Neue und alte Volksmusik

Lehnen Sie sich nicht zurück, denn dieser Vierzeiler verlangt Ihre ganze Aufmerksamkeit. Es ist nämlich weder von der guten alten Volksmusik-Zeit die Rede, noch von der happy Volksmusik der Gegenwart.

Wir sind eben keine Bildzeitung der Volksmusik – Szene und schon gar nicht das Organ für Brauchtum, denn diese oft totgesagte Klangwelt, dieses Leben in überlieferten Tönen, diese Buntheit und Lebendigkeit braucht keine Klatschspalte sondern nur Ihre Aufmerksamkeit und Zuwendung. Jawohl – es sind Ihre Töne und Anliegen und der „Vierzeiler“ ist bestenfalls der Anlass, die eigenen Angelegenheiten wieder einmal in einem anderen Licht zu sehen.

Bitte kein Echtevolksmusikgütesiegel

Es ist auch nicht unsere Aufgabe den Volksmusik – Etikettenschwindel zu bekämpfen und stattdessen Volksmusik – Gütesiegel zu fordern. Die geänderten Lebensverhältnisse von Volksmusik und deren Marktwert beschäftigen uns aber als Forscher und Sammler. Neben der Frage der Volkstümlichkeit und der sogenannten „Neuen Volksmusik“ interessiert uns – wie könnte es anders sein – ganz besonders die von vielen als „echt“ bezeichnete Volksmusik, ihr altes Leben in ununterbrochener Überlieferung, ihr neues Leben in jungen Ensembles, ihre andere, durch Musikausbildung geprägte Interpretation und die Spiegelung dieses neuen Volksmusik – Lebens im CD-Angebot.

Auf den ersten Blick mag es vielleicht aussehen, alsob unser Steirisches Volksliedwerk einen Ordnungsruf erteilt, die Rückkehr zum Original einmahnt und die Freiheit von Musikausübung in Frage stellt. Richtig ist, dass wir die Plattform für kritische Anmerkungen abgeben und mit dieser Ausgabe auch wieder einige Fragezeichen hinterlassen möchten. Das ist Absicht, denn es ist auch eine Form von Freiheit, wenn es möglich ist, sich selbst so manche Antwort zu geben.

Kritikunfähigkeit trifft man, wenn es um Volksmusik geht, meist gleichzeitig mit der Volksmusik-Untergangsstimmung an, als ob das Hinnehmen diverser Stilblüten eine Volksmusik-Lebensverlängerung bewirken könnte. In ihrem bewegten Lebensumfeld, das ja den wirkungsvollsten Reibebaum abgibt, brauchte und braucht Volksmusik keine öffentliche Begutachtung. Neue Bildungszugänge und die Konzert- und Produktionsebene von Volksmusik rufen aber geradezu nach einer verstärkten kritischen Auseinandersetzung. Die erfreulich junge Volksmusikszene hätte eine solche Aufmerksamkeit längst notwendig.

Viele Fragen um das große Thema

Die Autoren spannen einen großen Bogen über verschiedene Themen, die alle miteinander in Verbindung stehen, sei es nun das Verhältnis zwischen Kunst- und Volksmusik, die Hinterfragung der Qualität von selbstg`strickten Musikstückln, die Urheberrechtsfrage, die Kritik an der Präsentation von Volkskultur und ebenso Kritik an den Volksmusik – Tonträgern, deren mangelhafte Wiedergabe von Volksmusik bereits durch das Wort „Ton – Träger“ bestens verdeutlicht wird.

Genügen uns maschinengefertigte Tonfolgen?

Und wir erinnern natürlich daran, dass Volksmusik nur unsere klingende Sprache ist. In Anbetracht der akrobatischen Harmonikastückln und des Überhandnehmens von maschinengefertigten Tonfolgen steht die Frage im Raum, ob wir uns nichts mehr zu sagen haben und ob wir unter Volksmusik nicht schon einmal etwas anderes gemeint haben: Volksmusik als hörbare Befindlichkeit, als Ausdruck von Lebensgefühl, als Möglichkeit der Übung des Zusammenspiels der Generationen, als Ventil für Wehmut und Sehnsucht und vor allem als Begleitung von Freude und Trauer.

Unsere Leserinnen und Lesern aber mögen unser Werk mit Freude verschlingen. Vielleicht sollten Sie sich nun doch zurücklehnen.


Der Vierzeiler, Leitartikel zum Titelbild und Thema, Jahrgang 18, 3/ 1998; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.