Strawanza miaßt ma sein …

Ein neuer „Vierzeiler“ liegt vor Ihnen, geehrte Leserschar, gedruckt, beschnitten und duftend nach frischer Druckerschwärze. Zeitungsmacher meinen, dass dies die Sternstunde der Redaktion sei und der Hintergrund des Entstehens einer Zeitschrift den Leser nicht belasten soll.

Richtig so! Es geht aber nicht um große Geheimnisse, die hier versteckt werden sollen, und schon gar nicht ist die Redaktion einer Zeitung ein solch heiliger Ort, dass dem Leser nicht Einblick gewährt werden dürfte. Kürzung, Auswahl, Platzierung und Gestaltung der Beiträge sind Mittel genug, die dem Redakteur für seine eigenen Signale ein gehöriges Maß an Transportmöglichkeit einräumen.

Druck und Zeitdruck

Wir meinen, dass unsere Leserschar von der heißen Phase in den letzten Tagen vor Drucklegung unterrichtet werden soll. Vom Zeitdruck soll hier nicht die Rede sein – das Steirische Volksliedwerk ist eben nicht vordergründig ein Zeitungsverlag und hat auch vielfältige andere Aufgaben. Die heiße Phase hat zwei Ursachen: Zum einen hat sich unsere Zeitschrift einen guten Ruf erworben und eine Erwartungshaltung entstehen lassen, die nur schwer zu erfüllen ist und um Gottes Willen nicht unterboten werden darf. Zum anderen ist unser „Vierzeiler“ allemal ein Prüfstein, an dem sich unsere Ansicht und unser Auftrag misst. Und das ist gut so.

Gewichtig, wichtig und unwichtig

Bei der Auswahl der Beiträge, aus einer uns zur Verfügung stehenden übergroßen Informationsquelle, müssen wir jedes Mal wieder unser Handeln diskutieren und darüber philosophieren. Beim Sortieren der verschiedenen Aufgaben, die eine solche Zeitschrift haben kann, landen bald einige Dinge unter dem Tisch. Sie sind uns einfach unwichtig. Was ist also wichtig?

Wir wollen darüber schreiben, was uns vorschwebt, und nicht, welch großen Erfolg wir kürzlich hatten. Wir halten nichts von echten Dingen, aber dafür umso mehr von echten Gefühlen. Wir wollen keine Standesvertretung für Volksmusiker sein, umso mehr aber die Musik als zentrale Rolle im zwischenmenschlichen Bereich beschreiben, betrachten und fördern. Durch unsere Forschungstätigkeit und unseren Einblick in die Historie des Volksmusikalischen verfügen wir über Erkenntnisse und wollen diese auch gerne hinausposaunen.

Wir lieben das Spannungsfeld

Wir haben was dagegen, wenn das Spannungsfeld zwischen dem Alten und dem Neuen flöten geht und haben deshalb nicht die Absicht, mit jenen ins Horn zu blasen, die durch ihren Mangel an Tuchfühlung das Runderneuerte zum Zeitgemäßen machen möchten. Allzu schnell wird heute nämlich die Liebe zum Gewohnten und Bewährten mit einem Lächeln abgetan, als ob es neben den üblichen Klischees in allen Lebenslagen und in allen Künsten nicht auch die wahre Zuwendung gäbe, die es zu respektieren gilt.

Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe an

Wir geben als Anlaufstelle für alle Fragen zur Volksmusik und Brauchtum und vor allem durch seinen gerne in Anspruch genommenen Liederdienst vielen Menschen Hilfe zu Selbsthilfe. Wir stehlen uns nicht davon aus der Verantwortung und müssen Antworten finden, solange Fragen an uns gerichtet werden. Denn: Ermunterung ist heute gefragt, und oft sind es kleine Hilfestellungen, die den Einstieg in die selbstgefertigte Klangwelt ermöglichen. Wer einigermaßen gewillt ist, mit uns mitzudenken, der wird erahnen können, wie sehr uns die Gestaltung und inhaltliche Ausrichtung unserer Zeitschrift am Herzen liegt.

Nun aber noch einmal hinter die Redaktionskulissen

Wir haben uns fest vorgenommen, eine Vierzeiler-Ausgabe dem Thema „Ohne Geld koa Musi“ zu widmen. Sie sollte das Spannungsfeld zwischen Ehrenamtlichkeit und kommerziellem Handeln beleuchten. Die Fülle der Eingänge hat uns veranlasst, die Beiträge in zwei Teilen zu präsentieren. Wir bringen in diesem „Vierzeiler“ vor allem die historische Betrachtung der legendären Musikantenfigur – von Roland Girtler. Alle weiteren Beiträge erscheinen im Frühjahr 1996.

Leben wir in einer anderen Zeit?

„Es is heit an andere Zeit …“, mit diesen Worten umgeht man heute gerne eine nähere Beschäftigung mit früheren Zeiten, verharrt in der Verherrlichung des Unwiederbringlichen und fügt sich dem gegenwärtigen Schicksal. Wenn wir zusätzlich zum Beitrag von Roland Girtler den Musikanten als Streuner, Vagabunden und unsoliden Gesellen fotografisch darstellen, dann selbstverständlich nicht, um diese Figur zu verherrlichen. Auf eines wollen wir aber aufmerksam machen: Mit dem Ablegen des legendären Musikantentums zum alten Eisen, verliert sich immer mehr ein Menschentypus, für den Musik ein Teil seiner selbst war.

Die Zweckgemeinschaft mit den Akkorden

Lust, Leid und Leidenschaft haben hier eine Zweckgemeinschaft mit den Akkorden und Melodien geschlossen. Musik erklingt hier in tausend Facetten, die Menschen und deren Schicksale, soziale Stellung, Unruhe und Melancholie widerspiegelnd. Und hier sollten wir einen Bogen spannen in die Jetztzeit: Vieles, was wir heute Musik nennen, ist so langweilig und gleichklingend geworden. Musik als Accessoire ist zum pflegeleichten Teppich verkommen. Geben und Nehmen, die schönsten Gesten der menschlichen Begegnung, werden automatisiert, Augen und Ohren sind dem fertigen Produkt zugewandt, und wir suhlen uns im Sog des medialen Durchbruchs.

Musik als Gleitmittel des Alltags

Unser Vierzeiler macht wieder einmal aufmerksam auf die schönen Dinge, die einfach sind, bevor noch Musik entsteht. Wer in ein paar Wochen die Neujahrsgeiger durch die Stiege rumpeln hört, der soll sich glücklich schätzen und die Tür öffnen. Das singende Zustellen der Neujahrswünsche ist ein immer wieder erneuerbarer Brauch, bei dem Musik nur als Gleitmittel der herzlichen Zuwendung eingesetzt wird. Wer dann einen Hunderter zieht, hat die Botschaft unseres nächsten Vierzeilers bereits vernommen: „Ohne Geld koa Musi…“


Der Vierzeiler, Leitartikel Zum Titelbild und Thema, 15. Jahrgang, 11/ 1995; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.