Altes Gasthaus – neue Chancen

1 Ausgangsposition

Bedeutung der Regionalkultur, Vereinsleben und Kulturvermittlung

Kultur haben ist etwas anderes als Kultur zu programmieren. Im Klartext: Der Kultursommer, die Kulturwochen sind nur eine Seite von Kulturarbeit, die andere aber wird oftmals verkannt, weil sie nicht plakativ in Erscheinung tritt. Kultur hat nämlich zuallererst mit „hier leben können“ zu tun, mit den lebenswerten Dingen, letztendlich auch mit Arbeitsplätzen und Sozialeinrichtungen, mit der Nahversorgung, mit dem ortsansässigen Arzt, dem Pfarrer und der Polizei. Und: Mit allen vorhandenen Fertigkeiten und Begabungen sowuie mit Brauch und Gebrauch.

Kann Kulturarbeit diese großen Bogen spannen, Tradition und Innovation zur gleichen Zeit meinen, Lebensgesetze mit Tourismus und Vermarktung verquicken? Wie schaffen wir es, dass Konkurrenz und Wettstreit nicht Störfelder darstellen, sondern Buntheit und Vielfalt ermöglichen? Wie können wir selbst Vereins-Eigenbrötelei in positive Energie umwandeln?

Regionale Traditionen und regionaler Entwicklungsgeist – das ist geballte Kraft, man sollte sie immer in einem Satz nennen. Für die Kulturarbeit am Lande ist ein Begriff allgegenwärtig: Volkskultur. Begriffe sollten stets mehr Klarheit schaffen, Unterscheidungen ermöglichen. Der Begriff „Volkskultur“ aber schafft neuerdings Verwirrung. Was ist also Volkskultur?

2 Begriff Volkskultur

Volkskultur ist Lebensgestaltung in überlieferten Ordnungen. Gemeint ist die Generationen übergreifende Einbettung des Menschen im Jahres- und Lebenskreislauf.

Welches Bild entsteht aber von Volkskultur?

In der Öffentlichkeit wird Volkskultur ausschließlich an deren bunt-plakativen Teil gemessen und wahrgenommen. Ein wesentlicherer Teil der Volkskultur liegt aber außerhalb des Musik- Tanz- Mundart- und Trachtenwesens. Es sind dies die Rituale in der Familie und der Nachbarschaft, Brauchtum, Tischsitten und Anstandsregeln, Umgangssprache sowie Handlungen rund um die Geburt und das Sterben. Volkskultur ist also nicht nur in Vereinen zuhause.

Tragen, gestalten, vergessen, neu erfinden – Zeichen von Volkskultur

Die Menschen wählen stets eine eigenständige Mischung von Lebenskultur, nämlich einen Anteil an überlieferter Ordnung und einen Anteil aus neuen Lebensentwürfen, wobei dieser Teil vom Bildungsstand, der Arbeitswelt, der gesellschaftlichen Entwicklung, vom Tourismus, von Medien etc. geprägt ist. Volkskultur war also nie ein für sich geschlossener Lebensentwurf, sondern ein über Generationen gestalteter Prozess, dessen Lebendigkeit nicht ausschließlich am Originalen erkennbar wird. Die Lebendigkeit entsteht gleichsam aus dem Spannungsfeld zwischen Fortschreiten und Rückbesinnen, zwischen Tradition und Innovation. Mit Volkskultur ist – in einer Welt der Kunst- und Kulturproduktionen, des Nostalgiemarktes, der Verwertung aller Kultur (Medien, Tourismus, Museen) – das Leben mit Traditionen gemeint.

Die Bevölkerung – die Volkskulturvereine

Volkskulturvereine sind von ihrer Aufgabenstellung her Entschleuniger. Sie tragen das Original weiter, haben aber auch gesellschaftspolitische und karitative Funktionen. Ein Vielfaches von Volkskultur ist aber in der Bevölkerung verankert und bedarf keiner Vereinsstruktur. Hier findet man den kreativsten und anpassungsfähigsten Teil von Volkskultur. Bestes Beispiel dafür sind Einzelsänger, die keinen Unterschied zwischen Volkslied und Schlager kennen, aber beide Gattungen singen können.

Wer von Volkskultur spricht, darf also nicht nur die in Verbänden organisierten Menschen sehen. Die in Gruppen erfassten Sänger, Musikanten, Tänzer, Mundartsprecher, Blasmusiker und Trachtenträger sind nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Volkskulturarbeit muss sich auf alle Menschen im Lande beziehen. Die effizienteste Förderung von Volkskultur ist also immer eine, die darauf angelegt ist, die Freude am Übernehmen, Gestalten, Erfinden und auch Verwerfen zu fördern.

Volkskultur entwickelt sich also selbstständig aus den oben angeführten Gründen. Starke Triebfeder ist aber – in einer instabilen und schnelllebigen Zeit – auch die Sehnsucht nach Bewährungen, nach einigen Haltegriffen. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich heute auch weltgewandte Personen aus hochtechnischen Berufen zu Volkskulturinhalten hingezogen fühlen. (Lederhose und Laptop)

Das Dilemma des Begriffs Volkskultur

Heute gehören zum sogenannten Forum Volkskultur: Blasmusik, Volkstanz, Trachtenvereine, Chöre, Mundartdichter, Museen und das Heimatwerk.

Dass hier das vielfältige Brauchtum und die vielschichtige traditionelle Lebensweise in der Steiermark mitgedacht werden muss, weil sie sonst nicht vertreten sind, ist wohl selbstverständlich. Nicht alles was hier in Erscheinung tritt, lässt sich in Vereinen fördern, als bestes Beispiel seien die regionalen Mundartfärbungen genannt. Viele dieser Inhalte ließen sich auch anders einordnen und im Rahmen der Allgemeinbildung fördern: Schule, Erwachsenenbildung, Soziales, Musikausbildung, Wissenschaft, Internationales, Tourismus…

Mit dem Begriff Volkskultur muss also heute viel mehr als früher gemeint sein. Durch die breite Verankerung in der Bevölkerung ist sie ein Steigbügel für jedwede erste Entfachung von kulturellem Interesse. Statt „Blut und Boden“ nunmehr „Herz und Sinn“ – müsste man sagen. Die Steiermark hat die besten Chancen, dem schwammigen Begriff Volkskultur, eine weitsichtige kulturpolitische Weichenstellung hinzuzustellen. Die Politik allerdings gefällt sich im Züchten einer untragbaren Polarität zwischen Kultur und Volkskultur. Die Vereinnahmung von zumeist selbständigen  Kulturinhalten ist nicht nur sinnwidrig. Sie ist Ausgangspunkt für Enge und nicht für jene Weite, wie sie Hanns Koren (sel.) einst gefordert hat.

Die Förderung von Volkskultur

Das Aufstellen von Reglements ist einer gedeihlichen Volkskulturpolitik eher abträglich. Es bedarf stets der großen kulturpolitischen Betrachtung. Wichtig ist der Humus auf dem Volkskultur erprobt, erfunden und weiter gesponnen werden kann. Demnach ist das Lebensmittel Volkskultur dem Genussmittel Volkskultur vorzuziehen, wenn es um Methoden der Förderung geht. Im Klartext: Bei allem was bereits durchgeführt und aufgeführt wird, sollte sich die Kulturpolitik zurückhalten, dafür aber Begegnungen und Prozesse fördern.

Die Kulturpolitik sollte sich also stets als Förderungssplittung in folgenden Bereichen sehen:

Erhaltung von Kulturgut
Erhaltung von Lebensqualität und Identität
Beitrag zum Tourismus
Beitrag zur Verbindung zwischen den Generationen
Beitrag zur Bildung
Beachtung als soziale Wertschöpfung
Arbeitsplatzsicherung (Jugend bis Senioren)
Maßnahmen zur Standortsicherung (Hohe Lebensqualität als Anreiz)

Es sollten alle Maßnahmen ergriffen werden, um Kompetenzen zu stärken, Serviceleistungen und Bewusstseinsbildung zu sichern, um ein Klima für den kreativen Umgang mit unseren Traditionen zu schaffen.

3 Neue Chancen: Drehscheibe Gasthaus

Kulturvermittlung (Schule, Weiterbildungsinstitute, Medien etc.) ist ein breites Feld und bündelt die Teilnehmer in Interessensgruppen. Welchen Stellenwert kann dabei das Gasthaus einnehmen? Von jeher nimmt das Gasthaus die Rolle der örtlichen UNO ein. Hier werden Informationen ausgetauscht, werden Gerüchte verbreitet, ebenso gilt die Gaststätte aber auch als Einsatzzentrale, wenn es darum geht, jemanden unter die Arme zu greifen. Die Drehscheibe Gasthaus funktioniert bislang nur, wenn Wirtin und Wirt von sich aus soziales und kulturelles Engagement als Teil ihres Lebens sehen.

4 Problematik und Aufgabenstellung

Diese beiden Qualitäten – einerseits des Gastwirt-Berufes, andererseits des Kultur- und Sozialarbeiters können gebündelt werden. Die Ausrede, dass es eben solche und solche Unternehmer gibt (man hat es oder man hat es nicht) mag schon Richtigkeit haben. Letztlich steht aber doch nichts dagegen, schon in der Ausbildung unserer Wirtsleute eine Schiene zu einem neuen Berufsbild zu legen: Der Kulturwirt. Ähnlich gesplittet werden ja auch in anderen Ausbildungsstätten angeboten: Computer, Sport, Musik etc. Gutes Beispiel dafür ist die HBLA Raumberg, aus der  Agrar-Fachleute mit umfassender kultureller Bildung hervorgehen.

5 Der Kulturgastronom als Berufsbild

Der Kulturgastronom als Berufsbild. Dazu bedarf es einer Schwerpunktsetzung in den Gastronomie-Fachschulen. Bislang wird auf touristische Ziele bestmögliche Rücksicht genommen, warum nicht auch auf die gesellschaftspolitischen Anliegen im ländlichen Raum?

Inhalt der Ausbildung könnten sein:

Kulturphilosophie und Soziologie
Geographie und Heimatkunde
Brauchtumskunde
Musik/Tanz/Theater/Literatur/bildende Kunst


Erstes Gesprächskonzept auf Wunsch des Präsidenten des Österreichischen Bauernbundes, Herrn Präsident Fritz Grillitsch entwickelt, es kam nie zur Umsetzung; 1111 steht nicht für eine Jahreszahl sondern ist das Zeichen für eine noch nicht ausformulierte Quellenangabe. Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.