Der Volksmusikwettbewerb spielt am Leben vorbei…

Das ganze Leben ist eigentlich ein Wettbewerb. Wir kämpfen um die Existenz, um Anerkennung, um Aufstieg, um Frauen oder Männer und letztlich um das Überleben.

Das ist der Wettbewerb mit dem – oder im Leben. Es ist eigentlich ein ständiges Kräftemessen. Und – es gibt keine Jury, die Zeit ist der Kampfrichter. Wir messen uns immer am Anderen und setzen dabei nicht nur Kenntnisse und Kräfte ein, sondern auch unseren Charme, Charakter, unser Aussehen, Größe oder Schläue sowie die Lebenserfahrung. In jedem Beruf und auch als Berufsmusiker sind wir an diesem Wettbewerb beteiligt. Das ist aber der Wettbewerb, den wir eigentlich nicht meinen, wenn wir Wettbewerb sagen.

Der Wettbewerb als das Spiel der Spiele

Der von uns heute diskutierte „Wettbewerb“ gehört in die Kategorie der Spiele. Spiele sind die unproduktive Seite des Lebens. Sie sollen Erheiterung sein, Gewinner und Verlierer einbeziehen, Fertigkeiten spielerisch erproben und messen.

Mit diesen beiden Formen von Wettbewerb – einmal Lebenskampf, einmal Spiel – können wir sehr wohl umgehen. Wir bringen weder die „Miss World“ mit unserer Ehefrau noch den eben erst gekrönten Küchenchef des Jahres mit den Kochkünsten unserer eigenen Mutter in Verbindung. Hier Spiele – und hier das Leben, so sagen wir uns und messen diesem Spielen den entsprechenden Stellenwert bei.

Lebensinhalt entfernt sich vom Leben?

Nicht alle Menschen aber können und wollen diese beiden Dinge auseinanderhalten. So kommt es, dass der Wettbewerb oftmals zum Lebens­inhalt wird und sich trotzdem vom Leben entfernt. Dann gibt es Gewinner, die im Leben kläglich scheitern. Manches Mal vermissen wir bei Spitzensportlern die sportliche Haltung. Daran können wir den Unterschied zwischen Wettbewerb als Spiel und Wettbewerb im Leben erkennen.

Der Berufsmusiker ist vorerst einmal dem Wettbewerb im Leben ausgesetzt. Die Teilnahme an Instrumental-Wettbewerben innerhalb dieser Hochkunst sind zwar Spiele, haben aber den Ernst des „Wettbewerbes im Leben“. Und die Volksmusik?

Sie hat – wie wir wissen – eigene Lebensgesetze. Die Bewertung dieser Volksmusik findet eben im Leben statt bzw. müsste im Leben stattfinden.

Warum entstehen also solche Wettbewerbe?

Zumeist nicht, um den Sieger zu ermitteln, sondern um der armen Volksmusik unter die Arme zu greifen. Das Spiel soll möglichst viele Musikanten an einen Ort bringen, dazu noch zwei Tage kostenloses Musikprogramm bieten und soll auch eine mediale Reaktion auslösen. Immer wieder ist zu beobachten: Die Volksmusik-Liebhaber sind mit der da und dort lebenden Volksmusik nicht zufrieden, solange sie nicht aus der Anonymität herausgeholt und einem größeren Publikum präsentiert wird. Mit dem Wettbewerb demonstriert man auch Stärke und öffentlichkeitswirksame Auftritte, sichert da und dort auch die nötigen Mittel aus öffentlicher Hand.

Wer bewertet Volksmusik?

Noch vor dem Wettbewerb hat er eigentlich schon begonnen. Es ist nicht einfach, in die Jury zu kommen, und es ist eine große Ehre, in einem solchen Kreis aufgenommen zu werden. Den Musikpädagogen, den Erziehern, den Musiklehrern, den Erwachsenenbildnern billige ich gerne zu, die Aufgabe des Beurteilens zu übernehmen. Sie sehen vor allem den erzieherischen Wert. Warum geben sich aber Volksmusikforscher, Volkskundler und altgediente Volksmusikanten dafür her? Sie müssen eigentlich wissen, dass es neben den musikalischen auch noch andere Qualitäten gibt, die im Wettbewerb nicht beurteilt werden können, auf die es aber ankommt.

Wer nimmt an Volksmusikwettbewerben teil?

Es gibt viele Gründe – und ich will nicht systematisch vorgehen und alle Beweggründe aufzählen. Einen Grund möchte ich aber näher erläutern: Wettbewerbe – vor allem jene, die mit „ausgezeichnetem Erfolg teilgenommen“ enden – sichern einen schnellen Erfolg. Vor einer Jury zu bestehen ist halt viel einfacher, als im „Lebenswettbewerb“. Eine Volksmusikpflege, die auf Wettbewerbe zählt, wählt den einfacheren Weg und scheut die Mühe, zur Übernahme der traditionellen Musikantenrolle zu animieren, den Einstieg in die Gebrauchsmusik zu predigen, also die Verwendung der Musik als Lebensmittel zu fördern.

Nun doch systematisch:

Immer wieder werden folgende Argumente für den Volksmusikwettbewerb genannt:

1) Es geht ja nicht um das Gewinnen, sondern ums Dabeisein – um das gemeinschaftliche Erlebnis…

2) Die Jugend braucht einen Anreiz. Wettbewerbe sind immer ein Anlass zur Leistungssteigerung…

3) In der Vergangenheit waren Preissingen und Preistanzen auch Mittel zur Förderung der Überlieferung…

4) Es kann nie genug solche Aktivitäten geben, sonst nimmt die volkstümliche Welle überhand…

Unter Berücksichtigung aller positiven Begleiterscheinungen bleibt die Frage offen, ob folgende negative Auswirkungen in Kauf genommen werden sollen:

1 Volksmusik-Wettbewerbe lenken davon ab, dass „Volksmusik im Leben“ ganz anderen Prüfungen unterzogen wird. Es müsste mehr darauf hingewiesen werden, dass es sich um ein Spiel handelt…

2 Musikdarbietung vor einer Jury – und auch vor einem Konzert-Publikum – veranlasst zu einer speziellen Stückauswahl und zu einer Aufführungspraxis, die im Gebrauch der Volksmusik keine Relevanz hat. Vorgespielte Schlichtheit, übertriebene Dynamik, Virtuosität und kabarettistische Einlagen leiten hin zu einer ausschließlich der Interpretation dienenden Rolle. Musik als Lebensmittel wäre eigentlich gefragt…

3 Junge Spielmusikgruppen als „Stars der Volksmusik“ auszuzeichnen, ist auch Respektlosigkeit den Überlieferungsträgern gegenüber. Sie haben zwar ein Leben lang ausgezeichnet gedient; ihre dienende Rolle wird – durch den Fokus auf bühnenbezogener Qualitäten – abgewertet.

Schlussbemerkung

Wir verzeichnen seit Jahren einen Trend hin zur Volksmusik, an dem sicherlich auch Volksmusik-Wettbewerbe ihren Anteil haben. Auf den ersten Blick mag man daraus den großen Durchbruch der Volksmusik ablesen. Ich meine, die Volksmusikpfleger sollten sich trotzdem nicht in Selbstzufriedenheit zurücklehnen. Dieser Zustrom ist die eine – plakative Ebene. Der Umgang mit Musik, Lied und der eigenen Tradition in einem Umfeld, das uns tagtäglich auch mit anderen Musikstilen konfrontiert, fördert das musikalische Zurechtfinden, muss eben geübt werden. Das ist die andere Ebene. Und noch einmal: Wettbewerbe spielen am Leben vorbei. Volksmusik im „Freizeitlook“ muss uns ein wenig zu wenig sein.


Diskussionsbeitrag für die Tagung „Preissingen und Volksmusikwettbewerb“, Kultur- und Bildungszentrum des Bezirks Oberbayern, Kloster Seeon, 2/ 1995; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.