Die Rede ist vom Singen…

„Alles Unsinn“ hat mir ein Freund geraten. Über das Singen sollte man nicht schreiben, sondern es tun. Wie recht er hat! Wie lehrreich ist es aber auch, das Unaussprechliche auszusprechen. Zu betrachten, was eigentlich besser gefühlt werden soll. Einmal den ganzen Wortschatz auszupacken, der gar nicht ausreicht, um diesen komplizierten Vorgang so einigermaßen zu beschreiben.

Am Anfang war zwar das Wort, aber – so nehme ich an – das war bereits mehr gesungen als gesprochen. Wir selbst neigen ja auch zum Singsang im Gespräch. Wer denkt dabei nicht an irgendeine Nachbarin, die ihr „Mei, heit bist åber wieder amål gånz fesch beinånder….“ beinahe über eine Oktave aufträgt. Ja, aufträgt! Denn mit der Sprachmelodie kann zumal eine süße Üppigkeit verbunden sein, zumindest aber eine Nuance der ganz persönlichen Kennmelodie, einer unverwechselbaren Kennmelodie. Diese Unverwechselbarkeit wäre für mich der eigentlich Grund die Stimme erklingen zu lassen. So quasi: „Meine ist anders als die andere und die Deine hab`ich schon von Weitem erkannt.“ Eine Lanze für den akustischen Fingerabdruck also! Eine schöne Vorstellung in Zeiten der Kundenkarten, die Konten, Garagen und Clubs öffnen. Dein ganz persönliches Häi-ti-dra-hoe i ist also gefragt! Wenn das nicht beruhigend ist?

Die Stimme braucht Training

Viel mehr noch als dieses Kennzeichen der eigenen Stimme, muss uns die musikalische Grundausstattung beeindrucken. Darauf vergessen wir allzu gerne: Wir sind alle als Sängerinnen und Sänger geboren, für das Training sind wir allerdings selbst verantwortlich. Und wie wir dieses Training vernachlässigen, unser Vermögen ruhen lassen, bis es so verkommen ist, dass wir uns selber nicht mehr hören mögen! Resignierend treten wir das Singen an die anderen ab, zählen uns zum Heer der Unmusikalischen. Sie auch ?

Ein Hauch von Freiheit

Singen ist aber nicht nur eine Frage des Trainings der vorhandenen Ausstattung. Singen ist pure Emotion und hat schon auch mit dem Selbstwertgefühl zu tun, mit Courage, mit dem mehr oder weniger ausgeprägten Wunsch sich mitzuteilen, seine ganz persönlichen Gefühle und Ansichten zu äußern und am Klangspiel teilzuhaben. Und: Singen ist Freiheit. In unseren Liedern erklingen ganz unverblümt Liebe, Sehnsucht, Kritik, Spott und Verehrung. Die Worte alleine würden wir nicht sprechen wollen. Es bleibt der Melodie vorbehalten, Inhalte in Gefühle zu übersetzen, sie für den Augenblick zu verpacken und gestalten. Dabei ist der Rückgriff in eine vergangene Welt und Zeit eine durchaus legitime Lust der Volksliedsänger. Die vielen Heimatlieder im Herz-Schmerz-Ton, sie entspringen der puren Freude am Rückholen des Unwiederbringlichen.

Sängerinnen und Sänger: Wir alle

Wenn in dieser Schrift von Kultur die Rede ist, dann muss auch vordringlich die Rede von diesem Singen aus Lust und Laune sein, weit weg von höherer Absicht, vom Anspruch irgendwelche Kriterien zu erfüllen. Es geht darum, mir selbst und meinem Gegenüber zu genügen, Musikalität als schönste Verständigung auch zwischen Mutter und Kind zu sehen, sie in Freude und Trauer bei der Hand zu haben. Wer über den musikalischen Gebrauch in der Steiermark Bescheid weiß, ist über den Zustand des Volksliedes und des Singens im allgemeinen nicht beunruhigt, so vielfältig erklingen die Lieder von der Alm, vom Wildschützen, der Liebe und dem Leben. Es sind nicht immer die zimmerreinen Verse, nicht immer altehrwürdige Volkslieder. Es hat sich auch die Schlagerwelt eingenistet, die Wienerlieder ebenso wie die Fußball-Schlachtgesänge und die populären Texte des Austropop. Wer von Kultur spricht, den muss die besonders lockere Handhabe im Umgang mit Musik beeindrucken. Auswahl, Interpretation und vor allem Anlass sind dem Zufall und den Notwendigkeiten angepasst. Das ist Unterhaltungswert und noch dazu hausgemacht!

Melodien liegen nicht in der Luft

Freilich muss man diese besondere Freiheit und Gestaltungsvielfalt auch im Einfluss vieler Faktoren sehen: Zum einen im Einfluss der vielen Hundert Rundfunksendungen z.B. des Franz Steiner. Vielfach ist daraus der Wunsch entstanden, das eine oder das andere Lied nachzusingen. Zum anderen einer sehr lebendigen Chorszene, den vielen steirischen Liedermachern, die neue Texte und Melodien in Umlauf gebracht haben. Ebenso aber dem Steirischen Volksliedarchiv, dessen Liederdienst auf jede kleine Anfrage eine Antwort bereithält.

Lieder haben, bedeutet Lebensqualität

Singen sollte in der Kompetenz jedes einzelnen beheimatet sein, sollte vor allem in der Familie und im Freundeskreis eine Rolle spielen. Wir sollten Lieder haben, die uns ein Leben lang begleiten. Sosehr wir auch tagtäglich mit Musik versorgt und berieselt werden, diese Merksätze verlieren nichts von ihrer Gültigkeit. Wir werden immer wieder die Wahl zwischen der Konserve und der eigenen Klangwelt haben – auf die Gewichtung kommt es an.

Geben Sie also Ihrer Stimme freien Lauf. Lassen sie alle bisherigen Belastungen zurück. Sie waren in der Schule ein Brummer, Mutter meinte immer, Sie alle, die ganze Familie sei nicht genug musikalisch? Vergessen Sie bitte, dass es auch in diesem Bereich Höchstleistungen gibt. Lernen Sie damit umgehen wie Ihre Mutter: Sie bewundert auch den 3-Hauben-Koch und greift trotzdem selber zum Kochlöffel. Nur Mut, lassen Sie Überlegungen zur Tonart beiseite, fragen Sie nicht, ob Ihre Stimme dem Sopran, Alt, Tenor oder Bass angehört. Diese Ignoranz ist schon ein Fortschritt! Seien Sie aber nicht ungeduldig: Singen sollte man nicht vom Zaun brechen, es bedarf einer Übereinstimmung, einiger Anlaufzeit. Ja, Singen beginnt immer erst, wenn wir uns alles gesagt haben.


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