Der Dorfmusikant – Musikanten und ihre ­Aufgabe

Musik ist am Ende dieses 20. Jahrhunderts unser ständiger Begleiter und Stimulanz-Nahrungsmittel. Musik sichert zudem vielen den Lebensunterhalt oder ist zum Lebensinhalt geworden.

Unser Blick, unser Ohr ist auf die schillernde Welt der Musik gerichtet, auf große Ereignisse, berühmte Interpreten. Einschalt- und Verkaufsziffern, seltener auf den Platz und die Funktion, die Musik als Gebrauchsgut im Leben der Menschen einnimmt. Wer die Biographien der Großen in der Musik einigermaßen kennt, weiß aber, dass alles Geniale aus dem Leben selbst entspringt und dass viele der Großen dem musikalischen Volksleben, der Gebrauchsmusik im kleinen, überschaubaren Umfeld begegnet sind. Diesen, den lebensnahen Zwecken verpflichteten Diensten verdanken wir mitunter außerordentliche Leistungen, die durchaus den Hauch des Genialistischen an sich haben können. Es ist keine sentimentale Übertreibung, wenn man des Gefühls inne wird, dass somit die Beurteilung von Musik über das Musikalische, Fachspezifische hinausgehen müsste.

Musikanten im Dorf – Gestalter der Rituale

Musikanten im Dorf haben nicht nur ein künstlerisches Verhältnis zu ihrem Wohnort, sondern stehen in Abhängigkeit zu ihren Nachbarn und sind Gestalter des Lebensrituals. Ihre Bedeutung wächst über die eines „hier Ansässigen“ hinaus, sie rücken in ihrer Wichtigkeit dem Pfarrer, dem Apotheker und Totengräber nahe. In Slowenien formt der Volksmund treffend: „Ein Musikant ist überall dabei wie ein Besen.“ (Kumer 1986, 43). Was sind nun jene Dienste, die von den Musikanten geleistet werden? Am auffälligsten ist wohl der Bereich der geistlichen Musik. Es leuchtet ein, dass sowohl im kirchlichen Got­tesdienst als auch in den Familien und im örtlichen Brauchtum der Weihnachtsfestkreis anders gestimmt ist als der österliche oder als Pfingsten, Fronleichnam, die Marienfeste, eine Wallfahrt oder die Kirchweih. Da sind höchst unterschiedliche Lieder nötig, und eine reiche Dichtung und Volkspoesie gibt dazu die Texte vor.

Bereitschaft und schöpferisches Gestalten

Als Spielmusik vom Kirchenchor herunter, in der Prozession oder auf Plätzen im Freien sind verschiedene Besetzungen, Melodien, Sätze und Tempi am Platz. Der Ablauf eines festen Programmes genügt nie, es muss ein gehöriges Maß an Anpassungsfähigkeit, Bereitschaft zur Variation und Improvisation, Geschicklichkeit zur schöpferischen Gestaltung eingesetzt werden. Im Saale, sei es nun ein ländliches Gasthaus oder ein städtischer Konzertsaal, ist die Situation eindeutiger, da gibt es nur das Spannungsverhältnis von Präsentation und Rezeption – die Inhalte sind auf dem Programmzettel festgeschrieben.

Musik für das familiäre Umfeld, für die Nachbarschaft

Ein anderes sind die familiären oder einem engen persönlichen Kreis zugeordneten musikalischen Dienste: Die Teilnehmer, Musizierende wie Hörer, kennen einander, sind vielleicht von Anlass und Situation ergriffen, persönlich berührt. Eine geschätzte Nachbarin wird zu Grabe getragen, deren Krankheit und Leidensweg oft besprochen wurde. Jugenderinnerungen wachen auf, man sieht die Verblichene noch in der Blüte ihres Lebens vor sich. Verständlich, dass musikalische Begleitung da anders lebendig werden sollte, als bei profanen Gelegenheiten. Wir wollen solche nur andeuten: Hochzeit, Kindstaufe, Firmung, besondere Geburtstage. Anderes hat wieder im Rahmen von Vereinen, der Pfarre, der Gemeinde sozialen Charakter: Jubiläen, Gedenktage, Feste im Jahreslauf, historische Feiern. Manchmal wird sogar das Pathos heraldischer Musik am Platze sein.

Musikant sein als Berufung

Zuallererst denken wir aber – wenn wir nach den „Diensten“ der Musikanten fragen – an ihre Aufgabe als Tanzmusiker, als Unterhalter und als die Urheber von Ausgelassenheit und Stimmung. Felix Hoerburger (1) nennt in der Rubrik „Sonderleistung des Musikers“ zuallererst die Ausstrahlung des Musikers, „… ohne die er ein Nichts ist.“ Hinter der Ausstrahlung versteckt sich aber deren Ursache: Das Eingebundensein in die Generationenkette, die Neugierde, die Kenntnis von Melodien und Texten, die zum Mitsingen und Mitklingen anregen, und die Gabe, im rechten Augenblick auf Stimmungsausbrüche zu reagieren. Und überhaupt: Musikant sein ist, wenn nicht Beruf, so doch Berufung. Man möchte sich auf ihn verlassen können. Sein Vorhandensein sichert Lebensqualität.

Der Verlust an Beseeltheit stimmt nachdenklich

Mit der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung erübrigen sich der ortsansässige Schmied, der Korbflechter und – so scheint es – auch die Musikanten. Immer mehr einst notwendige Fertigkeiten verschwinden aus unserer Nähe und immer perfekter funktioniert der Ersatz. Damit ist auch ein Verlust verbunden, nämlich ein Verlust an Wertschätzung, an Beziehung zum Nächsten, an Kenntnis der Zusammenhänge und an Möglichkeit, Wissen, Kenntnisse – und auch Melodien – nicht nur abstrakt, sondern als starken Eindruck zu überliefern. Was fehlt ist die Beseeltheit einer Sache, gleichgültig, ob es sich um ein Möbelstück oder eben um Musik handelt.

Auch andere Bereiche unseres Lebens sind heute entseelt, und es ist Aufgabe des Gemeinwesens, die entsprechenden oder entstandenen Verluste auszugleichen. Die kommunale Verwaltung gestaltet zwar Kulturprogramme, holt Musik und Künstler in das kleinste Dorf. Die so konsumierten Klänge, Vorträge, Bilder haben jedoch meist nur Informationswert. Erlebtes, Gehörtes muss nicht für das Dorf gültig sein, muss sich nicht da bewahren, lässt gewissermaßen das Leben im Dorf links liegen. Es stellt sich die Frage, ob immanente Kultur im Dorf als Frucht des funktionierenden Zusammenlebens neben importierten Kulturprogrammen verdrängt, befruchtet oder einfach nicht in seiner Besonderheit erkannt wird.

Musik als Handwerklichkeit

Musikanten sind von ihrem Selbstverständnis weniger der künstlerischen als der handwerklichen Gruppe zuzuordnen. Sie agieren nicht aus einer künstlerischen Haltung heraus, sondern spielen eine dienende Rolle – sie wirken „im Auftrag“. Auffallend ist in Stiwoll und auch anderswo in der Steiermark, dass es mehr Handwerker und Gewerbetreibende als Bauern sind, die dem Musikantenstand angehören. Auch Michael Komma (2) weist darauf hin: „Neben den wenigen Berufsmusikern gab es von jeher musikantisch begabte und nur bei den Festen der Gemeinschaft als Spielleute auftretende Dorfbewohner, Handwerker, Häusler …, seltener Bauern.“

Die Kenntnis von Liedern und die Fertigkeit der Spieltechnik auf Instrumenten ist zumeist zusätzliches Kapital neben einem beruflichen Aufgabengebiet. Eine typisch handwerkliche Haltung ist nicht nur das ernsthafte Erfüllen eines Auftrages oder etwa das weitverbreitete Fertigen oder Selbstreparieren eigener Instrumente, sondern auch das Heranziehen von Lehrlingen, die Sorge um die Weitergabe der Fertigkeiten und Erfüllung der Musikaufträge. Es entstehen Stile und sehr persönlich gefärbte Eigentümlichkeiten.

Durch Schulwesen und Spezialistentum erleben wir dagegen heute vielfach eine Dichotomie des Unterrichtes und der Ausübung. Ein Kapitel dörflichen Musikantentums wird damit – in bestimmt wohlmeinender Absicht seitens der Musikpädagogik – unnotwendigerweise geschlossen.


„Die Zwanzger spiel’n auf …“, Begleitheft zur gleichnamigen CD in der Reihe „Tondokumente zur Volksmusik in Österreich“ Institut für Volksmusikforschung, Wien, 1995; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.