Volksmusiklehrer – zwischen Überlieferung und Verschulung

Keine Frage, hobeln kannst Du vom Großvater lernen, du kannst aber auch eine Fachschule besuchen. Kochen kannst du am Herd der Mutter abschauen, du kannst die Kenntnisse auch in einer Hotelfachschule lernen. Und so kannst Du auch das Spiel auf der Harmonika lernen: Vom Nachbarn, vom Vater oder auch in der Musikschule. Wo lernst Du aber Volksmusik?

Was wir alles im Garten des Lebens pflücken

Verwirrend? Dann vielleicht etwas verständlicher: Da meint meine Mutter, dass sie das Sparen von ihrer Mutter gelernt habe. Ich habe wiederum viele Lieder von meiner Mutter, das Rezept für die Leberpastete von meiner Schwiegermutter. Jedem von uns geht es so: Die handwerklichen Fertigkeiten vom Onkel, die Leseleidenschaft vom Opa, die Geselligkeit vom… Wir haben dies und das und meistens von Weggefährten, die uns lange begleiten, deren Vorzüge, Eigenheiten und auch Unarten wir im Garten des Lebens für uns pflücken. Nun verlangt ja niemand, dass es eine Hochschule der Sparsamkeit, der Geselligkeit geben muss und niemand bedauert, dass es solche Bildungsstätten nicht gibt. Das ist aber auch ein Fingerzeig für uns, dass es sehr wesentliche Dinge in unserem Leben gibt, die außerhalb jeder Bildungsleiste an einem freien Markt eingelöst werden müssen.

Kurzum: Der Umgang mit Volksmusikinstrumenten ist erlernbar, dazu lässt sich auch ein Lehrplan erstellen. Genügt uns aber der Volksmusik-Interpret und erfüllt er unsere Vorstellung von musikalischem Gestalten, das eingebunden in gewachsene Formen den Klang und Melodienreiz zu einer unverkennbaren Aussage macht? Nein, weder Fingerakrobatik noch musikalisches Kabarett, und schon gar nicht der bis zum Gebet zelebrierte Gesang – eine offenkundig gewollt angestrebte Schlichtheit – kann unter Volksmusik gemeint sein, für die wir gerne auch „gelebter Musikbesitz“ einsetzen.

Die Liedbesitzer und die Liedbenützer

Wenn das Volksliedwerk eine vordergründige Aufgabe hat, dann ist es jene, auf den Unterschied zwischen „Lied besitzen“ und „Lied benützen“ hinzuweisen. Wir sind gerne die Anwälte der Liedbesitzer und geben uns nicht zufrieden mit Erfolgszahlen und Einschaltziffern. Gelebter Musikbesitz ist selten auf Bühnen zu erleben, auf einer Schallplatte zu finden, wird auch nicht durch Schlagzeilen auf Kulturseiten vermittelt und ist schon gar nicht im „Trend“.

Aber nun sollen sie in den Lehrplan – die Volksmusikinstrumente und die Volksmusik. Mag sein, dass der Zeitgenosse dies als Erfolg verbucht, so wie wir alle Reglements, die wir für uns treffen gerne als Fortschritt empfinden. Dieser geht gerne über Leichen, auch wenn es sich nur um „Instinkte“ handelt, die da begraben werden. Sie geraten in Verlust und verkümmern zu Accessoires unseres Lebens.

Was ist denn mit den Lebensgesetzen der Volksmusik?

Die bislang volksmusikalische Praxis der Überlieferung brauchen wir nicht zu verklären, aber auch nicht mit der Behauptung vom Tisch wischen, dass es noch nie so viele Volksmusiklehrer und Volksmusikgruppen gegeben hat wie in unseren Tagen. Wer weiß denn wirklich, wie vielen Bankerln unterm Lindenbaum, Hinterhöfen, Gaststätten und Almhütten früher schon der Status „musikalische Lehrwerkstätte“  zugestanden wäre. Heute hat Volksmusik einen Namen, einen Marktanteil, eine Sendeleiste – ist eine Institution für sich. Wir spüren aber, dass sich durch Nichtbeachtung der besonderen Lebensgesetze von Volksmusik und das gleichzeitige Streben nach musikalischem Niveau eine Kluft aufgetan hat, deren Überbrückung den Volksmusiklehrer vor eine besondere Aufgabe stellt. Können wir ihm dies zumuten?

Freizeitmusik im Alpinrock wäre uns zu wenig

Das Steirische Volksliedwerk ist ein sensibler Beobachter aller Volksmusikaktivitäten und konnte schon aus diesem Grund den Trend zur Hochschulausbildung der Volksmusiklehrer nicht unbeachtet lassen. So skeptisch man auch sein mag gegenüber der Tendenz, den instinktmäßigen Umgang mit Volksmusik in ein Schema zu pressen: Es besteht die große Chance, dass der neue Volksmusiklehrer neben der technischen Fertigkeit am Instrument in Zukunft auch ein tieferes Verständnis für „Leben mit Musik“ vermittelt. Freizeitmusik im Alpenlook wäre uns einfach zu wenig.

Autorinnen und Autoren melden sich zu Wort

Zahlreiche Autoren melden sich nun in unserem Vierzeiler zu Wort, haben sozusagen unser Thema aufgegriffen. Es sind verschiedene Sichtweisen, die hier zusammenfließen und einen Überblick ermöglichen. Dr. Rudolf Pietsch durchleuchtet das derzeit geltende „Kunsthochschul-Organisationsgesetz“, begnügt sich aber nicht mit der Analyse der gesetzlichen Voraussetzungen der Volksmusiklehrerausbildung, sondern bringt gleichzeitig die Sichtweise des Musikanten und des Hochschullehrers ein. Sepp Strunz  wiederum befasst sich mit dem Leitgedanken des Schulleiters einer Volksmusikschule.

Der Erfahrungsaustausch mit dem Bayernland

Dazu hat auch Franz Maierhofer von der Schule für bayrische Musik in München etwas zu sagen. Er schöpft aus 30jähriger Erfahrung, berichtet über das Erreichte, aber auch über offene Wünsche im Bereich der Volksmusiklehrerausbildung. Bernd Prettenthaler hat als Musiklehrer Erfahrung gemacht und Dr. Gertraud Pressler betrachtet die örtliche Situation, den Instrumentalunterricht bei den Lehrmeistern der Blasmusikkapellen. Auf den Trend der neuen Verwendung von Volksmusik macht uns Mag. Walter Burian aufmerksam. Dieser Meinungsäußerung aus dem Burgenland folgt ein Bericht aus der Praxis in Kärnten, den uns Mag. Manfred Riedl übermittelt hat. Harald Dengg meint wiederum, dass die Musikschule keinen Volksmusikanten macht und erläutert uns die Problematik aus der Salzburger Sicht.

Kann Überlieferung vom Schulsystem ersetzt werden?

Über einen neueingerichteten volksmusikalischen Lehrgang am Landeskonservatorium in Graz berichtet Dr. Anton Bärnthaler. Dr. Gerlinde Haid bricht eine Lanze für die schriftlose Überlieferung und stellt die berechtigte Frage, ob das bewährte Transportmittel für volksmusikalische Praktiken, ob das bislang funktionierende Förderband von Melodie und Text vom Schulsystem ersetzt werden kann.

Alles in allem sollen uns diese Informationen den Blick für das Wesentliche öffnen: Musikalische Fertigkeit ist nur die eine, aber der Umgang mit Volksmusik ist die wesentlichere Seite, die uns umso mehr beschäftigen muss. „Freizeit-Spielmusik im Volkston“ ist gerade für die Bühne und Tonproduktion gut genug. Musikalisches Volksleben stellt höhere Ansprüche!


Der Vierzeiler, Leitartikel zum Titelbild und Thema, 13. Jahrgang, 5/ 1993; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.