Die spielen wie gesungen….

Einige Anmerkungen zum Begriff  Weisenblasen

Im Blasmusikwesen ist auch vom „Spiel in kleinen Gruppen“ die Rede und das Weisenblasen ist ein solches Spiel in kleiner oder auch kleinster Besetzung. Mit dem „Spiel in kleinen Gruppen“ ist aber nicht zuallererst und ausschließlich Volksmusik gemeint. Es geht vor allem um eigens arrangierte Sätze unterschiedlicher Musikstile in kleiner Blasbesetzung und um ein Repertoire, welches den Ritualen des Kirchenjahres und des Lebenslaufes gerecht wird. Mitunter wird auch aus organisatorischen Gründen und im Bezug auf die knappe Verfügbarkeit von Musikern gerne auf diese kleine Besetzung zurückgegriffen.

Das Treffen der Weisenbläser

In den letzten Jahrzehnten ist das Weisenblasen überaus beliebt geworden, weil es – die Abwechslung bei Veranstaltungen fördernd – eingesetzt wird. Übrigens auch in Rundfunk- und Fernsehsendungen. Es ist ein brauchbares Gestaltungselement in der Abfolge zwischen Chor- Blasmusik- Stubenmusik- Jodel- und Mundartdarbietungen.

In älteren Liederbüchern und in handschriftlichen Aufzeichnungen ist bei der Quellenangabe meist von „Wort und Weise“ die Rede, also von Text und Liedmelodie. Dies alles sei zur Begrifflichkeit erwähnt und so wird sie auch im Kreise der Volksmusiker und der Freunde dieser Musik verstanden. Die Abhaltung von „Weisenbläser-Treffen“ etwa in Tirol, Salzburg und in der Steiermark ist eine relativ neue Erscheinung. Die Initiatoren sind oftmals selber Musiker oder auch musikbegeisterte Wirtsleute und natürlich werden solche Veranstaltungen auch zu begehrten touristischen Attraktionen.

Älter also – ab dem beginnenden 20. Jahrhunderts belegbar – ist das Weisenblasen als brauchtümliche Handlung etwa im Zusammenhang mit Haltermessen, Almfesten und Hochzeiten. Manche Hochzeitsmusiker beschließen auch heute noch den Hochzeitstanz mit ein paar ländlerischen Weisen – zu Ehren des Brautpaares.

Meist ist deren Heimat der örtliche Blasmusikverein

Die einzelnen Weisenbläser-Gruppen, deren Mitspielerinnen und Mitspieler oftmals stark wechseln, haben ihre Heimat meist in der örtlichen Blasmusik. Es handelt sich also auch um ein Heraustreten aus einer größeren Formation, welches ein Mehr an Gestaltungskraft und Präzision zulässt und abverlangt.

Wenn frei – ohne Noten – gespielt wird, kommt dies auch einem Ausbrechen aus dem Korsett der streng vorgegebenen Notation gleich. Dazu sei hier angemerkt: Gute Weisenbläser bringen ihre Lieder so dar, als ob sie gesungen würden. Damit ist eigentlich auch deren Ursprung erklärt. Für Menschen, die in einem musikalischen Umfeld, also mit Musik als Lebensmittel aufwachsen, ist die eigene Stimme das Erstinstrument und sie setzen ihre solchermaßen gewonnene Melodiekenntnis natürlich auch instrumental ein. Das Lied „In die Berg bin i gern“ können sie singen, spielen die Melodie aber auch auf ihrer Klarinette, ihrem Flügelhorn. Sie sind an keine Vorlage gebunden, spielen die Melodie mit gesanglichem Gemüt und der ihnen geläufige Text hilft ihnen dabei, die feinen Nuancen zu verwirklichen, die nicht in den Notenblättern stehen können. Notenwerte und Taktstriche sind dabei nicht förderlich und es ist ein gutes Zeichen, wenn das Publikum gleich einmal mitsingt und wenn dann auch keine Strophe ausgelassen wird. Es geht um eine Verinnerlichung des Inhaltes und um die Unterordnung des Instrumentalen vor dem Vokalen. Im Vordergrund stehen die gesangliche Praxis und deren Tiefenwirkung. Es geht hier um eine Sensibilität, die auch in die Liedauswahl eingreift. Solche Bläserinnen und Bläser würden die Weise „Schau schau wia `s regnan tuat“ niemals bei schönem Wetter erklingen lassen.

Die Ehrenrettung für die Bratler

Am Schönsten sind die Vortragsstücke, wenn sie also ohne Noten gespielt werden und die Musiker aus der Kenntnis der Funktion heraus die Stimmen „dazulegen“. Die Vortragsweise ähnelt dann einem freien – also einem nicht im Metrum verlaufenden – Singen. Trotzdem sollte aus dem Auswendigspielen kein Muss gemacht werden: Dem guten Musiker gelingt es durchaus, Notenvorlagen mit dem singenden Bedarf abzugleichen, nicht nur sauber zu spielen sondern Musik zu machen.

Viel wichtiger wäre es aber für die Bläser, würde sich dieses Spiel nicht nur auf eine eingespielte Besetzung und Personen beziehen. Beim freien Singen wird dies ja immer schon praktiziert. Da legt bald jemand die zweite Stimme drüber, dem wir noch gar kein „Grüß Gott“ zugerufen haben, weil er ganz neu in der Runde ist. Ebenso hören wir dazwischen eine dritte Stimme und auch ein Bass mit einstimmen, noch bevor wir ein Wort miteinander geredet haben. Niemand hat da einen bestimmten Notensatz vor sich, dafür aber eine langjährige Singpraxis, die den notwendigen Funktionen gerecht wird. Welch schöne Begegnungen können sich da anbahnen und dabei handelt es sich um eine Musik die für den Augenblick geboren wird.

Das „Bratln“ – so nennt man das freie Zusammenspiel ohne Noten – zu belächeln und als laienhaft abzutun ist gerade im Zusammenhang mit Volksmusik eine unprofessionelle Aussage. Das Gegenteil ist der Fall: Wer so felsenfest über der Notation steht, hat Musik auf den Punkt gebracht.

Die Melodien zu den Ritualen

Spielanlässe gibt es also genügend: Almfeste, Hochzeiten, Bergmessen, Beerdigungen, Turmblasen, Umzüge, Jubiläen und andere Feste. Das Weisenblasen hat ja das ältere musikalische Begrüßungsritual durch Fanfaren gewissermaßen abgelöst. Aber auch heute wird mit Musik begrüßt oder verabschiedet, oftmals auch ein Zeichen gesetzt, wenn ein neuer Abschnitt des Festverlaufs beginnt.

Jede Bläsergruppe hat ihre eigene Lieder- und Jodlersammlung und es sind auch gewisse Kennungen im Umlauf. Manche Melodien haben besondere Bedeutung wie zum Beispiel „Fåhr ma hoam“ oder „Da Summer is außi“ zum Almabschied oder etwa das beliebte „Die Sonne neiget sich“, welches zu Ehren der Braut gespielt wird.

Was die instrumentale Besetzung betrifft ist vieles möglich, alles steht oder fällt aber mit der Zweistimmigkeit, die dann je nach Verfügbarkeit der Musiker ausgebaut wird. Ich selbst habe die allergrößte Freude an Weisen und Jodlern, die nur von zwei Stimmen getragen werden. Wie sich die beiden Stimmen zu einem Klangideal paaren kommt dabei besonders stark an die Oberfläche. Ein fertiges Werk also, dem nichts hinzu zu fügen ist. Der Trend allerdings geht in Richtung mehrstimmiger Besetzung – sie wird vom Publikum und von den Akteuren heute mehr geschätzt. Offensichtlich ändern sich die Hörgewohnheiten, es ist in diesem Zusammenhang auch gerne von der „klanggeschwängerten Zeit“ die Rede.

Das Weisenspielen gibt es natürlich auch in Geigenmusikbesetzung. Die Lieder und Jodler werden rubato dargeboten. Wenn sie während des Hochzeitsmahles gespielt werden, bezeichnet man diese Stücke auch als „Suppentänze“.

Die Wohltat der klingenden Stunden

Meiner Meinung nach ist das Phänomen „Weisenblasen“ eine besondere Form des Lebens mit Musik. Sie setzt viel Eigeninitiative und freundschaftlichen Umgang voraus. Darüber hinaus ist die kleine Besetzung eine Herausforderung, für die der Ton geformt werden muss, die stilistisches Können abverlangt nebst der sattelfesten   Sicherheit.

Manches Mal ist das Weisenblasen auch mit einem mühsamen Aufstieg zu Almfesten verbunden, das Flügelhorn sorgsam im Rucksack verpackt und der Spieler mit schweren Bergschuhen angetan. Ja, diese Musik hat mit Stimmung und Gemüt zu tun und auch mit der Bereitschaft, für andere den Klangteppich zu legen und das auch bei Ereignissen, bei denen die Musik nicht im Vordergrund, sondern Gleitmittel für die Geselligkeit darstellt.

Zu guter Letzt hat das Weisenblasen auch für die Ausführenden eine beglückende Funktion, weil sie damit Teil eines Ganzen werden. Das ist auch der tiefe Sinn einer solchen Musikausübung, die vom inneren Auftrag erfüllt ist. Es ist ein Sammelpunkt für Menschen, die selbst Hand anlegen möchten, die die vielen schönen Melodien oftmals selber sammeln und aufschreiben und die letztlich im Vortrag dieser klangvollen Melodien eine besondere Erfüllung finden.


Ursprünglich veröffentlicht in Der Vierzeiler, Graz, 9/1997; überarbeitet und wesentlich ergänzt für das Blasmusikmuseum Oberwölz, 2/2018; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.