und Entschleunigung – wie man neuerdings dazu sagt – sind bei Gott keine Schande. Unsere von Kurzlebigkeit gezeichnete Welt leidet heute an der Enge der Lebensspanne. Traditionspflege ist längst ein lebensverlängerndes Faktum. Das Bewusstsein, etwas vom Großvater mitbekommen zu haben und die Befriedigung, am Ende des Lebens Bewährtes an die übernächste Generation weitergegeben zu haben, lässt uns nicht nur eine größere Lebensspanne erleben und erdenken, sondern macht uns zu Verantwortungsträgern der Menschheitsgeschichte.

Die eigene, kulturelle Verantwortung

Ich habe mich seit vielen Jahren mit Repertoireforschung auseinandergesetzt, vor allem aber mit der Frage, warum und welche Lieder in den Menschen eine so bedeutende Rolle einnehmen. Die Liederkenntnis ganz einfacher Menschen hat mich immer sehr beeindruckt. Die Liedkenntnis z. B. einer 1913 geborenen Frau reicht von der „Internationalen“ (Vater war ein Sozialdemokrat) über die Schlager der 30er Jahre, (die Brüder waren Musiker) die Lieder aus der nationalen Jugendbewegung bis zum Chorrepertoire eines Volksliedkreises und den Kirchenliedern. Ich kenne keinen einzigen Fall, wo Menschen ausschließlich sogenannte „echte Volkslieder“ im Kopf hatten. Immer war auch ausschlaggebend, welchen Beruf sie ausgeübt haben, welcher Gesellschaftsschichte sie angehörten und ob sie z.B. intensive Radiohörer waren. So ist etwa das Lied „Drei weiße Birken in meiner Heimat stehen“ zum Sinnbild für Heimatliebe geworden. Es ist nicht nur das Lied vieler Heimatvertriebenen, sondern auch vieler Bauerntöchter, die vom Heimathof auf einen anderen Hof, vielleicht sogar in eine andere Landschaft ziehen mussten. Lieder sind eben ein Teil unseres Innenlebens, sind mit den Bildern für die sie stehen verwoben und sollten aus diesen Bezügen auch nicht herausgeschält werden. Mein Appell: Die Entscheidung zwischen Zuneigung oder Abneigung zu einem Lied muss man selber zu treffen! Dies hat nun mit „Abgleiten in die Beliebigkeit“ nichts, aber doch mit einer Portion Eigenverantwortung zu tun. Singen hat eben mehr mit dem Gefühlshaushalt zu tun, als mit Musik selbst.

Damit wäre aber auch zugleich klargestellt, dass Singen, Tanzen und Musizieren nicht im Wettbewerb gemessen werden können. Da gibt es Höhen und Tiefen, ganz persönliche Eindrücke, politische Gegebenheiten die Lieder und Musik gestalten und verändern können. Die Fertigung für die Aufführung unterliegt übrigens auch anderen Gesetzen und Strategien als die Aneignung für das Leben. Das schnelle Umziehen nach dem Pflichttanz zeigt von einer mangelnden Tiefe des eben Stattgefundenen.

Sind wir eine Minderheit, sind wir Eigenbrötler?

Nach vielen Jahren der Beschäftigung mit diesem Thema kann ich durchaus von einem vielfältigem Klangbild und Brauchverhalten sprechen, das sich uns jetzt, am Ende dieses Jahrhunderts bietet. In Geselligkeit und bei brauchtümlichen Anlässen wird gerne gesungen. Diese Ereignisse sind aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sie stehen nicht im Schaufenster und deshalb meinen viele, dass es ein solches Singen nicht gäbe. Andererseits gibt es auch so etwas wie eine schamvolle Singenthaltsamkeit. Die Gründe liegen in der zunehmenden Verfügbarkeit von Musik über Knopfdruck und im mangelnden Zutrauen, selbst Musik zu produzieren. Im Musikland Österreich wird unter Musik immer gleich die Höchstleistung verstanden und dem Weg zur Musik keine Beachtung geschenkt. Gerade aber der musikalische Versuch, die instinktmäßige Verwendung von Musik birgt eine besondere Form von Lebensqualität. Im weitesten Sinne ist das Singen eine Form von Leibesübung. Beim Singen muss der ganze Mensch dahinterstehen, er muss sich mit Text und Melodie anreichern, um schließlich selbst erklingen zu können. Eine Aufgabe für Körper, Geist und Seele. Dass es in Ihren Augen nur wenige sind, tut nichts zur Sache. Tradition kommt von Tragen, und es haben nie alle dabei mitgeholfen.

Das waren nun schon viele Worte zum Phänomen Vergangenheit, zum Umgang mit Tradition, zu meinen Erfahrungen mit Volkslied und Volksmusik. Sie sind vielleicht dazu angetan, unsere Liebe zur Überlieferung und unsere Rolle innerhalb der Generationen in ein besseres Licht zu stellt.

Hängt das alles mit Politik zusammen?

Fazit: Wir sind Träger oder Überträger (auch von Krankheiten und Unsitten) und von Traditionen, und wir haben ob Kindesalter, Jugendalter, Mittelalter oder Alter jeweils andere Einstellungen zu unserem Leben, zu Brauchtum – es verändert sich die Wertigkeit. Der Stellenwert von Tradition hängt nicht von der Politik oder Einschaltziffern und Sendezeiten ab, er hängt von uns ab, vom Elternhaus, vom Umfeld. Freilich, können Politik und Medien auch ein Schäuferl nachlegen. Bitte bedenken Sie aber, Politik und Medien sind von Natur aus zukunftsorientiert. Selbst wenn der Herr Abgeordnete Finanzen für das Landesarchiv freigibt, so denkt er – überspitzt formuliert – an seine Zukunft, er will wieder gewählt werden. Selbst wenn Medien sich dem alten Brauchtum annehmen, geht es um Verkaufszahlen und Einschaltziffern. Das ist auch der Grund dafür, warum die Dinge dann so komisch präsentiert werden.

Bitte verwechseln sie die Dinge nicht. Hier die Einrichtungen die für die Zukunft und marktorientiert konzipiert sind und hier das Leben selbst, das ohne die Erfahrung und Kenntnis der Vergangenheit nichts wert wäre. In seltenen Fällen wird das Leben selbst zum Impulsgeber für Politik und Medien – eben nur in seltenen Fällen. Darauf verlassen sollten wir uns nicht. Was Ihre und meine Arbeit betrifft so möchte ich nun etwas ins Detail gehen, dazu aber einige Sätze zur

Geschichte der Volksmusik- und Volkstanzpflege

Die Geschichte der Volksmusik- und Volkstanzpflege in Österreich ist gekennzeichnet von der Geschichte dieses Landes und damit soll auch eingestanden werden, dass Volkskultur auch politisch instrumentiert wurde. Wenn ich darauf näher eingehen soll, dann zieht sich die Vereinnahmung bis in unsere Tage. Auch im Ostblock spielt die nationale Folklore eine große Rolle bei der Präsentation des Staates.

Zur Geschichte der Volksmusikpflege gibt es umfangreiche Abhandlungen, Streitgespräche in den Fachzeitschriften und deshalb ist es nicht zielführend, hier ausführlicher zu werden. Das wäre eine Thema für ein eigens Referat. Außerdem werde ich in einem späteren Punkt sehr wohl darauf eingehen, was der zeitgemäßen Pflege – wie Sie es nennen – widerspricht, und welche Dinge man besser unterlassen soll.

Formulieren Sie neue Begriffe, wenn die alten nicht mehr greifen

Das Wort Volksmusik (ebenso Volkstanz) ist also bei uns vielseitig besetzt (Medien, Geschichte, Markt, Wissenschaft) und zwar mit Bildern, die es uns einigermaßen schwer machen, unsere Absicht zu transportieren. Deshalb machen wir in der Steiermark zum alten Begriff Volksmusik neue Bilder. Es haben sich die Rahmenbedingungen geändert und wir stecken neue Bilder in den Rahmen. Schauen Sie sich unsere Publikationen an, sie sind dem Heute verschrieben. Wo ist dann das Alte, das wir pflegen wollten? Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Halten Sie nicht fest an gestrigen Symbolen und Worten, selbst Begriffe können Sie verabschieden. Formulieren Sie neu und bebildern Sie mit Menschen von Heute. Meine und Ihre Absichten sind aktueller als Sie glauben und es ist zu schade, diese Inhalte – für heutige Menschen – verschlüsselt darzustellen.

Dieser Layout-Ansatz in der Volkskulturpflege und mit ihm viele unserer Initiativen sind inzwischen langjährig erprobt und erfolgreich. Wir haben in all diesen Jahren nie vom echten Volkslied gesprochen, nie Vorschriften ausgegeben, dafür aber viele Möglichkeiten angeboten, Klima geschaffen und ermuntert. Das ist Schwerarbeit, weit weg vom hübschen Volksmusikabend.

Und nun müssen Sie Maßnahmen ergreifen

Das sind nun viele Worte, die wahrscheinlich zur Diskussion anregen, einiger Überlegungen bedürfen, die letztlich aber in Maßnahmen übergehen müssten, um eine Wirkung zu erfahren. Lassen Sie mich in Stichworten einen Appell an Sie richten:

° Trennen Sie nicht Volkskulturarbeit von Kulturarbeit, Sie sind Kulturarbeiter

° Vergleichen Sie nicht immer Ihr kulturelles Engagement mit gesponserten Kulturprogrammen

° Haben Sie bitte auch keinen Neid, wenn diese Sparten mehr gefördert werden, wenn sie mehr in der Öffentlichkeit stehen und mehr in den Medien vorkommen.

°Ihre Arbeit ist sozusagen eine Humuspflege und es kann nicht darum gehen, lebenslang sich drehende Volkstänzer heranzubilden.

° Es muss Ihnen darum gehen, dass der Umgang mit unseren Traditionen, dass die Tanzschritte die Freude an der Bewegung manchmal auch nur ein einmaliges Erlebnis bleiben.

°Denken Sie bitte mehr an den Augenblick und lassen Sie alle Bestrebungen beiseite, Ihren Volkstanz ins nächste Jahrtausend transportieren zu müssen. Das wird er sowieso und zwar je mehr Sie Volkslied, Volkstanz, Volksmusik und Ihre Tracht zu einem selbstverständlichen Bestandteil Ihres Tuns machen.

° Verbinden Sie Ihr Anliegen mit den Grundbedürfnissen der Menschen nach Geselligkeit, nach Verwurzelung – und glauben Sie mir – die Sehnsucht nach Verwurzelung ist größer als wir alle annehmen.

° Erfinden Sie deshalb nicht neue Feste und Geselligkeits- – Gelegenheiten, sondern knüpfen sie vor allem an überlieferte Termine und Gegebenheiten an. Es steht nichts gegen die Kreation neuer Tanzgelegenheiten, es ist nur eine Empfehlung, weil es einfach günstig ist, sich örtlichen Gepflogenheiten anzupassen, Ihre Absichten sind dann schneller umzusetzen.

° Machen Sie sich zum Grundprinzip, dass Ihre Initiativen für Jung und Alt zugänglich sind. Zu sehr wurde die Trennung zwischen den Generationen forciert (Jugendraum, Altersheim, Kinderraum etc.). Überlieferung lebt jedoch vom Zuhören, Abschauen, vom frühen Dabeisein und von der Tatsache, dass die überlieferten Schritte, Symbole, Lieder, Brauchhandlungen etc. einem Prozess in der gesamten Lebensspanne unterworfen sind.

° Ein weiteres Prinzip: Trennen Sie niemals Anfänger von den Fortgeschrittenen. Ich weiß schon, dass dies didaktisch andere Anforderungen mit sich bringt, aber ich weiß auch, dass gerade in der Frage der Überlieferung von Traditionellem den unbedarften Anfängern eine wichtige, reinigende und besinnende Funktion zukommt.

° Dass Sie keine Kreise schließen sollen, sondern öffnen, wissen Sie sicherlich. Wer will nicht darüber hinaus wirken und wer möchte nicht mehr Leute für seine Sache begeistern? Die Gründe für das Insider-Verhalten sind vielfältig. Zwei Punkte zu diesem Thema möchte ich noch anführen:

1.Die Veröffentlichung, die Vorführsituation. Volkstanz, Volksmusik – beide sind plakativ und klangvoll und deshalb eignen sich diese Phänomene besonders für die Präsentation. Immer wieder glauben die Pfleger, dass die Veröffentlichung ihres Tuns wichtig ist, sie suchen nach Bestätigung. Innerhalb der Gruppe erweist sich dies nicht immer als vorteilhaft, es entstehen Spannungen, weil es nicht allen Menschen gleichermaßen gegeben ist, aus der Anonymität herauszutreten. Viel schwerwiegender ist es aber, dass damit eine Perfektion vorgegeben wird, die es schließlich verhindert, dass neue Interessenten von außen den Weg zur Gruppe finden. Sie haben da sicher auch schon Erfahrungen gemacht. Die Freude an einer Tanzgelegenheit und die Mitwirkung in einer Tanzgruppe – das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Als Tanzpfleger sollten wir viel mehr auf die erstgenannte Tanzsituation eingehen – die Mehrheit der Tanzinteressierten steht auf dieser Seite. Das hat auch damit zu tun, dass das Leben und das Zusammenleben im eigenen Umfeld einen größeren Stellenwert einnimmt, als die „Freizeitsache“ Volkstanz. Richtig so!

2.Volkskultur – Reisen. Ich halte den weltweiten Einsatz von Volkstanz und Volksmusikgruppen durchaus für eine interessante Abwechslung für die Teilnehmer selbst und natürlich auch für die Friedensstiftung in der Welt. Bitte steinigen Sie mich nicht: Diese Reisetätigkeit und internationale Öffentlichkeit hat jedoch auch negative Auswirkungen auf unser Tun im eigenen Dorf und zwar dann, wenn wir glauben, dass unsere Kultur durch eine Teilnahme am Festival in New York gedient ist. Lassen Sie sich bitte nicht blenden, unternehmen Sie Ihre Reisen, aber bitte unter dem Titel „Urlaub“. Ich habe das Gefühl, dass unser alpenländisches Etikett „Tracht, Musik“ mit Vorliebe vorgeschoben wird, wenn es darum geht, international Frieden und Verständigung zu spielen. Ich kann mir vorstellen, dass 60 Rauchfangkehrer des Burgenlandes ebenso wirkungsvoll dieses Land vertreten.

Das bis jetzt Gesagte muss noch ergänzt werden:

• Nehmen Sie das, was Sie tun wichtig, als einen Teil des Lebens, der Festkultur, der Unterhaltung, der Freude an der Bewegung, aber auch der Freude am Erbe, das Sie weitergeben möchten. Aber vernachlässigen Sie bitte nicht andere Bereiche des Lebens: den Umgang mit Kindern, den Umgang mit den Verstorbenen ebenso das Ritual in der Nachbarschaft und Kunst und Kultur der Gegenwart.

• Ich möchte Ihnen sagen, dass Sie – und das hat die Volkskultur im Bewusstsein ein unheilvollen Vergangenheit immer bestritten – dass Sie politisch tätig sind. Ich möchte Ihnen sagen, dass das was Sie tun, zutiefst politische Haltung ist. Auf der einen Seite ein Bekenntnis zur Überlieferung zum musikalisch, tänzerischem Erbe, also wertkonservativ und auf der anderen Seite ein sozial-innovatives Verhalten. Ihr Bemühen, dem Menschen Halt und Heimat zu geben und zusammen mit einer nächsten Generation die Grundwerte dieser Lebenshaltung mit Respekt weiter zu tragen, dient nämlich der Verständigung zwischen den Menschen, der Liebe zum Burgenland. Das ist ein schöner Auftrag.

• Das ist auch der Grund, warum ich Sie auffordere, sich nicht einseitig für irgendwelche Tanzschritte und Trachtenformen zu engagieren, sondern in Ihrer Gemeinde Aufgaben zu übernehmen und immer mit den Leuten etwas zu machen und nicht nur für die Leute.

Meine Empfehlungen gehen aber weiter:

• Verschanzen Sie sich bitte nicht in Kulturhäuser und Turnsäle, pflanzen Sie Ihre Vorstellungen von Unterhaltung und Tanzfreude in jene Häuser, die bereits in der Bevölkerung beliebt sind. Ich weiß, wie sehr die Volkstänzer einen großen Tanzboden gutheißen. Ich meine aber, dass nur schlechte Volkstänzer einen großen Tanzboden brauchen. Schauen Sie sich in den Forschungsberichten um, wie unwichtig die Größe des betanzten Bodens einmal war. Selbst die gute Stube konnte herhalten, um eine lustige Tanzveranstaltung abzuhalten und schauen Sie bitte auch auf den Ambiente. Nicht das 3-Stern-Hotel gibt uns den Rahmen, aber ebenso auch nicht der Freizeitsaal mit seinen nackten Bänken und der Plastikbecher – Ausschank. Sehen Sie: Das ist das was ich meine, wenn ich sage, dass Sie Kulturarbeiter sind. Schaffen Sie die Möglichkeit, dass sich die Leute in einem Raum wohlfühlen, dass Sie auch gut versorgt werden und dass Gelegenheit für das Gespräch bleibt. Machen Sie bitte keine „Tanzhatz“, indem Sie achtzig Tänze herunterzuspulen. Musik und Tanz lebt eigentlich von der Pause, in der man Aufmerksamkeit tanken kann und die Vorfreude aufgebaut wird, in der aber auch viel Zwischenmenschliches passieren kann. Im Klartext: Schauen Sie, dass ER wegen IHR und SIE wegen IHM zum Tanz kommt. Das wäre immer noch die beste Lösung, bevor jemand wegen dem schönen Volkstanz kommt.

Der wichtigste Punkt zum Schluss:

• Scheuen Sie bitte kein Risiko! Wer es allen Recht macht, wird schließlich keinen Erfolg haben, Undank ernten, selbst keinen Spaß daran haben und diesen Unmut ausstrahlen. Achten Sie auf die vorher gesagten Grundprinzipien der „Veranstaltungskultur“. Sie werden sicher nicht die Zustimmung aller haben, aber letztlich werden die Teilnehmer einzelne Facetten Ihres Tuns und Ihrer Veranstaltung gutheißen und genießen. Das klingt vielleicht nach Oberflächlichkeit und Beliebigkeit, nach „alles zulassen“. Lassen wir es dabei:

Volkskultur ist ein Prozess und kein Produkt, das wir anfordern und einsetzen.

Das ist übrigens auch beruhigend. Mag sein, dass, wenn Sie den Blick in die einzelnen Familien Ihres Ortes werfen, vorerst glauben, Sie seien fehl am Platz, sie seinen eben der einzige einsame Volkstänzer. So unterschiedlich sind nämlich die Lebenshaltungen, auch die Wünsche die an das Leben gestellt werden, manche sind eben ganz bescheiden. Die heutige Erreichbarkeit aller schöner Dinge und des Unfugs gleichermaßen haben uns etwas überrollt und deshalb haben Sie, meine Damen und Herren in diesem Karussell den größten Auftrag zu erfüllen, nämlich immer wieder Überzeugungsarbeit zu leisten und das tun Sie am besten, wenn Sie Ihr Engagement entkrampfen, wenn Sie mit Ihrer ganzen Persönlichkeit dahinterstehen, den Ernst Ihres Tuns innerlich genau wissen, nach außen aber einen Hauch von spielerischer Leichtigkeit an den Tag legen.

Für diesen Beitrag wurden Zitate aus anderen Vorträgen entnommen z.B. Referat im Rahmen der Musiklehrerausbildung Salzburg, 1998; Unser Leben- unsere Lieder, Beitrag Jugendzeitung NÖ, 1998; Ländlicher Raum – Zukunftsraum, LFI, Graz, 1998.


Referat anlässlich der Tagung „Ein Leitbild für die Zukunft“ des Volkstanzverbandes Burgenland, Pöttsching, 2/1999; Sätze und Gegensätze, Band 10, Graz, 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.